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"Schwul und schwarz in einer trostlosen Umgebung"

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Der 1961 geborene Sänger gehört seit den 80er Jahren zu den ursprünglichen Helden des Chicago House, und half mit Hymnen wie „You’re Mine“, „It’s Over“ oder „Tears“ einer der größten musikalischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts auf den Weg. Nachdem Techno und Minimal House aus den Innovationen von damals hervorgingen bringt Robert Owens auf seinem neuen Album „Night Time Stories“ (Compost Records) die Kunst des Storytelling zurück auf den Dancefloor.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ihre Songs verströmen oft die sakrale Aura eines Nachtgottesdienstes… Tatsächlich nahm mich meine Mutter als Kind in Los Angeles immer in die berühmte Cornerstone Church von Reverend James Cleveland mit. Ich sang dort sogar im Gospel-Chor – bis ich die Predigten nicht mehr ertragen konnte: Schon der Gedanke an die Sünde, so hieß es, bringt einen in die Hölle. Also dachte ich mir: Wenn ich sowieso in die Hölle komme, warum meine Zeit noch in der Kirche verbringen? Trotzdem gelten Sie als einer der spirituellsten Vertreter der House Music… Die Spiritualität kommt tiefer aus der Seele als die Religion. Eine höhere Instanz, nennen wir sie Gott, nährt die Menschheit mit Liebe – und ich sehe meine Musik als Samen dieser Pflanze. Meine Songs greifen auf, was meine Mitmenschen alles durchmachen… Sie stehen da offensichtlich in der Tradition von Soulsängern wie Curtis Mayfield.. Er ist einer meiner Helden. Weil es ihm nicht nur darum ging, Platten zu verkaufen. Mein Leben war zum Großteil ein Kampf – deshalb schreibe ich keine Musik, die sich auf die paar Glücksmomente beschränkt…. …was ja auf einen Großteil der heutigen House-Vocals zutrifft… ... sondern möchte die dunklere Seite der Welt beleuchten. So etwas passiert heute auf dem Dancefloor leider kaum. Sie kontrastieren die Energie der Beats mit ihrem ätherischen, melancholischen Gesang Woher kommt dieser Blues? Ich habe gesehen wie House in Chicago als Musik der schwarzen und schwulen Minderheit entstand: Im Ghetto der Westside gab es für uns nichts zu Feiern außer die Nächte im Warehouse. Wir träumten vom Ausbruch nach New York. Bastelten an unseren Beats. Und versuchten uns mit unseren Jobs bis zum nächsten Wochenende über Wasser zu halten. Ich bin ein emotionaler Mensch, absorbiere eine Menge. Wie sollte ich also happy sein, wenn ich die ganze Zeit Leiden um mich sehe? Sie haben schon vor der Erfindung von Chicago House als DJ gearbeitet? Meine Onkels, Neffen, Brüder gehörten zu Gangs wie den Stones oder Black Panthers. Diese Gangs brauchten mich nicht als Kämpfer, sahen aber wunderlicherweise etwas in mir, wozu ich mich anfangs kaum berufen fühlte: Ich sollte ihr DJ sein – schließlich hatte sich meine Plattensammlung herumgesprochen. Tagsüber besuchte ich eine Model-Schule Und nachts spielte ich auf Kellerparties mit lediglich einem Plattenspieler. Es ging da nicht um Technik, sondern um einen Gemeinschafts-Vibe, und ich mixte die aktuellen Disco-Nummern mit Booker T, James Brown, The Stylistics und sogar ein paar Blues-Klassikern Was passierte, als Disco Ende der 70er Jahre wieder in den Untergrund zurückging? Es rettete unsere Familie. Weil sich Disco und später House immer wie eine Art Familientreffen anfühlte. Kurzzeitig war der Mainstream in diesen Kreis eingebrochen – aber spätestens nach 1978 waren wir uns wieder unter uns. Eine Form von privatem Eskapismus. Man darf nicht vergessen, dass die meisten von uns aus zerbrochenen Familien und einer trostlosen Umgebung stammten. Schwul und schwarz: Da blieb die Disco als einziger Ort, um sich für ein paar Stunden aus dieser Realität zu lösen.


Und sich von den massiven Basslinien der Roland-Synthesizer betäuben zu lassen... Viele von uns waren von den klassischen Disconummern inspiriert, wussten aber dass sie sich Bands, Orchester und diese opulente Art der Produktion nicht leisten konnten. Da kam so ein billiges Instrument gerade recht: Du konntest deine Basslinien entwerfen, das Stück auf Kassette in den Club mitbringen und die Reaktion testen. So spielten Larry Levan oder Frankie Knuckles meine Kompositionen, bevor sie überhaupt gemastert waren. Mit dem 808 war alles ein großes Experiment: Ein paar Stimmen filtern und trippy klingen lassen, dazu einen Drum-Rhythmus bauen und Gesang darüber legen. Das reichte oft, um die Leute auf der Tanzfläche zum Schreien zu bringen. Alle Produzenten arbeiteten damals nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Heute könnten sie ihre Housestücke nicht mehr nachspielen, weil niemand genau wusste, wie sie entstanden. Sie haben damals mit Larry Heard und dem Kollektiv „Fingers Inc“ Klassiker wie „Mysteries Of Love“ eingespielt.. Der Produzent Larry Heard wohnte gleich nebenan. Manchmal fand er durch irgendeinen Zufall mitten in der Nacht einen Wahnsinns-Groove. Dann klingelte er um zwei Uhr früh an meiner Tür: „Wir müssen sofort aufnehmen“. Und ich antwortete: „Warte 20 Minuten, dann komme ich mit ein paar Songtexten rüber“. Ihre ersten Tracks aber entstanden noch am heimischen Kassettenrekorder.... Ich nahm einfach die Beats, die mir gefielen auf Kassette auf. Dann verlängerte ich die Beats mit Dubs und Overdubs. Schließlich nahm ich noch meine eigene Stimme auf. Wenn ich das Abends auflegte, wurde ich gefragt, wer da singe – „ach, nur ein Freund von mir“. Bis Larry Heard mich hörte und in sein Studio mitnahm. Wir gingen sehr naiv an die Musik heran. Am Ende spielten wir eine Nummer so oft pro Nacht, bis die Leute sie wiedererkannten – und die Hände in die Luft warfen. Werden die Gesangsparts im House und Techno heute unterschätzt? Viele haben vergessen, dass House einmal Geschichten erzählte. Ich versuche das immer noch – auch auf meiner neuen Platte „Night Time Stories“ . Zuerst habe ich die Texte geschrieben. Und mir dann von verschiedenen Produzenten Tracks für meine Auswahl zuschicken lassen. Eine Menge der Musik, der ganze Bling-Rap etwa, handelt von einer fiktiven Realität. Ich dagegen versenke mich für meine Texte in mich selbst Funktioniert das besser mit Drogen? Ich gebe zu, eine Menge davon konsumiert zu haben. Besonders im Wahrehouse. Sie haben Acid und Ecstasy in das Wasser und den Punsch getan – ohne dass du es wusstest. Das half die Nacht durchzutanzen. Aber wenn du wissen willst ob du für meine Musik Drogen nehmen sollst? Nein, bloß nicht – sonst entgeht dir womöglich, was ich singe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Night Time Stories" von Robert Owens ist bei Compost Records erschienen. Owens ist auf Europa-Tournee. Die Termine: Donnerstag, 17.4.: München - Registratur Freitag, 18.4.: Köln - Triple A Club Samstag, 19.4.: Joue Joue Club - Erfurt 9.5.: Zukunft - Zürich 3.5. Spring 8 Festival - Graz 3.8. Juicy Beats Festival - Berlin 13.9. tba. - Wien

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