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"Retro ist ein emotionales Thema"

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jetzt.de: Täuscht es, oder kommt das Wort „Retro“ in den letzten zehn Jahren sehr häufig vor? Sara: Es wird oft benutzt, aber meistens hat man dabei nur die Klischees im Kopf, also zum Beispiel die Optik der 70er-Jahre oder einen VW Beetle. Wir fanden, dass diese Sicht viel zu beengt ist und das Thema „Retro“ gerade dann spannend wird, wenn man es weiter fasst. Für uns werden Autos designt, die an alte Autos erinnern, wir tragen OldSchool-Fake-Sneaker und in den Bars, in denen wir uns wohl fühlen, hängen alte, orangene Lampen an der Wand. Sind wir eine rückwärtsgewandte Generation? Rückwärtsgewandt klingt so negativ. Ich glaube, dass man sich heute eben oft von Altem inspirieren lässt und dabei wieder neue Sachen entstehen. Fast alle Design-Formen waren ja schon mal da, dadurch, dass man sie immer neu und anders mischt und interpretiert, entsteht trotzdem etwas Eigenes. Looking back to the future, sagen wir dazu. Wie nennt man denn unsere Designepoche? Grundsätzlich sind wir wohl immer noch in der Postmoderne. Was später als eigener Stil unserer Epoche bleiben wird, muss schon prägnant sein, wie etwa die kristallin-geometrischen Muster, die Konstantin Grcic bei seinem Chair One entworfen hat. Das ist ein typisches Design unserer Zeit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Designvergleich: Links Bob-Dylan-Plakat aus den Siebzigern, rechts Werbung aus der Neuzeit. Warum springen wir auf Retro-Sachen so an und assoziieren sie immer so positiv? Das ist ein emotionales Thema. Zum Beispiel wenn es jetzt Neuauflagen der simplen Computerspiele aus der Anfangszeit gibt, dann erinnert das viele natürlich an eine gute Zeit als Kind oder in der Grundschule, wo alles einfach war und diese Spiele sind ja auch ganz simpel. Das wirkt dann erfrischender als die überperfekten virtuellen Spiele von heute. Aber ich finde ja vielleicht auch Produkte und Designs ansprechend, die aus Zeiten stammen, die ich gar nicht erlebt habe. Dann transportieren diese Optiken eben etwas. Das bunte Popdesign der 70er-Jahre symbolisiert für uns ja zum Beispiel immer noch Party und Freiheit. Dann gibt es die Ästhetik des Punk, die für immer mit Protest verbunden ist. Retrodesign ist wie eine eigene Sprache. Ich sehe heute einen Flyer, der für eine Party mit Punk-Schrift und Symbolen wirbt und weiß genau, welche Stimmung das transportieren soll. Hier gibt es übrigens auch wieder einen spannenden, modernen Ansatzpunkt: Wenn man die Erwartungen enttäuscht, die Betrachter also wissentlich auf die falsche Fährte lockt und etwa mit Punkstyle für ein Edel-Label wirbt. Aber die Retro-Sneaker, die seit zehn Jahren in den Regalen stehen, sind ja keine Misch-Designs mit neuer Interpretation, sondern sollen möglichst originalgetreu sein. Kaufst du dir solche? Wenn sie toller aussehen als die aktuellen, würde ich wohl auch die nachgemachten Retros nehmen. Natürlich fand ich am Anfang solche Re-Editionen eher blöd, aber bei der Arbeit an dem Buch habe ich gemerkt, dass so etwas auch seine Berechtigung hat. Es gibt verschiedene Arten von Retrodesign. Manche Designer verwenden nur Zitate, die man nur als Eingeweihter versteht, andere machen die Referenz ganz offensichtlich. Viel besser finde ich allerdings, wenn man sich von historischen Entwürfen inspirieren lässt, um etwas Neues zu entwickeln. Solche Positivbeispiele zeigen wir ja auch in unserem Buch. Ist Design wie Mode, so dass ständig eine andere vergangene Epoche wieder Trend wird? In der Mode gibt es so viele Trends gleichzeitig, dass man den Überblick verliert. Aber im Buch behandeln wir den Begriff ja auch interdisziplinär und sehen schon Parallelen zu Mode. Man spricht ja auch erst dann von einem richtigen Revival, wenn die Anklänge in allen möglichen Disziplinen wieder auftauchen. Wie kommt es, dass du so ein dickes Buch über Design machen darfst? Ich habe Kommunikationsdesign studiert und mein besonderes Interesse gilt den Stil-Epochen. Deswegen habe ich auch bei meinem ersten Buchprojekt zusammen mit meinem Partner Achim den „Formstrahl“ gemacht - ein Buch, das leicht verständlich Überblick über die Epochen geben soll. Danach kam der Verlag mit dem Thema „Retrodesign“ und wir haben angefangen, das Konzept zu entwickeln und daran zu arbeiten. Das war fast wie ein zweites Studium. Natürlich ist das schon ein Glücksfall, diese Arbeit, denn auch Buchgestaltung und Illustrationen gehören ja zu meinem Beruf. Es ist genau das, was wir mit unserem Designbüro machen wollen. Was ist denn deine Lieblingsepoche? Art Deco finde ich toll, diese zum Teil dekadente und luxuriöse und dabei doch geometrische Strenge finde ich sehr interessant. Dieser widersprüchliche Stilmix hat viel mit dem heutigen Design zu tun.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Buch "retrodesign: stylelab" von Sara Hausman und Achim Böhmer ist im Verlag Herman Schmidt erschienen und kostet 89 Euro.

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