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„Nicht mehr Backpackers-Paradise, aber auch nicht Fashionblog"

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jetzt.de: Johanna und du, ihr seid privat ein Paar, beide berufstätig und habt gerade euer zweites Kind bekommen. Viele Geschichten im Heft habt ihr gemeinsam produziert, zum Beispiel den Chef vom "Gilli" in Florenz besucht und einen Agriturismo-Betrieb. Wie habt ihr die Zeit dafür gefunden – immerhin ist das Heft eine reine Eigenproduktion. Habt ihr das 'im Urlaub' gemacht?
Andreas Wellnitz: Das Magazin entstand in einer Phase im letzten Jahr, in der wir beide gesagt haben: Wir brauchen jetzt eine Auszeit, und wollen dabei höchstens was verfolgen, das uns ein persönliches Ziel ist. Einfach mal ausprobieren, ob das klappt. Gerade war unsere erste Tochter geboren, sie war ein halbes Jahr alt. Wir sind zwei Monate durch Italien gereist. Es war von ihr abhängig: Wenn sie nicht reisetauglich gewesen wäre, hätten wir alles abbrechen müssen. Wir haben viele Pausen gemacht und letztendlich haben wir ja auch einiges an Fremdmaterial, also war es gar nicht so stressig.

Paradiso ist ja nicht nur ein Reiseführer, neben ortsgebundenen Geheimtipps kann man es auch als Magazin lesen, es gibt eine Geschichte über einen Büffelmozarellahersteller, ein Interview mit einem italienischen Philosophen, künstlerische Fotoessays. Welches Anliegen steckt hinter dem Heft?
Vorrangig wollten wir ein Heft machen, das unsere Art zu Reisen abbildet. Wir fragen vor einer Reise Freunde, Bekannte, Kollegen: Wo muss man da jetzt hin, was hat sich verändert, habt ihr Tipps für uns? Damit reisen wir, glaube ich, auf eine Art und Weise, wie es immer mehr Leute tun: Nicht in Reiseführern Rat suchen, sondern sich von privaten Tipps leiten lassen. Man findet dann ja nicht nur interessante Plätze und großartiges Essen, sondern trifft über Empfehlungen auch Menschen, die einen beeindrucken. Es sollte im Heft also auch viele Geschichten geben, die man auch zu Hause lesen kann, ohne wegzufahren. Es gibt erstaunlich wenige Hefte in dieser Richtung, das hat mich immer gewundert. Wir wollten echtes Reiseleben, dieses „So reisen wir heute", vielleicht auch ein bisschen autobiografisch, nicht mehr Backpackers Paradise, Zelten und so, aber auch nicht so Fashionblog-mäßiges Zeug, wo alles 500 Euro kostet.

 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


"Paradiso" besitzt eine sehr praktische Eigenschaft: Es kommt im Pocketformat.

Paradiso sieht ein bisschen aus wie "Apartamento" oder "Weekender", nur eben auf der Reise-Ebene. Glaubst du das ist jetzt im Kommen: Nach der alternativen Interior-Begeisterung auch eine neue Reiseästhetik?
Das lasse ich gerne gelten. Ich finde Apartemento ein wunderbares Magazin, kenne auch die Macher und empfehle jedem, der sich neu einrichten will, mal einen Blick in das Heft zu werfen. Denn ja, dieser Ansatz ganz normale Menschen zu zeigen, nicht immer alles so aufzupolieren, sondern das Schöne im Unspektakulären zu finden, das ist auch etwas, was wir möchten.

Warum glaubst du, funktioniert so etwas derzeit so gut?
Ich glaube, viele Menschen genießen es, dass es heute nicht mehr so darum geht, Superman-Vorbilder zu haben, sondern einfach nur eine Person, die wie man selbst ist, vielleicht ein bisschen darüber hinaus. So, dass erreichbare Sehnsüchte anprovoziert werden, im Rahmen des „Normalen". Das ist übrigens auch für unsere Länderauswahl interessant: Jetzt hatten wir Italien, das nächste Heft wird Frankreich, klingt ja erstmal so gefällig, was kommt wohl danach? Haha, Spanien? Aber wenn man jedes Land aus demselben Gefühl heraus besucht, mit diesem besonderen Blick, den wir verfolgen möchten, dann ist das gar nicht mehr so wichtig, ob das besuchte Land nun besonders exotisch klingt oder nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Im Editorial steht: "Wenn wir auf Reisen gehen, fragen wir vorher unsere Freunde, wir telefonieren mit Verwandten und sprechen auf dem Flur mit Kollegen, von denen wir glauben, dass sie so ticken wie wir." Habt ihr das für das Heft auch wirklich so gemacht?
Nee, gar nicht so streng. Wir hatten, als wir nach Italien gefahren sind, das Magazin ja schon im Hinterkopf. Johanna hat in Italien studiert und kannte daher bereits viele gute Orte und Menschen, wir hatten uns eine kleine Route eingezeichnet. Dann hat Juergen Teller uns von diesem Hotel auf einer Halbinsel in der südlichen Toscana erzählt, und ich wusste, dass Max Küng mal über dieses beste Restaurant Italiens berichtet hatte, dass die Mahlers ihre Mona Lisen auch in Florenz gesucht hatten. Die haben uns das Material dann gestellt.

Wie einfach ist es, wenn man mit seiner eigenen Freundin zusammenarbeitet, diszipliniert zu bleiben, und sich das nötige Gefühl von „Das ist jetzt Arbeit" aufrecht zu erhalten?
Das kann ich dir gar nicht genau sagen. Es war natürlich insofern oft schwierig, als dass wir nie wussten, ob das Ganze überhaupt funktioniert. Ich glaube, es hat funktioniert, weil wir einfach mal im eigenen Universum arbeiten wollten und es von vorne bis hinten zu Ende zu bringen. Nicht immer nur Dienstleister sein, seine Texte und Fotos in einer Redaktion abgeben und Schluss.

Wie lange hat es von der Idee bis zum Druck gedauert?
Im Juni und im August letzten Jahres sind wir unterwegs gewesen und im September haben wir sofort angefangen zu produzieren. Wir waren beide eine Zeit lang in Elternzeit, da konnten wir am Heft viel machen. Im Mai dieses Jahres war es fertig.

Wie habt ihr das Heft finanziert?
Aus eigener Tasche, deshalb ist es auch eher eine Art Reise-Fanzine geworden. Alle haben gratis gearbeitet, unsere Art-Direktorin Jasmin Mueller-Stoy, wir, auch das Fremdmaterial haben wir kostenlos bekommen. Wir versuchen das jetzt natürlich irgendwie über den Abverkauf querzufinanzieren, das könnte klappen, wenn wir mehr als die Hälfte von den 2000 Exemplaren verkaufen. Die Reisekosten vergessen wir jetzt aber lieber mal. Wir sind keine Millionäre und müssen das jetzt alles wieder aufholen. Aber momentan kümmere ich mich einfach um nichts lieber als um Paradiso. Auch wenn ich aus geschäftlicher Perspektive lieber etwas anderes tun sollte.

Wieso eigentlich "Paradiso"?
Hat noch keiner gefragt und ehrlich gesagt weiß ich es nicht mehr. Der Geschmack von diesem Wort ist gut, und irgendwie hat es auch mit unserer Italien-Affinität zu tun. Wir hatten anfangs überlegt, immer nur über Italien zu schreiben, in jedem Heft. Wir wollen das Paradies im Kleinen zeigen, an einer Bar an der Amalfi-Küste, wo man seinen caffè trinkt und wirklich glücklich ist.

Wart ihr schon immer reiseaffin?
Ja. Kurz bevor Johanna und ich 2007 zusammenkamen, habe ich ihr ein Buch geschenkt, „Die Erfahrung der Welt" von Nicolas Bouvier. Darin fährt der Schriftsteller mit einem Freund vom Genfer See durch Jugoslawien, Griechenland, Türkei, Iran und Afghanistan. Ich habe da eine Widmung reingeschrieben. Über dieses erste Flirten war schnell klar, dass wir gewisse Sehnsüchte teilen, geheimnisvolle Orte, Namen von Orten, wie „Islamabad". Als wir dann zusammen waren, haben wir uns gleich das Auto der Großmutter geliehen und sind von Berlin nach Istanbul. Wir fahren natürlich nicht dauernd weg, auch wenn wir am liebsten davon leben würden. Aber der Sommerurlaub ist immer ganz gut, um mal in andere Städte zu kommen.

Wie sind die Rückmeldungen zum Heft bisher?
Dadurch, dass wir den Großteil selbst übers Netz verkaufen, bekommen wir wunderbare Rückmeldungen. Eine Frau hat es während einer Reise entdeckt, bestellt und daraufhin ihre Flugroute noch mal geändert, um einen vorgestellten Ort zu besuchen. Andere sagen: Bitte schickt es ganz schnell, wir fahren in ein paar Tagen nach Italien.

Wo kann man es sonst noch kaufen?
Wir vertreiben es über die typischen Magazinläden wie Soda in München oder Do you read me? In Berlin, und in den Deichtorhallen in Hamburg. Außerdem über Motto Distribution, die das Heft auch nach Basel oder Zürich bringen. Aber dadurch dass es kürzlich im Zeit-Magazin abgebildet war, sieht es zum Beispiel auch der Uni-Professor aus Heidelberg, der mit seiner Frau im Nachtzug nach Venedig fährt. Mir ist schon wichtig, dass es irgendwie Mainstream-Charakter hat, dass es Menschen zwischen 20 und 83 anspricht, und dass es für niemanden zu ‚arty' oder abgehoben ist.

Wie oft wird es Paradiso geben?
Derzeit schaffen wir es wohl nur einmal im Jahr. Das nächste Heft dreht sich um Frankreich.

Gibt es bis dahin einen Netzauftritt?
Ja, gerade bereiten wir ein kleines Programm für die Brückenzeit zwischen den Heften vor. Es soll auf einer Art kuratiertem Reiseblog kleine Tipps geben von Leuten, denen wir vertrauen. Wir wollen da dann auch einfach mal eine gute Eisdiele in Berlin vorstellen.

Text: mercedes-lauenstein - Foto: privat

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