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"Sie merken, dass man mit diesem Outfit besser ankommt"

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Deutschlandweit demonstrieren junge Menschen gegen den Krieg im Gaza-Streifen. Auch die rechte Szene macht dabei auf sich aufmerksam. Ihre Forderung: "Solidarität mit Palästina". Ein Grund zur Sorge? jetzt.de hat mit Politikwissenschaftler Prof. Dr. Uwe Backes von der Uni Dresden über die sogenannten "Autonomen Nationalisten" und die Verwendung des Palästinensertuchs gesprochen. jetzt.de: Seit den Siebziger Jahren ist das Palästinensertuch ein traditionelles Kleidungsstück der extremen Linken. In den letzten Jahren hat es sich als Modeaccessoire auch in der breiten Masse etabliert. Anlässlich des Gaza-Konflikts zieht nun die Neonazi-Szene mit Palästinensertüchern auf die Straße. Sie fordern: „Solidarität mit Palästina“. Wie ist das zu erklären? Backes: Das Palästinensertuch stammt noch aus der großen Zeit der Fatah. Damals galt der Palästinenser als wilder Freiheitskämpfer, der mit einer Kalaschnikow bewaffnet für das Recht seines Volkes eintritt. Noch heute hat dieses Bild sowohl für links- als auch für rechtsextremistisch orientierte Gruppen eine gewisse Faszination. Bei Che Guevara ist das ja ähnlich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und weil Palästinensertücher gerade hip sind, nehmen sogenannte „Autonome Nationalisten“ den Krieg im Gaza-Streifen zum Anlass, um mit diesen Symbolen ein breiteres Publikum für ihre rechtsextremen Ziele anzusprechen? Mir scheint schon, dass sie es genau darauf anlegen. Sie merken, dass man mit diesem Outfit besser ankommt. Dass es leichter ist, neue Mitglieder zu gewinnen. Aber als systematische Unterwanderungsstrategie darf man sich das nicht vorstellen. Wenn Nazis „Solidarität mit Palästina“ fordern, dann müssten die Linksautonomen doch rein logisch betrachtet für „Solidarität mit Israel“ stehen. Wieso trifft diese Schlussfolgerung ausgerechnet in diesem Fall nicht zu? Die Linksautonomen sind seit längerer Zeit gespalten. Da gibt es einerseits die sogenannten Antideutschen. Sie zeichnen sich sehr wohl durch eine bedingungslose Pro-Israel-Haltung aus, die vor dem Hintergrund der NS-Zeit entstanden ist. Stärker sind allerdings die klassischen Linksautonomen. Deren Anti-Israel-Haltung ist ökonomisch und machtstrukturell begründet. Die rechtsautonomen Israel-Gegner argumentieren dagegen rassistisch. Man sieht: Die Motive sind deutlich unterschiedlich. Aber in beiden Fällen führt dies zu einer Antihaltung gegenüber Israel. Viele Menschen halten diese Argumentationen schlicht für leere Hassparolen, um Judenfeindlichkeit zu legitimieren… … na ja, ich glaube schon, dass es auch in der rechten Szene ernst gemeinte Diskussionen gibt. Da existiert nicht nur Hass, sondern auch ideologische Verblendung. Auf der anderen Seite gibt es aber natürlich immer den Typus des jugendlichen Gewaltaktivisten. Er ist in erster Linie auf exzessive Gewaltausübung angelegt und sowohl unter den rechten als auch unter den linken Extremisten zu finden. Ich würde zwar sagen, dass das Reflexionsniveau beim linken Gewaltaktivisten etwas höher ist, aber Diskussionen im Internet führt auch dieser nicht. Das ist ihm viel zu langweilig. Die Zahl der rechtsradikalen „Autonomen Nationalisten“ hat sich im vergangenen Jahr auf etwa 400 Aktivisten verdoppelt. Auch im Internet ist die Gruppe sehr präsent. Ist diese Entwicklung beunruhigend? Dieses Phänomen ist zwar durchaus ernst zu nehmen, aber man darf es nicht überschätzen. Es stimmt schon, dass man im Netz auf viele Seiten stößt, wo sich diese Gruppen präsentieren. Wenn man aber genauer hinsieht, fällt auf, dass sämtliche Auftritte nahezu identisch sind. Da sitzen also ein paar wenige junge Leute zuhause und produzieren fleißig Webpages. Klar, dass so der Eindruck entsteht, als wäre die Gruppe sehr groß. Letztlich gehören aber nur etwa zehn Prozent der gesamten Neonazi-Szene den „Autonomen Nationalisten“ an. Die Furcht der Politiker vor einer neuen Welle rechter Gewalt ist also unbegründet? Politiker neigen oft zu Überreaktionen. Das zeigt auch die erneute Diskussion um ein NPD-Verbot. Weil es schwer umzusetzen ist, kann man so etwas leicht fordern. Und ob damit viel erreicht wäre, steht auf einem anderen Blatt. Prof. Dr. Uwe Backes lehrt und forscht am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden. Zum politischen Extremismus in Deutschland hat er bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht.

Text: andreas-glas - Foto: dpa

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