Es scheint ja nicht so zu sein, dass Schwulenhass in jüngeren Generationen nachlässt.
Nein. Ich bin oft überrascht, wie viel hier unsere Elterngeneration dazu gelernt hat, wie extrem im Gegensatz dazu viele 15 oder 16-Jährige über Schwule reden. Das kann man dadurch erklären, dass Jugendliche in einer Selbstfindungsphase und damit krasser und unüberlegter sind. Das hat aber auch mit der „Sichtbarwerdung“ zu tun. Das provoziert. Hier gibt es einen Reibepunkt, da müssen wir aufpassen, in welche Richtung das läuft. Der Umgang mit Schwulen hat auch immer mit Zeitgeist zu tun. Und der scheint zu kippen.
Woran liegt das?
Warum hasst ein Rechtsradikaler Ausländer, warum werden manche Nazis? Ich weiß es nicht. Ich bin schwul und ich habe nie jemandem etwas getan. Vielleicht ist es durch das Internet für einige hier viel leichter, anonym zu dissen. Vielleicht spielen – etwa in den Vorstädten – auch ungelöste Migrationsprobleme mit hinein. Alleingültige Erklärungen sind das aber auf keinen Fall.
Dabei sah der Zeitgeist doch so schwul wie nie zuvor aus: Schwule Politiker, schwule Schauspieler, schwule Popstars …
Ja, schon. Aber was interessiert sich ein Jugendlicher für Wowereit oder Elton John? Die sind viel zu weit weg. Ich warte auf ein Outing von einem Fußball-Nationalspieler. Das würde etwas bringen, der wäre ein Vorbild. Mit der Vorbildrolle ist es ja extrem schizophren: Rosa Polohemd, Brilly im Ohr – viele Schwulenhasser laufen genau so rum wie die schwule Szene vor einem Jahr. Gehen leider aber auch genauso gekleidet zum „Tunten-Klatschen“.
Ist es dann nicht verlogen, wenn wir mit dem Zeigefinger auf zum Beispiel osteuropäische Länder wie Russland oder Polen zeigen, wenn es um Schwulenrechte geht?
Nein, das „Mit dem Finger zeigen“ ist sehr wichtig. Wenn ein Volker Beck nach Moskau zu einer Demonstration fährt, dann macht er das deshalb, um dort als Schutzschild für die anderen Demonstranten zu fungieren. Der Gedanke ist, dass eine Demo, an der ein deutscher Politiker teilnimmt, nicht einfach so von der Polizei zusammengeknüppelt werden kann, auch wenn das in der Praxis leider anders aussah. Trotzdem müssen wir den Schwulen in solchen Ländern helfen, sich überhaupt erst sichtbar zu machen. Eine Minderheit, die nicht sichtbar ist, wird nicht als solche wahrgenommen, bekommt auch keine Rechte. Wir in Westeuropa haben schon etwas erreicht. Das kann man konkret an Gesetzen ablesen, was die rechtliche Situation betrifft. Das Klima in der Gesellschaft kann man schwerer fassen – und da gibt es auch in Deutschland noch viel zu tun.