Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"'Schwuchtel' ist das meistgebrauchte Schimpfwort"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Am Dienstag findet in Berlin eine Fachtagung zu Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft statt, die der Jugendarbeiter Koray Yılmaz-Günay, 34, mit organisiert. Koray arbeitet derzeit am Projekt Handreichungen für emanzipatorische Jungenarbeit (HEJ), das der Verein Gays and Lesbians aus der Türkei (GLADT e.V.) erarbeitet und vom Berliner Senat gefördert wird. jetzt.de: „Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft“ - der Begriff ruft erstmal das Klischee der knallharten türkischen Jungengangs hervor, die nicht besonders zugänglich sind. Wie schnell kommst du denn mit den Leuten ins Gespräch, wenn du deine Arbeit machst? Yilmaz-Günay: Sehr schnell. Ich weiß auch nicht genau, warum das für uns einfacher ist, aber ein Grund könnte sein, dass Jugendarbeit in der Regel von weißen, christlich sozialisierten Deutschen gemacht wird, die mit ihrer Zielgruppe nicht viel gemeinsam haben. Bei uns gibt es diese Polarität nicht. Die Jugendlichen bekommen ja mit, dass es große gesellschaftliche Debatten gibt, in denen sie zum Problem erklärt werden. Wenn sich dann eine Lehrerin vor sie stellt und sagt, lasst uns mal über Antisemitismus reden, dann fühlen die sich sofort angegriffen und sagen: "Ja klar, fuck you!" Ich halte das für relativ nachvollziehbar. Aber die Probleme gibt es ja. Wo siehst du die Wurzeln? Ich denke, man darf das Elternhaus als ersten Sozialisierungsort nicht unterschätzen. Viele bekommen da schon ihre Vorurteile mit. Aber auch die Kindergärten und Schulen sind wichtig. Leider machen Lehrkräfte in dieser Hinsicht viel zu wenig. Die einen fühlen sich nur für den Fachunterricht zuständig – dabei kennen sie die Schüler besser als sie manchmal gerne möchten. Dementsprechend könnten sie auch eingreifen und Einfluss nehmen. Aber selbst wenn sie wollen, fehlen oft das inhaltliche und das methodische Wissen. Wir stehen da in Berlin sogar noch weit besser da als in anderen Bundesländern oder auf dem flachen Land. Was sind denn konkrete Konflike? Laut unseren Befragungen kommt es an Schulen vor allem zu Mobbing. Da müssen Leute die Schule wechseln, weil sie fertig gemacht werden und in Einzelfällen auch verprügelt werden. Offensichtlich gibt es ein Klima, das Übergriffe gegen homosexuelle Jugendliche gestattet. „Schwuchtel“ ist eines der meistgebrauchten Schimpfwörter auf Berliner Schulhöfen. Das Hauptproblem fängt allerdings damit an, wie reduziert Weiblichkeit und Männlichkeit dargestellt wird. Homophobie entsteht dann, wenn nur ein bestimmter Teil möglicher Weiblichkeiten und Männlichkeiten als akzeptabel gilt.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Koray Woher kam der Anstoß, die Tagung zu veranstalten? Aus mehreren Richtungen. Wir bei GLADT wollten schon länger die Arbeitsbereiche Homophobie und Rassismus zusammenbringen, denn das sind Themen, die in einer modernen Einwanderungsgesellschaft zusammen gedacht werden müssen. Die Europäische Union hat 2008 zum Jahr des interkulturellen Dialogs ausgerufen und das Land Berlin hatte dabei einen Schwerpunkt auf das Thema Homophobie gelegt. Vor allem der Aspekt der Mehrfachdiskriminierung ist uns wichtig. Also wie verschiedene Diskriminierungsebenen ineinander greifen? Ja. Man kann zum Beispiel fragen: Wirkt sich die Diskriminierung einer schwarzen Frau anders aus als die gegen Schwarze oder Frauen zusammengerechnet? Wenn sich das denn überhaupt zusammenrechnen lässt. Bei der Tagung geht es aber auch darum, diese Dinge in die Praxis umzusetzen. Wie geht ihr denn bei eurer Arbeit vor? Im Moment sind wir dabei, pädagogisches Material zu Sexismus und Homophobie gemeinsam mit Jugendlichen zu entwickeln. Das heißt, die setzen die Themen selbst und sagen uns, welche Aspekte sie für wichtig halten. Sie erzählen uns aber auch, welche Ausschlussmechanismen in ihren Gruppen noch wahrgenommen werden. Zum Beispiel kommen junge Türken oft nicht in die Diskos. Also kann man diese Erfahrung nutzen, um Empathie zu vermitteln gegenüber anderen, die ausgeschlossen werden. Worum geht es euch denn vor allem – eher um Homosexuelle mit Migrationshintergrund oder um homophobe Jugendliche? Eigentlich richten wir uns mit unserer Arbeit vor allem an die Heterosexuellen. Wir wollen, dass die sich mehr mit diesen Themen beschäftigen. Außerdem muss erstmal überhaupt sichtbar werden, dass es Homosexualität unter Migranten gibt, aber auch Homophobie. Das Aufklärungsmaterial ist bisher so gestaltet, dass man glauben muss, Schwule sind immer weiß, deutschstämmig und christlich sozialisiert. Wir zeigen Nicht-Weiße, Weiße, Deutsche und Nicht-Deutsche in diesem Kontext und machen damit etwa Türken klar, dass das ein Thema ist, das sie genauso angeht. Auf der Fachtagung soll ja auch über Rassismus und Islamophobie in der schwullesbischen Szene gesprochen werden. Gibt es denn da auch eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppen? Wie andere Minderheiten auch, sondern sich Schwule und Lesben gerne in ihre Problembereiche ab. Sie meinen, sie hätten es selbst schon schwer und wollen nichts mit unseren Spezialproblemen zu tun haben. Wir können das natürlich nicht akzeptieren, weil man als Lesbe oder als Schwuler mit einem türkischen Namen eben vor allem mit Rassismus und dann mit Homophobie zu tun hat. Du kannst deine sexuelle Orientierung zur Not verstecken, aber deine Hautfarbe eben nicht. Araber oder Türken kommen in manche Bars nicht rein, weil sie als Stricher oder Taschendiebe gelten! Mit einzelnen Organisationen, die zu Rassismus oder Homophobie arbeiten, gibt es schon Kooperationen, aber wenn du in den unterschiedlichen Szenen fragst, sind sich alle deutschstämmigen Schwulen einig, dass es da keinen Rassismus gibt.

Text: meredith-haaf - Foto: Izabela Ebertowska

  • teilen
  • schließen