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"Mal sehen, ob ich in die Luft gesprengt werde": Henry Rollins im Interview

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Das Interview ist ziemlich früh am Morgen angesetzt. Haben Sie keine Lust, auszuschlafen? Henry Rollins: Für gewöhnlich ­ - wenn ich auf Tour bin -­ sitze ich ab sechs Uhr morgens an meinem Schreibtisch im Büro. So früh schon? Gehen Sie abends nicht aus oder so? Henry Rollins: Nein. Ich stehe für gewöhnlich zwischen 5 und 5.30 Uhr auf. Heute Abend gehe ich mit zwei Leuten essen, mit denen ich für meine Radiosendung zusammenarbeite. Aber das fängt schon um 19 Uhr an und ich schätze, dass wir’s bis 20 Uhr erledigt haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was machen Sie denn so am frühen Morgen? Henry Rollins: Momentan arbeite ich an einem Film, weshalb ich schon in der Morgendämmerung aufgestanden bin. Und ich habe viel im Büro zu tun. An neuen Projekten schreiben zum Beispiel. Und je früher ich da aufstehe, desto besser ist es für mich. Dadurch habe ich einfach mehr vom Tag für mich. Sie befinden sich gerade mitten in einer Tour und drehen gleichzeitig... Henry Rollins: Ja! Der erste Teil der Amerika-Tour endete vor ein paar Wochen und momentan drehe ich diesen Film mit Cuba Gooding Jr. und Jason London. Eine wirklich gute Besetzung ist das. Das mach' ich jetzt noch 'ne Woche lang und dann verlasse ich die Stadt um Weihnachten rum, um nach Pakistan zu reisen. Pakistan? Was wollen Sie denn da? Henry Rollins: Rumschauen. Mal sehen, was passiert. Mal sehen, ob ich in die Luft gesprengt oder abgeknallt werde. Ich habe eben beschlossen, dahin zu reisen und jetzt mache ich das auch. Ganz alleine? Ohne Begleitung? Klingt nämlich etwas gefährlich... Henry Rollins: Naja, Detroit ist auch gefährlich. Mal sehen, was passiert. In diesem Jahr bin ich alleine nach Syrien, in den Libanon, nach Jordanien und nach Israel. Eine Reise nach Pakistan schien mir einfach eine nette Möglichkeit zu sein, das Jahr zu beenden. Einfach mal an einen Ort zu kommen, wo die Situation nicht wirklich geregelt ist. Unterscheiden sich Ihre Reiseziele wirklich so von der westlichen Welt? Henry Rollins: Bis zu einem gewissen Punkt. Im Iran leben allerdings Perser, weshalb das dort auch keine arabische Kultur ist. Ajatholla Khomeini ist zwar auf dem Geld, dem Rial, abgebildet, die Leute dort sind aber schwer in Ordnung. Ich habe das ganze Land alleine bereist. Viele Europäer fahren da zum Skifahren hin. Ich habe alle möglichen Sprachen gehört. Und ich glaube wirklich nicht, dass der Iran zu den schlimmsten Plätzen der Welt gehört. Was können Sie zu den anderen Ländern sagen? Henry Rollins: Der Libanon ist wie eine Partystadt. Niemand macht sich Gedanken über deine Einreise. Die sehen sich nur deinen Pass an, hauen einen Stempel rein und dann heißt's "Hey" Immer rein mit Dir!" In Syrien dagegen meinte der Typ gleich "Was wollen Sie in Syrien?" Also sagte ich: "Naja, ich will's mir mal ansehen." Er: "Was werden Sie hier tun?" Ich: "Keine Ahnung. Ich hab ein paar Tage und absolut keinen Plan." Aber die Leute dort waren dann sehr nett zu mir. In Jordanien genauso. Leider war es sehr kalt und regnerisch. Und jetzt bin ich eben schon sehr gespannt darauf zu sehen, wie Pakistan so ist. Ist auch die einzige Zeitspanne, wo ich frei habe. Bis Mai ist bei mir alles voll gepackt.


Haben sie durch diese Reisen Ihre Meinungen geändert? Henry Rollins: Nicht, was die Länder betrifft. Weil ich ehrlich gesagt kaum etwas über sie wusste. Ich wusste, was ich darüber gelesen oder in den Nachrichten gesehen hatte. Was ich durch diese Reisen allerdings erkannte, war, wie sehr die amerikanischen Medien zu einem Sprachrohr der Bush-Administration geworden sind, die reine Propaganda betreiben. Ganz gleich, ob es um den ökonomischen Krieg geht oder um diese Krieg-ohne-Ende-Politik. Wenn man sich FOX News ansieht, bekommt man den Eindruck, dass wir die Iraner so schnell wie möglich killen sollten. So sieht's aus. Und selbst wenn alle 15 Geheimdienstabteilungen zusammenkämen, um dem Präsidenten mitzuteilen: "Hey Mr. President, der Iran verfügt über keinerlei nukleare Möglichkeiten, strebt diese auch nicht an und tat das auch nicht während der vergangenen Jahre." Selbst dann würde der Präsident sagen: "Mir egal." Weil's einige Leute gibt, die diesen Krieg wollen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Weshalb sind Sie in den Iran gereist? Henry Rollins: Um's mal selbst zu sehen. Um ein Gespür für die Leute zu bekommen. Ein Gespür für die Stadt. Ich glaube CNN nicht mehr und dem Präsidenten auch nicht. Diese Reisen haben mir nicht besonders viel über Iran, Syrien oder den Libanon beigebracht, aber einiges über Amerika. Sprechen Sie über so was auch mit den Kollegen am Filmset? Mit Cuba Gooding Jr. zum Beispiel? Henry Rollins: Nein. Interessanterweise habe ich viele Filme währen der Zeit der Bush-Regierung gemacht. Der Typ spaltet das Land. Mittlerweile bist du entweder entschieden gegen ihn, selbst wenn du ihn gewählt hast oder du ihn einfach nicht mehr erträgst. Andererseits gibt es immer noch sehr viele, die der Überzeugung sind, dass das der richtige Mann für den Job ist. An einem Filmset bewegst du dich in einem isolierten Bereich. Egal was du sagst oder tust, ­ du musst damit all die Tage leben, die du am Set verbringst. Sehen Sie sich als Schauspieler? Henry Rollins: Ich bin kein Schauspieler. Ich halte mich einfach nur recht wacker in diesen Filmen. Um das hinzubekommen, muss ich mich allerdings extrem konzentrieren. Deshalb lass ich am Set auch nicht die Sau raus oder führe viele Gespräche. Ich bin sehr ruhig und sitze einfach nur alleine da. Wer dann an das Set kommt, muss Sie für einen ziemlich introvertierten Typen halten... Henry Rollins: Naja, ich muss mich eben konzentrieren. Ich habe das auch schon bei anderen Schauspielern mitbekommen. Die sind höflich, aber am Set um zu arbeiten. Allerdings sind die auch so gut, dass sie ihre Figur an- und ausknipsen können. Von Szene zu Szene. Ich kann das nicht. Deshalb genieße ich auch die Intensität des Ganzen. In einer unglaublichen Situation zu sein und sie für eine Minute glaubhaft zu gestalten. Wo wir gerade bei unglaublichen Situationen sind: Haben sie sich in letzter Zeit mal in einer befunden? Henry Rollins: Ehrlich gesagt nicht. Oh, warten Sie! Da war was, was mich echt fast umgehauen hätte: Vor ein paar Wochen haben ein paar Typen nach einem Konzert vorm Tourbus auf mich gewartet. Er saß in einem Rollstuhl, und als sie bei mir angekommen waren, sagte er: "Henry, das Konzert war großartig." Und dann hat er sich mit großer Mühe aus seinem Stuhl erhoben ­- er war teilweise behindert -­ und sagte: "Das ist der Moment, um es zu tun." Und da standen all diese Leute rum! Und plötzlich war es still. Und er dreht sich zu seiner Freundin, zieht einen Ring raus und macht ihr einen Antrag. Vor meinen Füßen, mit dem Rücken zu mir. Wurde der Antrag angenommen? Henry Rollins: Man konnte ihr ansehen, dass sie sich zunächst nur fragte: Hier? Jetzt? Musst du das vor deinem Helden Henry Rollins tun? Und vor all diesen Leuten? Sie hatte die Arme voller Kram, Jacken und so was, und musste das ganze Zeug erstmal umständlich ordnen, um die linke Hand freizubekommen, damit er ihr den Ring anstecken konnte. War alles etwas unbequem. Sie tat den ganzen Jungs leid, weil ihr dämlicher Freund das vor mir tun musste. Aber hoffentlich können die beiden in vielen Jahren über die Geschichte lachen. 2008 gibt's Präsidentschaftswahlen. Interessiert Sie's, wer gewinnt? Henry Rollins:> Extrem sogar. Aber momentan ist es noch etwas zu früh, vorherzusagen, wer das Rennen machen wird. Weil derzeit noch etliche Leute auf beiden Seiten um die Kandidatur kämpfen. Wir sollten alle mal einen Schritt zurück treten und uns die gesamte Situation ansehen, anstatt Einzelne herauszupicken. Stellen Sie mir diese Frage also in einem halben Jahr noch mal. Ich glaube jedoch, dass wir wieder einen republikanischen Präsidenten bekommen werden. Der Gedanke gefällt mir zwar überhaupt nicht, aber ich befürchte, dass es so kommen wird. Sollte es dann Truppen im Iran geben,­ werden Sie die genauso besuchen, wie die Truppen im Irak? Henry Rollins: Wieso sollte ich wegen des Kriegs auf die Soldaten sauer sein? Weil ich mich über Gesetze ärgere, bin ich ja auch nicht böse auf die Polizei. Die sind ja nicht für die Politik verantwortlich. Die Army hat den Krieg nicht erklärt. Sie haben es sich auch nicht ausgesucht, in den Irak zu gehen. Das haben der Präsident und das Pentagon zu verantworten. Soldaten sind nur Schachfiguren. Sie nehmen nur Befehle entgegen. Sie marschieren in Pittsburgh ein, wenn das angeordnet wird. Sie machen Kopfstand, wenn's befohlen wird. Ich werde also immer das Militär unterstützen, aber ich kann weder den Einmarsch in den Irak, noch seine Besetzung billigen. Im Falle Irans sähe ich es genauso. Henry Rollins ist gerade auf Tour durch Deutschland. Hier die Termine: 19.01.08 - Frankfurt / Main – Mousonturm 20.01.08 - Hamburg – Deutsches Schauspielhaus 21.01.08 - Berlin – Passionskirche 22.01.08 - Köln – Gloria

Text: matthias-wuerfel - Fotos: ap

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