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"Soll ich in die Wissenschaft oder ist das eine Sackgasse?"

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Klemens Himpele ist 32 Jahre alt und bei der Gewerkschaft Erziehung Wissenschaften (GEW) Referent im Hauptvorstand für Hochschule und Forschung. Im Gespräch mit jetzt.de erklärt er, warum es nicht besonders attraktiv ist, in Deutschland Wissenschaftler zu sein, wenn man nicht gerade Professor werden will. Außerdem sagt er, was seine Gewerkschaft mit dem "Templiner Manifest" und der angeschlossenen Unterschriftenaktion beabsichtigt. jetzt.de: Klemens, ich kann jetzt online das Templiner Manifest unterschreiben, mit dem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschafler endlich unbefristete Stellen im Wissenschaftsbetrieb fordern. Was war der Auslöser? Klemens Himpele: Das Thema brennt schon lange. Ich kenne viele Leute, die aus der Wissenschaft ausgestiegen sind, weil alle Stellen permanent befristet waren. So kann man kein Leben planen. Mit Glück bekommt man irgendwann eine Professur. Wenn das aber nicht klappt, kann es sein, dass du mit 45 Jahren in der Sackgasse stehst, weil es unterhalb der Professur so gut wie keine dauerhaften Stellen an Hochschulen gibt. Ist es nicht so, dass man aus der Hochschule geworfen wird, wenn man nach zwölf Jahren als Wissenschaftler keine Professur hat? Du sprichst das Wissenschaftszeitvertragsgesetz an. Es besagt unter anderem, dass man bis zum Ende der Promotion höchtens sechs Jahre unbegründet befristet beschäftigt werden darfst. Danach darft man weitere sechs Jahre ohne Grund befristet beschäftigt werden. Die Idee dahinter war eigentlich, die Befristung von Stellen einzudämmen. Allerdings: Es ist natürlich nicht verboten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unbefristet zu beschäftigen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was mache ich nach den zwölf Jahren? Du bewirbst dich um Drittmittel, also zum Beispiel um Forschungsgelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit denen du deine Arbeit finanzieren kannst. Und die sind ja auch wieder befristet. Genau. Das führt dazu, dass an den Hochschulen im Mittelbau bei den Angestellten 87 Prozent der Leute befristete Stellen haben. Das ist brutal! Kannst du mir ein Beispiel erzählen, wie solch ein befristetes Berufsleben aussieht? Als wir das Manifest vorgestellt haben, hatten wir eine Kollegin zu Gast. Sie ist Mitte 30 und hatte in den vergangenen acht Jahren sieben verschiedenen Finanzierungsquellen. Gerade habilitiert sie in Frankfurt, lehrt in Weimar und lebt mit ihren Kindern in Berlin. Ihre Lehraufträge decken manchmal nicht mal die Fahrtkosten. Eine dauerhafte Assistentenstelle unterhalb der Professur gibt es aber nicht. Jetzt überlegt sie, ob sie nicht doch umschwenkt – und aus der Wissenschaft aussteigt. Die Hauptkritik des Manifests ist also, dass wir zwar super Leute ausbilden, die viel wissen, aber irgendwann in der Wissenschaft keine Perspektiven haben und dann auch noch für die Wirtschaft zu alt sind. Vor allem sind sie für die Wirtschaft überqualifiziert. Wir brauchen endlich verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem. Wissenschaft ist ein normaler Beruf, und es kann nicht sein, dass man davon ausgeht, WissenschaftlerInnen ließen sich zwangsläufig von der Hingabe an ihr Tun auffressen. Komisch ist das ja schon. Die Regierung spart gerade sehr viel Geld, nur der Bildungsetat wird kaum angekratzt. Weil Bildung ja Priorität hat. Fließt das Geld in die falschen Projekte? Zwei Dinge dazu: Erstmal sind ja die Bundesländer für die Hochschulen verantwortlich und nicht die Bundesregierung. Die Beschäftigungsverhältnisse sind Sache der Landesregierungen. Wenn jetzt Frau Schavan eine neue Exzellenzinitiative auflegt ... Was ja schon begrüßenswert ist. ... verschärft sie das Problem. Warum? Mit immer neuen Sonderprogrammen werden noch mehr Personen in die Wissenschaft geholt, die keine Perspektiven haben, da die Programme nach einer gewissen Zeit auslaufen. In welchen Ländern ist das besser geregelt? In den USA zum Beispiel gibt es viele Stellen als „Assistant Professor“, die dauerhaft besetzt sind. Mit diesen Stellen vergleichbar sind bei uns die Juniorprofessuren, die aber befristet sind. Eigentlich sollten auf diese Weise Leute ohne eine Habilitation den Einstieg ins System schaffen. Aber nach der Juniorprof-Zeit werden lange nicht alle auch auf eine Stelle berufen. Erinnere ich mich falsch oder gab es nicht doch eine Form der Daueranstellung an deutschen Hochschulen? Früher gab es sogenannte C1-Stellen unterhalb der Professur, die aber kaum noch neu besetzt werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wer soll das Manifest unterschreiben? Jeder, der die Forderungen unterstützt. Das ist zum Beispiel auch für Studierende wichtig, für die sich die Frage stellt: Soll ich in die Wissenschaft gehen oder ist das eine Sackgasse? Wie lange wollt ihr sammeln? Bis Ende des Jahres rechnen wir mit einer großen Unterstützung für unsere Forderung. Jetzt haben schon fünf Bundestagsabgeordnete von drei Parteien unterzeichnet. Heute sind ein Europaabgeordneter und mehrere Landtagsabgeordnete dazugekommen. Es wird. Wir wollen zunächst das Thema besetzen und dann die Dinge verändern.

Text: peter-wagner - Fotos: dpa, Screenshot

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