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"Mit Indie kann man ja auch Kuchen verkaufen, oder Porno!" Das Tocotronic-Interview.

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Euer achtes Album, wie anstrengend! Der Name Tocotronic schleppt heute so viel Geschichte mit sich, wie kann man sich einem neuen Album da noch unbefangen nähern? Dirk: Die Hörer sollen einfach nur zuhören oder nur tanzen und nicht auf den Rest achten. Ich finde es ja viel besser, wenn die ganze Geschichte der Band in jedem Stück ein bisschen zu hören wäre. Arne: Ich mag Wiederholungen. Ich fände es gar nicht schlimm, wenn einer sagt: Tocotronic, kennt man eine, kennt man alle. Wie bei Thomas Bernhard, das ist ja auch irgendwie immer dasselbe Buch. Kapitulation klingt aber doch wieder anders. Opulent wie damals "KOOK", aber auch ätherisch wie "Tocotronic". Dirk: Wir wollten das Gegenteil vom letzten Album machen. Das war ja sehr unräumlich und dogmatisch und diesmal: großer Raum, sehr offen, Mikrofone wie bei Klassikplatten, sehr symphonisch. Trotzdem nicht wie KOOK, weil sich die Sounds mit der Zeit einfach verändern, fast wie Modetrends. Die Rocklänge ändert sich. Diesmal habt ihr so viele wunderbare Refrains, ich habe seit zwei Tagen diesen „Hamonie,-ie, -ie“ – Chorus im Ohr. Ist das etwas, worauf ihr besonderen Wert legt? Arne: Man ackert sich nicht daran ab, einen Hit zu machen, der gleichzeitig wohlfeile Tiefe und Mächtigkeit hat oder so. Das geht ja nicht. Es geht immer nur darum, ob einem etwas interessant vorkommt, Relevanz hat. Wir halten am Grundformat „ Song“ in all seinen Konservatismen fest. Wir brauchen Songs. Und wir waren diesmal an einer Floppyness interessiert, unscharf und wolkig sollte es sein. Neue Poprock-Bands klingen ja gerade eher komprimiert und auf den Punkt zugeschnitten, unflexibel und steif.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Bandding funktioniert immer noch - Tocotronic im Jahr 2007: zu viert und sehr gut. Geht nicht vielleicht eher eure Ära zu Ende? Schließlich haben sich Blumfeld aufgelöst und fast zeitgleich hat euer Stammlabel L'age D'or den Betrieb eingestellt. Dirk: Das ist mir zu raunend, da so eine Verbindung aufzubauen. Ich habe zwar nicht mit Jochen Distelmeyer drüber gesprochen, aber vielleicht war das Blumfeld-Ende einfach eine rationale Entscheidung. Und bei L’age D’or war es ja tatsächlich eine buchhalterische Sache. Ich weise zurück, dass da ein Zusammenhang besteht. Arne: Das mit Blumfeld ist schade. Das war schon eine Band, von der man anfangs total Fan war und die uns ziemlich früh auf Tour mitgenommen hat, ein Wegbegleiter, da ist so was natürlich erstmal traurig. Aber vielleicht ja auch eine ganz gute Entscheidung. Und Hamburg? Dirk: Natürlich sind da alle älter geworden. Was in Hamburg Anfang der Neunziger an interessanter Szene bestand, das hatte sich schon verändert, als wir anfingen. Rückblickend lässt sich sagen: Alle diese Bands, die damals dort begannen, hatten großes Interesse am theoretischen Überbau und wollten einen gewissen Anspruch wahren. In den letzten Jahren hat eine Ausschlachtung dieser Idee stattgefunden. Es kamen sehr viele Bands nach, die das im vorauseilenden Gehorsam auch so machten. Das hat die Sache verflacht und kommerzialisiert. Eine Blumfeld-Platte hat einen Hörer ja stets zur Mitarbeit gefordert, da musste man sich auf Witze einlassen und Idiosynkrasien mitdenken. Die meisten Bands heute sind total geradeaus und eins zu eins, mit unbedingtem Willen zur authentischen Nähe zum Publikum. Und als Konsument glaubt man natürlich lieber den einfachen Angeboten, nicht an etwas, das aus Zweifeln und Widersprüchen gestrickt ist. Oder? Arne: Ganz viel gute Musik kommt ja gar nicht zu den Hörern, weil die Wege verstopft sind. Da ist so viel Krempl unterwegs. Dirk: Als wir anfingen, war die Frage: Wie kann man deutsch singen, ohne diesen schlimmen Deutschrock-Vorwurf zu bestätigen, weil das ja das Schlimmste war. Man musste also eine Art Kunstsprache erfinden, um dem zu entgehen. Die Sachen, die nachkamen sind ja meistens genau das: Deutschrock. Dieses Übersetzungstreben wurde einfach ausgelassen. Arne: Man will sich ja auch nicht beklagen, uns geht’s ja prima. Dirk: Wollt' ich damit auch nicht sagen. Arne: Nein, nein. Tocotronic ist für mich auch der Inbegriff der Fan-Band, also mit fanatischen Liebhabern, fanatischen Hassern. Gibt es aktuell eigentlich Bands, die einen so stark umtreiben? Oder anders: Ist man noch richtig Fan? Dirk: Auf jeden Fall. Man bekommt es nur selber nicht mehr so mit, wenn man älter wird und Musik nicht mehr Erkenntnis bringendes Medium Nummer eins ist. Man ist selektiver, hat aber trotzdem noch Fanmomente. Arne: Mich hat Animal Collective total geflasht, da habe ich auch gleich T-Shirts gekauft. Wenn man älter ist, ist es so: Wenn man endlich mal was gefunden hat, das man uneingeschränkt gut findet, ist man fast noch mehr Fan. Dirk: Man hört auch antizyklisch. Ich hatte gerade eine Phase, wo ich nur noch Incredible String Band gehört habe, weil mich das so wahnsinnig angesprochen hat. Also gründen Leute auch noch für Bands wie etwa die Kaiser Chiefs eigene Fanzines? Arne: Kaiser Chiefs, keine Ahnung. Dirk: Mag sein. Aber die interessieren mich eher nicht, das wäre so ungefähr die vierte Generation von Britpop, die man mitbekommt. So etwas wie Kaiser Chiefs gab es ja schon immer und das war schon immer Mainstream. Das hätte man damals auch schon nicht gehört. Arne: Na ja. Dirk: Weiß nicht, man hatte doch schon immer abseitigeren Musikgeschmack, man hat ja auch nicht U2 gehört, oder? Arne: Ich schon. Dirk: Hm, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Arne: Vielleicht zur nächsten Frage? Dirk (leise): Ich hab auch U2 gehört. Arne: Wenn man interessiert ist, muss man ja auch Grenzen ignorieren und Mainstream genauso bewerten, also mit demselben Instrumentarium wie das Abseitige. Dirk: Manchmal ist das ja musikalisch sogar interessanter, als das ganze Indiezeug. Überhaupt, Indie ist schon ganz lange ein blödes Präfix, damit kann man auch Kuchen verkaufen oder Porno. Ruhe Dirk: Indie fand ich schon immer doof, das Wort! Arne: Irgendwie so was von beknackt! Dirk:„Alternative“ ist natürlich noch schlimmer! Arne: Viel schlimmer!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das neue Tocotronic-Album "Kapitulation" erscheint morgen bei Motor/Universal.

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