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"Österreich ist ein kleines Land mit nur Scheißdreck im Kopf"

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Hermes Phettberg, Publizist und Elender, Arglos zeigte ich mich her, denn ich wurde nicht satt, ob des Existierens mich zu wundern. Das empfand der kommunikationsblockierte Landstrich als Kriegserklärung." Diese Worte empfangen den Besucher auf Hermes Phettbergs Website. Von 1994 bis 1996 konnte man den damals noch 170-Kilo schweren Österreich-Kritiker in seiner legendären "Phettbergs Nette Leit Show" im Fernsehen auf 3Sat sehen. Danach sah man zumindest in Deutschland nicht mehr viel von ihm. Am Samstag soll Hermes Phettberg nach München kommen. Es ist sein erster Auftritt in diesem Jahr. Ein Anruf in Wien

Hallo Herr Phettberg, Sie kommen am 1.11. nach München in die Glockenbachwerkstatt? Ja, ich muss aber am Abend wieder zurück. Ich fahre mit dem Zug hin und mit dem Auto zurück. Am Abend geht es wieder zurück. Anders geht es nicht. Sie hatten vor zwei Jahren noch einmal einen Schlaganfall und sind seitdem gesundheitlich sehr beeinträchtigt. Ja, aber sie merken, ich kann halbwegs reden. Und auch halbwegs gehen. Was genau machen Sie denn in München? Ich werde über Themen plaudern, die in meinem Kopf sind. Zum Beispiel? Ich bin ein Mensch, der noch nie eine sexuelle Beziehung hatte. Hm. Ich stehe auf SM. SM ist auch ein Liebesakt. Das wissen Sie. Es sind keine groben Gesellen. Im Gegenteil, SM-Leute sind keine groben Gesellen. Haben Sie meine Texte gelesen? Ehrlich gesagt, nein. Ich kenne Sie nur aus ihrer TV-Show damals im österreichischen Fernsehen? Gelesen haben Sie noch nie etwas? Da wagen Sie es, mich anzurufen! Sie grober Geselle, Sie! Ich dachte, ich könnte auch so mit Ihnen reden. Über Jörg Haider zum Beispiel. Geh, bitte. Das ist doch primitiv! Glauben Sie, dass man in Österreich mehr provozieren kann und muss als in Deutschland? (schreit) Ich habe noch nie in meinem Leben die Absicht gehabt, jemanden zu provozieren! Noch nie! Seit Jahren schreibe ich hunderte, ach, tausende von Seiten und Sie haben noch keinen einzigen Text von mir gelesen! Sie grober Geselle Sie! Das ist kein Witz. Da kommen Sie einfach her und wollen ein Interview. Das ist unglaublich! Unglaublich, was Sie sich erlauben! Wer sind Sie denn überhaupt? Jörg Haider ist… Ich hasse Jörg Haider wie die Hölle! Na, das ist ein Wahnsinn! Säßen Sie mir gegenüber, ich hätte sie geohrfeigt. Das ist das letzte. Nein! Hallo? … Zweiter Anruf: Hallo Herr Phettberg, eigentlich wollte ich mit Ihnen über Österreich sprechen. Na, geh bitte. Österreich ist ein kleines Land mit nur Scheißdreck im Kopf. Aber Sie leben dort ja trotzdem immer noch. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Jeden Tag schreibe ich Tagebuch auf www.phettberg.at/gestion . Dort steht alles. Was glauben Sie, wie alt ich bin. Ich habe keine Wahl. Wie leben Sie jetzt? Arm, arm wie eine Kirchenmaus. Es ist so traurig. Haben Sie keine Freunde? Lesen Sie mein Tagebuch! Er ist so ein Trottel, da kommt er daher, weiß gar nichts und will ein Interview. Das ist der Wahnsinn! Diese Erbärmlichkeit. Was stört Sie denn jetzt so? Jedes Wort von Ihnen ist einfach unmöglich! Hören Sie sich doch einmal ihre Fragen an. Das ist unglaublich! Nach Haider fragt ja nun wirklich jeder Trottel. Hat Sie die überwältigende Trauer um seinen Tod schockiert? Kärnten ist ein im Kern faschistisches Land. Österreich de facto auch. Glauben Sie, dass Figuren wie Jörg Haider in jedem Land Europas möglich sind oder war er ein speziell österreichisches Phänomen? Das kommt darauf an, wie tief ein Land sinkt. Haider war ein Populist, genauso wie Berlusconi in Italien. Populisten haben populäre Produkte. Die Kronen-Zeitung hat Österreich regelrecht erpresst.


Wird Haider nun einen Nachfolger bekommen? Zum Beispiel Stefan Petzner? Ich glaube nicht, ich hoffe es nicht. Petzner ist eine Witzfigur. War Jörg Haider schwul? Nichts gegen Schwule. Nichts gegen Schwule. Nichts gegen Schwule. Jörg Haider hat nie gegen Schwule gewettert. Nie. Sie haben ja keine Ahnung. Keine Ahnung haben Sie. Haben Sie den Eindruck, dass sich Österreich in den letzten Jahren liberalisiert hat? Nein, eher nein. Siehe Kronen-Zeitung. Dieses Blatt beherrscht ganz Österreich. Eher wird Irland liberaler als Österreich. Ein Schlafwagenschaffner in Hannover hat mehr Courage als jeder Schaffner in Österreich. Herr Phettberg, von was leben Sie eigentlich im Moment? Von Auftritten wie dem in München am Samstag? Das ist mein erster Auftritt in diesem Jahr. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Schauen Sie sich mein Tagebuch an! Lange Zeit war ich noch zu stolz, um auf das Sozialamt zu gehen. Jetzt aber lebe ich von Sozialhilfe. Ich habe mich selbst versachwaltern lassen. Man kann sich in Österreich versachwaltern lassen. Wissen Sie, was das ist? Das muss es in Deutschland auch geben. Nein. Ach, Sie wissen ja gar nichts. Das ist eine Art Vormundschaft. Ich habe eine gesetzlichen Vertreter, der mich betreut. Sie klingen resigniert. Naja, wer ist nicht resigniert, wenn er seit Jahrhunderten keine Chance mehr hat? Ich muss meine Zeit für so ein Interview opfern. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Für 50 Euro fahre ich nach München. 50 Euro! Freuen Sie sich auf München? Also, lieber würde ich nach Köln fahren. München ist wirklich das letzte, das man sich wünscht. Geh bitte, gegen Wien ist München ein Schaas. Ich würde auch nach Hannover fahren, aber es lädt mich ja niemand mehr ein. Niemand. Ich bin einsam wie die Hölle. Freunde habe ich ja auch keine. Nur ein paar wenige, ich nenne sie „Nothelfis“. Aber Sie kriegen Besuch? Ganz wenig. Heute ist mir mein Handy heruntergefallen und ich musste jemand anrufen, dass er mir hilft. Österreich ist ja trotz des Faschismus’ ein sehr hilfsbereites Land. Laut der Kronen-Zeitung sind die Österreicher die spendenfreudigste Nation der Welt. Die Aktion „Licht ins Dunkel“ kommt auch von hier und wurde in Deutschland kopiert. Sagen Sie, Sie hatten wirklich noch nie Sex? Nein, Vorsicht. Ich war früher oft in Logen. So nennt man in Wien die „Klappen“. Aber das war immer nur einen Moment. Ich hatte noch nie eine Liaison. Woran liegt das? Wahrscheinlich wird das an mir liegen. Das ist ja irgendwie logisch. Haben Sie mich je auf Fotos gesehen? Ich war 170 Kilo schwer. Ich war fresssüchtig. Jetzt wiege ich nur noch 70. Mein einziges Glück: Ich hatte nur einen sehr leichten Schlaganfall. Aber ich zerbröckele. Es ist alles vorbei. Hermes Phettberg wird 1952 in Österreich geboren. Er arbeitet zunächst als Bankangestellter und dann als Pastoralassistent. Er gründet diverse Zeitschriften, schreibt und schauspielert. 1995 wird er mit "Phettbergs Nette Leit Show" einem größeren Publikum auch außerhalb Österreichs bekannt. Nach Absetzung der Show beschäftigt er sich das folgende Jahr mit dem Aufräumen seiner Wohnung. Phettberg schreibt eine Kolumne "Predigtdienst" in der österreichischen Zeitschrift Falter. 2007 dreht der österreichische Regisseur Kurt Palmer einen Kinofilm über ihn ("Hermes Phettberg, Elender"). Laut eigenen Angaben ist Hermes Phettberg "depressiv (im Sinne von neurotisch verwahrlost), freßsüchtig, einsam und allein (in ihn war noch nie wer verliebt), (...), schaut viel fern und wirft schwer weg." Er ist außerdem schwer verschuldet und leidet unter den Folgen seines letzten Schlaganfalls.

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