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"Stellen Sie sich vor, die nachrückenden Generationen könnten schon wählen"

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Dr. Dr. Jörg Tremmel, 38, ist der Wissenschaftliche Direktor der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, die sich selbst als "advokatorische Denkfabrik" an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sieht und sich für Generationengerechtigkeit einsetzt. Außerdem hat er Lehraufträge an verschiedenen deutschen Hochschulen zu den Themen „Generationengerechte Politik“, „Bevölkerungssoziologie“ und „Wissenschaftstheorie“. jetzt.de: Sie müssen glücklich sein, Dr. Tremmel, denn es gibt einen Grund zum Feiern: Deutschland hat seit kurzem eine Schuldenbremse. Tremmel: Ja, die Föderalismuskommission hat sich sehr überraschend auf eine Schuldenbremse geeinigt. Die Bundesländer dürfen sich nach 2020 überhaupt nicht mehr verschulden und der Bund nur noch zu einem Bruchteil des bisherigen Ausmaßes – 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das wären zur Zeit etwa neun Milliarden und somit viel weniger als bisher erlaubt. Davon kann nur in Krisen- und Katastrophenfällen abgewichen werden. Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen hat eine solche Schuldengrenze lange schon gefordert. Warum eigentlich? Weil Politiker dazu neigen, mehr Geld auszugeben, als sie einnehmen. Zur Zeit werden Schulden für konsumtive Aufgaben gemacht, also zum Beispiel um die Renten zu erhöhen oder die Nachfrage anzukurbeln. Das Geld ist dann weg – die Schulden aber bleiben. Und es sind die heute jungen Menschen, welche die Schulden eines Tages werden zurückzahlen müssen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jörg Tremmel Man könnte aber auch argumentieren, dass es wichtig wäre, dafür zu sorgen, dass junge Menschen durch staatliche Wirtschaftshilfe heute einen Job bekommen oder behalten. Wann beginnt die Zukunft, die es zu schützen gilt? Für Fälle wie die Wirtschaftskrise sieht die neue Schuldenbremse Ausnahmen vor. Auch in Zukunft wird es bei Konjunktureinbrüchen möglich sein, mehr Schulden als zu normalen Zeiten aufzunehmen. Gerechtfertigt sind Schulden aber nur in bestimmten Grenzen, wenn das Geld für investive Aufgaben wie Bildung oder Infrastruktur ausgegeben wird. Ich spreche gerne von den „nachrückenden“ Generationen: Das sind die heute jungen Menschen und alle zukünftigen Generationen. Ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, die nachrückenden Generationen könnten heute schon wählen. Dann hätten wir eine ganz andere Finanz- und Energiepolitik. Sind wir aber mit einer solchen Einschränkung dann nicht am Ausgangspunkt? Auch bisher hat der politische common sense in guten Zeiten eine Schuldentilgung gefordert. Aber natürlich auf einer anderen Basis: Der common sense kann schnell wieder aufgegeben werden. Wenn die Schuldenbremse dagegen in der Verfassung steht, ist die Politik zur Einhaltung verpflichtet. Was trug die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen zu der Einführung der Schuldenbremse bei? Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern und in diesem Vorschlag war auch eine Schuldenbremse vorgesehen. Wir haben 2003 eine interfraktionelle Gruppe von jüngeren und ethisch-denkenden Bundestagsabgeordneten initiiert, die der gleichen Meinung war wie die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen: Es kann nicht sein, dass in den Wahljahren regelmäßig die Verschuldung nach oben getrieben wird. Junge Abgeordnete wie Anna Lührmann von den Grünen, Jens Spahn von der CDU, Peter Friedrich von der SPD oder Daniel Bahr von der FDP sind manchmal zukunftsorientierter, da sie noch in vielen Jahren mit den Entscheidungen leben müssen, die heute gefällt werden. Mehrere Jahre lang haben wir uns mit diesen jungen Abgeordneten getroffen, um gemeinsam mit Ihnen einen neuen Verfassungsartikel zum Schutz der Nachwelt auszuarbeiten. Was hat diese Gruppe junger Abgeordneter vorgeschlagen? Die Abgeordneten haben einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, mit dem sie Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Grundgesetz verankern wollten. Es sollte ein neuer Artikel 20b geschaffen werden: „Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen.“ Außerdem sollte die Finanzverfassung in Artikel 109 geändert werden, allerdings sehr zaghaft. Allerdings ist dieser Vorschlag an der Zweidrittelmehrheit im Bundestag gescheitert. Die nun von der Föderalismuskommission beschlossene Schuldenbremse geht über unseren Vorschlag bezüglich Artikel 109 hinaus. Allerdings bleibt die Verankerung des neuen Artikel 20b, der eine Generalklausel für mehr Generationengerechtigkeit darstellt, auf der Tagesordnung und wird wohl in der nächsten Legislaturperiode erneut als Gesetzentwurf eingebracht. Woran lag es, dass die Föderalismuskommission nun eine Schuldenbremse ausgehandelt hat? Es hat sich durch die Große Koalition und die relative Schwäche der populistischen Parteien, die in der Regel gegen zukunftsorientierte Vorschläge sind, ein kleines historisches Fenster geöffnet. Ich bin hochzufrieden: Wir werden im Hinblick auf die finanzielle Generationengerechtigkeit eine sehr weitreichende Reglung bekommen. Verglichen mit allen ähnlichen Regelungen weltweit ist die deutsche Schuldenbremse gemeinsam mit der schweizerischen der Vorreiter. Allerdings sind schon oft Vorschläge verwässert worden. Die Schuldenbremse muss erst noch im Bundestag und im Bundesrat beschlossen werden. Dies soll bis Juli abgeschlossen sein. Erst dann werden wir hier eine große Party feiern.

Text: hannes-kerber - Foto: privat

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