Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Mein erster Gedanke war: Nicht schon wieder" - Rapper Saad über Krieg

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was hat dich dazu gebracht auf deinem Album, „Das Leben ist Saad“ - im Gegensatz zu deinem bisherigen Pöbel-Image - eine neue, andere Seite von dir zu zeigen? Ich rappe ja erst seit etwa zweieinhalb Jahren. Am Anfang habe ich mich sehr über die Chance gefreut, auftreten zu dürfen, auf einem Album dabei zu sein und zu sagen „Yeah, ich bin Gangsta!“. Aber irgendwann ist das auch nicht mehr so wichtig, irgendwann hat man alles für sein Ego getan. Für mein erstes Soloalbum war es mir sehr wichtig, dass ich als eigenständiger Typ angenommen werde und nicht immer als der Typ, der dauernd irgendwelche Mütter fickt. Im Moment herrscht im Libanon, deinem Heimatland, Krieg – wirkt vor diesem Hintergrund der szeneinterne Hiphop-„Kleinkrieg“, zum Beispiel zwischen dir und Fler, nicht etwas lächerlich? Wenn ich mir bewusst mache, was in meinem Land gerade passiert, ist mir das ganze Rapding total egal. Ich mache im Moment gar nichts, was mit Rap zu tun hat, sondern schaue den ganzen Tag nur Nachrichten und hoffe, dass meiner Familie nichts passiert. Die kommen aus dem Südlibanon und dort ist alles zerstört. Meine ganzen Verwandten sind jetzt nach Beirut geflohen, aber auch dort fallen Bomben. Erst gestern habe ich angerufen: Meine kleine Cousine hat einen Nervenzusammenbruch, weil sie so schockiert ist. Deshalb ist mir der ganze „Hiphop-Krieg“ im Moment scheißegal.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Womit habe ich das verdient“ ist Mitte Juni erschienen und jetzt durch den Krieg noch aktueller geworden. Es wirkt beinahe so, als hättest du den Krieg vorausgeahnt. In welcher Stimmung warst du, als du das Lied geschrieben hast? Der Krieg hat im Libanon nie aufgehört, deshalb habe ich das nicht vorausgeahnt. Es war nur eine Frage der Zeit und Zufall, dass ich das Video gemacht habe und ein paar Wochen später ist es losgegangen. Als ich den Song geschrieben habe, saß ich in meinem Zimmer, habe den Beat gehört und an alles zurückgedacht, - alles, woran ich mich erinnern kann und was mir mein Vater erzählt hat. Ich habe versucht das alles zu verarbeiten. Ich war nicht traurig, sondern glücklich, dass ich so ein Thema verarbeiten kann. Erst als ich später den Track gehört habe, kamen mir die Tränen. Wie hast du reagiert, als dich die Nachricht erreichte, dass in deinem Heimatland Bombenkrieg herrscht? Mein erster Gedanke war: Nicht schon wieder. Ich habe sofort meine Verwandten angerufen und gefragt, ob es ihnen gut geht und was passiert ist. Meine Oma kommt aus einem Dorf im Südlibanon und war noch dort. Ich habe zu ihr gesagt: „Was machst du denn noch da? Fahr nach Beirut!“ Im Südlibanon ist es nämlich noch gefährlicher als in Beirut. Sie hat aber gesagt: „Nein, die klauen uns die Wintervorräte!“ – „Aber dein Leben ist doch wichtiger als ein paar Wintervorräte!“ Und da hat sie gesagt: „Wie viele Kriege habe ich denn schon durchgemacht, das ist mir alles egal.“ Daran kannst du sehen, wie normal das für alle geworden ist. Was empfindest du, wenn du die Fernsehbilder siehst? Wenn ich die Fernsehbilder sehe, sehe ich mich vor zwölf Jahren und sehe genau dasselbe, was ich gesehen habe. Die Geschichte wiederholt sich. Ein Achtjähriger erlebt heute genau das, was ich vor zehn Jahren durchgemacht habe. Ich denke mir: Wie schade, jetzt bekommen die ganzen kleinen Kinder wieder keine Chance, etwas aus ihrem Leben machen zu können. Warum kann das nicht aufhören? Warum kann kein Frieden herrschen? Redest du mit deinen Eltern und deinen Freunden über die aktuelle Situation im Libanon? Wir sitzen immer alle vorm Fernseher und natürlich reden wir darüber. 24 Stunden laufen auf den arabischen Sendern Nachrichten – da kommen gar keine Sendungen mehr. Wir machen eigentlich nichts anderes als Nachrichten zu schauen und über diesen Krieg zu reden. Mein Vater geht nicht einmal mehr arbeiten. Mit meinen libanesischen Freunden brauche ich gar nicht mehr viel über diese Sachen zu reden, weil die genau das Gleiche machen. Meine deutschen Freunde fragen natürlich, ob was passiert ist und wie es meiner Familie geht. Kannst du die Gründe Israels für den Angriff nachvollziehen? Ein Libanese darf eigentlich gar nichts gutheißen, was Israel tut. Allein deshalb muss ich sagen: Was die machen ist übertrieben. Ich denke mir immer: Warum töten die kleine Kinder. Wenn die wirklich ein Krieg gegen den Libanon führen wollen, sollen sie die Militärs und das Parlament angreifen und nicht Dörfer in denen kleine Kinder sind. Das kann ich nicht nachvollziehen. Wann warst du selbst das letzte Mal im Libanon und wie hast du die Situation erlebt? Gab es da auch schon Probleme? Probleme gibt es seit 20, 30 Jahren. Im Libanon herrscht immer Krieg. Das war auch für mich ganz normal. Als ich letztes Jahr im Sommer da war, habe ich geweint, als ich am Flughafen angekommen bin. Es hat zwar keiner mit Pumpguns auf uns geschossen, aber jede Woche sind bei Anschlägen Autos in die Luft geflogen. Ich war dort Essen und zweihundert Meter von dem Restaurant weg ist ein Auto in die Luft geflogen und ein paar Leute sind gestorben. Dann gibt es keine Panik. Leider Gottes ist es halt normal geworden, dass Menschen sterben.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Vor neun Jahren bist du mit deiner Familie nach Deutschland geflohen. Kannst du dich noch an die Zeit der Flucht erinnern? Ich kann mich an alles erinnern. Mein Vater durfte ja eigentlich den Libanon nicht verlassen, aber er hat Geld bezahlt, damit uns jemand hilft. Dieser Typ hat uns am Flughafen durch die Kontrollen gebracht. Die erste halbe Stunde hatte mein Vater im Flugzeug immer noch Angst, dass wir umdrehen müssen. Nach einer Stunde waren wir sehr, sehr erleichtert. Diese Stunde war echt hart: Mein Vater hat geschwitzt und ich hatte so richtig Angst, dass die meinem Vater was antun. Es war auf jeden Fall ein schlimmer Tag. Warum wurde dein Vater verfolgt? Mein Vater hat für den Libanon gekämpft und die Syrier haben meinen Vater deshalb verhaftet und zwei Jahre lang eingesperrt. Als er rausgekommen ist, hat er sofort alles für unsere Flucht organisiert, weil klar war, dass sie ihn zwei, drei Wochen später wieder festnehmen. Was war dein erster Eindruck von Deutschland? Wir sind erst nach Italien und dann weiter nach Paris geflogen. Von dort hat uns mein Onkel abgeholt und mit ihm sind wir nach Deutschland gefahren. Das war das krasseste: die Autobahn und der moderne Wagen – das kannte ich gar nicht. Ich dachte, dass wäre ein Raumschiff und wir wären im Traumland. Auf der Autobahn habe ich dann auf den Tacho geschaut und gefragt: „Wie du fährst 180? Das kann doch nicht sein, dass man so schnell fahren kann!“ Ich dachte, der Tacho wäre kaputt. Ich habe zu meinem Onkel gesagt: „Du bist ja total reich! Warum hast du nie Geld geschickt?“ Ich wusste nicht, dass das Standard ist. Als wir dann im Asylantenheim waren, habe ich mich wohlgefühlt, weil da alles kaputt und ekelig war – ich kannte das ja nicht anders: Es war wie im Libanon - vielleicht ein bisschen besser. Nach einem Jahr haben wir unsere Papiere bekommen und sind nach Bremen gezogen. Das war auch die Zeit in der du Deutsch gelernt hast? Obwohl ich ein kleiner Junge war, war für mich klar: Wir sind jetzt hier und du musst die Sprache lernen. Ich hatte zwei Sprachbücher und die habe ich auswendig gelernt. Ich habe in ein kleines Heft die Sätze, die ich brauchte, geschrieben und auch auswendig gelernt. Das Ganze war bestimmt manchmal grammatisch falsch, aber man hat schon verstanden, was ich will. So habe ich mir selbst in etwa drei Monaten Deutsch beigebracht. Hast du dich in Deutschland willkommen gefühlt? Auf jeden Fall. Wir haben unsere Papiere bekommen, ich konnte hier zur Schule gehen, meine Schwester macht gerade Abitur und wir haben ein schönes Haus. Ich weiß von Verwandten, dass Frankreich nicht ganz so freundlich ist, wie Deutschland. Dort hat man nicht so viele Chancen wie hier. Ich würde nie etwas gegen Deutschland sagen, weil Deutschland so viel für mich getan hat - das muss ich erst mal zurück zahlen. Deshalb bezahle ich auch gerne Steuern und meckere niemals. +++ Hier spricht Saad im jetzt.de-Podcast. +++ Fotos: Kasskara

  • teilen
  • schließen