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"Nur mit dem Handy konnte ich ganz nah an die Menschen herankommen"

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Am Ende verlässt man den Kinosaal mit dem Gefühl vor Ort gewesen zu sein, mitten in Teheran. Die iranische Regisseurin Sepideh Farsi nimmt den Zuschauer in ihrem Film „Teheran without permission“ mit auf eine Reise in die iranische Hauptstadt. Dabei kommt sie den Menschen der Stadt so nah, dass man glaubt als blinder Passagier unerkannt in einem Koffer mitzureisen. Die Collage einer pulsierenden Metropole voller Widersprüche gelang ihr ohne schweres Gepäck, denn sie drehte den Film mit der Kamera ihres Handys. jetzt.de: Welche Idee steckt in Ihrem Film? Sepideh Farsi: Ich wollte ein Portrait von Teheran drehen und dabei möglichst viele Facetten der Stadt zeigen. Die Stadt ist unglaublich lebendig, voller Widersprüche und oft auch paradox. Teheran ist eine Mischung aus den Gegensätzen zwischen Religion und High-tech, Tradition und Moderne, arm und reich. Mir ging es um das Alltagsleben der Menschen und so sind viele Szenen in Taxis, Cafes oder einfach auf der Straße entstanden. Außerdem wollte ich zeigen, dass man in Teheran auch Spaß haben kann. Zwar eingeschränkt, aber es gibt Partys, Kinos und Theater. Gleichzeitig kann fast alles ein politisches Statement sein – das Auftragen von Lippenstift, oder so banale Dinge wie ein Bier zu trinken, westliche Musik zu hören oder ein Kuss auf der Straße. Was bedeutet Ihnen die Stadt persönlich? Teheran wird immer meine Stadt sein. Ich bin dort geboren und habe die ersten zwölf Jahre meines Lebens dort verbracht. Ich lebe zwar seit über zwanzig Jahren in Paris und ich fühle mich dort sehr wohl. Aber wenn ich einige Monate nicht in Teheran war, vermisse ich die Stadt sehr und bin ganz unglücklich. Die Stadt ist eine spannende und riesige Metropole, die sich unglaublich schnell verändert. Es gibt immer etwas neues wenn ich hinfahre. Ich hoffe auf einen freien Iran, dann möchte ich wieder in Teheran leben. Warum haben sie sich entschieden, mit dem Handy zu drehen? Ich hätte keine Drehgenehmigung für meinen Film erhalten und das Handy hat mir die Möglichkeit gegeben, ganz nah an die Leute heranzukommen. Die meisten haben schnell vergessen, dass ich überhaupt gedreht habe. Klar, es gibt auch Wackler in diesem Film und technisch ist er nicht perfekt, aber so hat man als Zuschauer das Gefühl, dabei zu sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Szene aus dem Dokumentarfilm "Teheran without Permission". Im Rückspiegel des Motorrads ist Regisseurin Sepideh Farsi zu sehen, während sie mit ihrem Handy filmt. Welche Rolle spielt das Handy im Iran? Das Land ist technikbegeistert und handyverrückt. Handys sind sehr wichtig, das hat man während des Aufstands gesehen. Es war die einzige Möglichkeit, Bilder aus der Stadt zu zeigen. Aber auch im Alltag spielen sie eine große Rolle. Es werden unglaublich viele SMS verschickt, viel mehr als in Deutschland. Man schickt sich Nachrichten, aber auch Gedichte oder Witze. Und die meisten lassen bewusst ihre Bluetooth-Verbindung aktiviert und man erhält so auch von fremden Leuten Nachrichten. Daher bin ich mit meinem Handy kaum aufgefallen. Hatten Sie Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten? Einmal wurde ich von der Polizei angesprochen und ich musste die Files mit dem gedrehten Material löschen. Danach war ich sehr vorsichtig und zum Glück gab es keine weiteren Zwischenfälle. Wann haben Sie den Film gedreht? Zwischen Frühling 2008 und dem iranischen Neujahrsfest (21. März 2009, Anm. d. Red.). Zwei Wochen vor den Wahlen habe ich das Land verlassen. Wie war die Stimmung kurz vor den Wahlen in der Stadt? Die Situation war angespannt. Es war als wäre eine Feder unter Spannung gewesen, kurz vor dem Aufsprung. Man konnte die Stimmung im Land, insbesondere bei den jungen Leuten spüren. Das Gefühl der Unterdrückung, die Sehnsucht nach Freiheit. Gerade die jungen Leute haben keine Angst mehr. Das ist anders als bei denen, die die Revolution noch miterlebt haben. Die neue Generation, die nach der Revolution geboren und aufgewachsen ist, weiß wie man mit dem System umgehen muss. Sie sucht sich ihre Ausflüchte und Wege für ihre Freiheiten im privaten Raum. Sie lässt sich nicht mehr einschüchtern. Aber es gibt doch politische Propaganda des Regimes. Klar, die Generation steht unter Gehirnwäsche und Propaganda, aber sie hat durch die Medien, das Internet und Satellitenfernsehen die Möglichkeit, sich zu informieren. Fast jeder hat eine Satellitenschüssel und die Leute sehen BBC oder Arte. Das Regime versucht zwar immer wieder das Satellitenfernsehen oder das Internet einzuschränken, aber sie kann den Zugang nicht ganz verhindern. Die Bilder vom Aufstand in Teheran sind aus den europäischen Nachrichten verschwunden. Heißt es, dass der Widerstand verstummt ist? Nein, der Aufstand geht weiter. Die Bewegung ist zurzeit in einer schwierigen Phase, sie ist geschwächt, aber es wird weiter gehen. Das Semester fängt bald wieder an und ich bin mir sicher, sie werden weiter machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sepideh Farsi Ihre Filme sind im Iran verboten. Was müssen Sie befürchten, wenn sie wieder einreisen? Man kann sich nie sicher sein. Es kann immer passieren, dass man nicht wieder ausreisen darf. Rein kommt man in der Regel, es kann aber sein, dass sie einem den Pass bei der Ausreise nicht wiedergeben. Was wünschen Sie sich für den Iran? Freiheit. Was können Exil-Iraner für ihr Land tun? Ich versuche aus dem Exil heraus die Opposition zu unterstützen. Die Farbe Grün war zunächst die Farbe von Mussawi, dem politischen Gegner Ahmadineschads, aber inzwischen ist das Grün der Schals und Tücher die Farbe einer ganzen Bewegung geworden. Vor kurzem gab es im Iran eine Fußballübertragung aus Teheran und im Publikum saßen viele Menschen, die grüne Tücher hochhielten. Das Regime hat angeordnet, das Spiel nur noch in schwarz-weiß auszustrahlen, um zu verhindern, dass die grünen Tücher, und damit der Protest, zu sehen waren. Aber die Zeichen des Protestes sind da und wir Exil-Iraner sind die Botschafter und der Lautsprecher der Widerstandsbewegung im Iran. Gerade jetzt müssen wir den Iranern im Land Hoffnung geben. Sie brauchen unsere Energie und Unterstützung, um weiterzumachen. Sepideh Farsi wurde 1965 in Teheran geboren, ist Regisseurin und Autorin und lebt seit 1984 in Paris. Ihr aktueller Film „Teheran without permission“, den sie heimlich mit ihrem Handy gedreht hat, zeigt ein Porträt der Stadt zwischen Alltag und Aufstand. Der Film entstand noch vor den Wahlen und den darauf folgenden Protesten und zeigt, dass sich die Menschen schon lange nach Freiheit sehnen. Auf dem Filmfest in Hamburg feierte der Film Deutschlandpremiere.

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