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"Mein Instinkt sagt: Halt das fest"

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Mit 23 flog Dominic Nahr zum ersten Mal in das Krisengebiet Osttimur, um dort zu fotografieren. Seitdem hält es der freie Fotograf an keinem Ort lange aus. Getrieben von der Suche nach guten Bildern und Geschichten, fotografiert er unter anderem für das Time Magazin und die Agentur Magnum. Dafür reist er in die Katastrophenregionen der Welt: Kongo, Südsudan, Somalia, Haiti, Ägypten. Ein Gespräch über den Reiz von Extremsituationen, arbeiten unter Lebensgefahr und verwackelte Handyfotos aus Ägypten.

jetzt.de: Was reizt dich an Krisengebieten?

Dominic Nahr: Ich sehe mich selbst gar nicht als Krisenfotograf. Ich will verstehen wie Menschen funktionieren und das kannst du da, wo Geschichte sehr schnell passiert – in Extremsituationen.

Wie bist du dazu gekommen, schon mit 23 Jahren in Krisengebieten zu fotografieren?

Ich bin in Hongkong aufgewachsen. Ein Freund von meinem Vater war Fotograf bei der Nachrichtenagentur AP. Der hat meine Bilder gesehen und mich seitdem unterstützt. Ich hab dann angefangen, für eine Zeitung in Hongkong zu arbeiten und für die hauptsächlich das tägliche Leben in der Stadt zu fotografieren. Nach einem Jahr wollte ich aber etwas anderes machen und fuhr nach Osttimor, wo nach den schwere Unruhen 2006 tausende Menschen auf der Flucht waren. Da war ich 23.

Hast du Fotografie jemals professionell gelernt?

Meine Philosophie war immer „Learning by doing". Natürlich hab ich auch Workshops besucht, aber das was du zum Fotografieren brauchst, nämlich das Gespür für den Augenblick, kann dir niemand vermitteln. Das musst du selbst rausfinden.

Wie arbeitest du heute? Wie entscheidest du, wo du hin gehst?

Je nach dem, was passiert. Manchmal bin ich auch zufällig in der Nähe, wenn irgendwo was passiert. Anfang des Jahres war ich zum Beispiel in meinem Haus in Nairobi, als in Ägypten die Revolution losbrach. Ein paar Wochen später hab ich meine Familie in Hongkong besucht, als Fukushima passierte. Dann nehme ich Kontakt zum Time Magazin auf, für das ich arbeite, und zu meiner Agentur und wenn sie Interesse an den Bildern haben, fliege ich dort hin.

Wie arbeitest du vor Ort?

Das ist unterschiedlich und hängt davon ab, wo ich hinfliege. In manchen Gebieten bin ich allein unterwegs. Da sind dann auch keine anderen Journalisten. Dort entstehen die Bilder während ich durch das Land reise. In anderen Gebieten bin ich mit Leuten unterwegs die sich auskennen, idealerweise lokale Journalisten oder Übersetzer, die wissen, was wo passiert. Untergebracht bin ich dann irgendwo, wo noch andere Journalisten oder Fotografen sind. Und in Regionen, in denen es lebensgefährlich ist, wie zum Beispiel in Mogadischu, habe ich Personenschützer dabei.

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Hast du Angst, wenn du in so ein Gebiet reist?

Natürlich. Und ich denke, diese Angst ist wichtig. Sie bewahrt dich davor, leichtsinnig zu werden. Wenn du in solche Gebiete fährst, musst du total wachsam sein und jede Sekunde wissen, wo du dich befindest, wer die Leute sind, die um dich herum sind, wie weit du gelaufen bist und so weiter. Natürlich hilft es, dann Leute dabei zu haben, die sich auskennen, aber du kannst trotzdem nicht alle Verantwortung abgeben.

Es gibt von dir zum Beispiel ein Bild aus Haiti, wo nach dem Erdbeben Leichen in Massengräber übereinander gestapelt sind. Was geht dir durch den Kopf, wenn du so ein Bild machst?

In der Situation hatte ich keine Ahnung, was mich dort erwarten würde, und konnte mich dementsprechend auch nicht vorbereiten. Eine Grube voller Leichen und da ist kein Wächter, der auf sie aufpasst. Irgendwann kommt einfach ein Laster und kippt die Grube zu. Natürlich war ich geschockt, als ich das gesehen habe. Es ist nicht leicht, so was zu fotografieren. Aber in solchen Momenten leitet mich mein Instinkt, der mir sagt: „Halt das fest". Ich denke dann über nichts nach und schalte quasi auf Autopilot. Erst zu hause gucke ich mir das Bild an und hoffe, dass in dem Moment Herz, Hand und Kopf zusammen gearbeitet haben und ein gutes Bild entstanden ist.

Hast du manchmal Skrupel, solche Situationen zu fotografieren? Eigentlich nicht. Ich sehe mich als Informant, der den Leuten zeigt, was in solchen Ländern läuft. Und wenn das, was sich mir dort bietet, Realität ist, bilde ich das ab. Wenn du einige Wochen in einem Krisengebiet ist, fällt es dir schwer noch zu unterscheiden, was extrem ist und was nicht. Dafür haben wir ja dann die Redakteure und Verleger, die entscheiden, welche Bilder veröffentlicht werden. Wenn vor mir natürlich eine Frau sitzt und ihren kranken Jungen im Arm hält und nicht will, dass ich sie fotografiere, dann fotografiere ich sie nicht. Wenn da aber vor mit eine Grube voller Leichen ist, die nicht mal ordentlich vergraben sind, sondern mit Zement übergossen werden, muss ich das fotografieren. Es ist meine Pflicht so was zu dokumentieren. Dafür bin ich Fotograf.

Du warst auch Anfang des Jahres in Ägypten. Wenn ich an die Revolution dort denke, fallen mir als erstes verwackelte Handyfotos ein. Welchen Wert hat professionelle Krisenfotografie in einer Zeit, in der Jeder in jeder Situation Fotos machen und sie im Internet verbreiten kann?

Eine wichtige. Ich finde es gut, dass es so leicht geworden ist, Fotos zu veröffentlichen. Das gibt eine ganz neue Perspektive auf solche Geschehen. Ich sehe diese Handyfotografen als Partner. Aber woher wissen wir, dass alle ihre Bilder echt sind? Wir professionelle Fotografen werden dadurch nicht überflüssig. Wir haben eine Außenperspektive, die die Leute in der Demonstration gar nicht abbilden können. Und gleichzeitig sind diese Handyfotos für mich auch Ansporn, noch näher an das Geschehen ran zu gehen.

Wie verarbeitest du das, was du unterwegs gesehen hast?

Das Gesehene ist für mich nicht das Problem, das ist ja mein Job. Schlimmer sind die Gerüche und Gefühle, die ich vor Ort habe und die mich verfolgen. Aber wenn ich darüber rede, hilft das schon.

Denkst du, dass so ein Beruf abstumpft?

Nein, ich ergötze mich doch nicht an dem Leid anderer Menschen. Es geht mit viel mehr darum, zu zeigen, dass der Mensch, selbst in den schlimmsten Situationen, „normal" weiterleben muss und kann. Selbst wenn am Wegrand Leichen aufgestapelt sind und das ganze Dorf von einem Erdbeben zerrüttet ist, müssen sich die Leute trotzdem um Essen kümmern und ihre Kinder erziehen. Wer denkt, Afrika sei nur Elend, ist ganz schön kurzsichtig.

Wohin zieht es dich als nächstes?

Das kann ich nicht sagen, so was entscheide ich ganz spontan. Vor genau drei Jahren kam ich nach Berlin, um mich hier niederzulassen, aber nach ein paar Tagen bin ich wieder losgezogen nach Afrika. Jetzt bin ich zum ersten Mal seit drei Jahren wieder in Berlin. Mal sehen wie lange ich es hier aushalte. Ich kann nicht dauerhaft an einem Ort bleiben.

Zusammen mit sieben anderen Magnum-Fotografen hat Dominic gerade im NRW-Forum in Düsseldorf seine Ausstellung „Frontline – Die Macht der Bilder" eröffnet. Sie ist noch bis zum 8. Januar zu sehen.

Text: anne-fromm - Cover: Dominic Nahr/Magnum Photos

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