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Staatsfeind Nr.1? Wie Hans-Martin zu Hass-Martin wurde

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Warum wurde aus dem Raab-Kandidaten Hans-Martin das ideale Feindbild „Hass-Martin“? Es hat ja schon begonnen, als Hans-Martin vom Publikum auserwählt wurde gegen Raab anzutreten. Da hat er schon großspurig von seinem Intelligenzquotienten von 143 erzählt und war sehr siegessicher. Er war einfach nicht der klassische Kandidat, den man sonst so aus dieser Sendung kennt. Der ambitionierte Underdog gegen den überheblichen Raab. So sind die Rollen eigentlich klar verteilt. Doch Hans-Martin hat für die Zuschauer wohl viele Eigenschaften in sich vereint, die ihn so unbeliebt gemacht haben. Hast du die Sendung dann auch parallel bei Twitter verfolgt? Nein, ich habe mir die Sendung komplett angesehen, aber schnell gemerkt, dass das sicher ein Thema im Internet wird. Gerade als das Publikum nach der fünften Wettkampf-Runde schon komplett hinter Raab stand wusste ich, dass sich da sicher etwas tun wird. Nach der Sendung hab ich gesehen, welche enorme Resonanz das alles hinterlassen hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Shirts bei spreadshirt.net Was hast du im Netz nach der Sendung gefunden? Bei Twitter ist ziemlich die Post abgegangen. Das verselbstständigt sich ja schon nach kurzer Zeit. Die User haben dann schnell sein StudiVZ-Profil gefunden, vieles über sein Privatleben rausgekriegt und online gestellt. Die Informationen über Hans-Martin deckten sich dann natürlich mit den Charaktereigenschaften, die er in der Sendung zeigte. Der Kreativität waren danach keine Grenzen gesetzt. Es konnten T-Shirts mit Sprüchen über ihn gekauft werden und Videos wurden für Youtube zusammengeschnitten. Es ist sogar ein Artikel aus seiner Abi-Zeitung aufgetaucht, der sich ebenfalls mit seinem Verhalten in der Show deckten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Christian Schlender hat hassmartin.de eingerichtet. Und du bist dann schnell auf die Idee gekommen, dir die Seite www.hassmartin.de zu sichern? Ich hab gemerkt, dass diese Domain noch nicht vergeben ist und habe sie mir gesichert. Aber ich habe das nicht gemacht, um in die Hass-Tiraden einzustimmen. Auf der Homepage dokumentiere ich, wie sich die „Hass-Martin“-Diskussion verselbstständigt hat und so groß werden konnte. Über mein Studium bin ich auf das Thema aufmerksam geworden und glaube, dass dem Ganzen immer noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Kann so etwas deiner Meinung nach zu einer Gefahr für die betroffene Person werden? Was Deutschland angeht kann ich das schlecht beurteilen. Ich studiere Wirtschaftsinformatik und beschäftige mich schon etwas länger mit dem Thema und weiß, dass es in Amerika schon Fälle gab, die nicht gut ausgegangen sind. Da mussten Menschen in psychiatrische Behandlung, weil sie über das Internet von einer Hetzkampagne überwältigt wurden. Der Umfang ist vergleichbar mit dem Fall von Hans-Martin. Es ist der erste Fall, dass eine Privatperson in Deutschland auf so eine negative Weise in den Fokus gerät.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Vorgänge in sozialen Netzwerken sind kaum zu kontrollieren. Wie glaubst du, kann man sich davor schützen? Zunächst mal muss man einsehen, dass so eine Hass-Welle, wie die bei Hans-Martin schlichtweg nicht zu verhindern ist. Er wird unterschätzt haben, wie viel Privatsphäre im Internet über ihn recherchierbar ist. Man hat ja gesehen, dass es User gibt, die in kürzester Zeit deine Lebensgeschichte herausfinden können. Hans-Martin ist also das perfekte Beispiel, was passieren kann, wenn man unvorsichtig private Informationen im Internet preisgibt? Definitiv. Er konnte natürlich nicht wissen, dass es solche extremen Ausmaße annehmen wird. Er gehört aber zu dieser breiten Masse an Internet-Nutzern, die zu leichtfertig mit ihren privaten Informationen umgehen. Man kann sich vor dieser Form des Internet-Mobbings nur schützen, indem man seine privaten Informationen im Internet auch privat hält. Es ist ja sehr einfach so etwas in den Nutzer-Einstellungen zu ändern. Der Mehrheit ist das jedoch nicht klar. Genau darauf will ich mit meiner Seite aufmerksam machen. Welche Resonanz hast du bisher bekommen? Eigentlich durchweg positive Reaktionen. Dieses Medienphänomen ist neu in Deutschland und anscheinend für viele sehr interessant. Die meisten finden es gut, dass ich nicht auch noch mal draufhaue, sondern die Thematik kritisch sehe. Ich hoffe, dass dadurch ein paar mehr Unvorsichtige bekehrt werden und Hans-Martin sich von dem ganzen Rummel um ihn erholt. Die betreffende Sendung kann hier nochmal nachverfolgt werden.

Text: sebastian-sittner - Foto: dpa

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