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Studentenprotest in Griechenland (2): 147 Tage in U-Haft

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Am 22. Juni 2006 demonstrieren 150.000 Studenten in Athen und Thessaloniki. Es kommt zu Ausschreitungen, Foto: dpa Am 22. April begann der Aufstand im Gefängnis der Kleinstadt Malandrino. Die Wärter hatten den Gefangenen Giannis Dimitrakis, einen Anarchisten, übel zugerichtet. Das ließ die Leute ausflippen. Sie schlossen die Wärter aus und zerlegten den Knast. Wir beobachteten sie im Fernsehen. Am nächsten Tag ging es weiter und andere Knäste schlossen sich an. Die Stimmung bei uns änderte sich, das spürten alle. Auf dem Hof wurde unter vorgehaltener Hand diskutiert. Am nächsten Abend, ich war elend krank und wachte auf, weil in der Zelle eine unglaublich angespannte Stimmung herrschte. Als die Wachen abgeschlossen hatten, wurden die Schleuse verbarrikadiert und die Kameras abgeklebt. Dann wurde ein Loch in die Wand im ersten Stock geschlagen, um aufs Dach zu kommen. Da standen dann alle die ganze Nacht, vermummt und verbrannten alte Matratzen. Die Einrichtung des Knasts wurde allerdings nicht angerührt. Die Forderung, die nach draußen gegeben wurde, war die Abschaffung der Disziplinarmaßnahmen und die Verbesserung der Haftbedingungen. Morgens kam der Chef der Wachen, äußerte Verständnis und bot neue Duschen, besseres Essen und weniger Leute pro Zelle an. Daraufhin gingen die meisten wieder zurück in ihre Zellen. Zwei Wochen nach dieser landesweiten Revolte wurden dann viele Leute in andere Knäste verlegt. Offiziell wegen Überbelegung, inoffiziell um die entstandenen Bündnisse und Freundschaften zu trennen. So kam ich nach Diavata, einem Dorf nahe Thessaloniki. Wie war es in diesem Gefängnis? Anfangs fand ich mich überhaupt nicht zurecht. Die anderen Häftlinge benahmen sich unmöglich. Ständiges Geschrei war ich aus Komotini gewöhnt, aber dieses völlige Chaos, die ständigen Demütigungen und Schläge durch die Wärter und Mithäftlinge waren neu für mich. Die Auseinandersetzungen wurden willkürlich aus Langeweile heraus begonnen, ohne Rücksicht auf die drohenden Disziplinarmaßnahmen. Die Leute hatten permanent Angst, vor sich, vor den anderen und vor den Wärtern. In Diavata bekam ich auch keine Post mehr und konnte nicht mehr so oft telefonieren. Das hat mich extrem genervt, weil mir der Bezug nach draußen immer sehr wichtig war. Sie hatten mir alle meine Bücher, Briefe und Klamotten weggenommen und ich hatte keine Beschäftigung mehr. Mein Anwalt kam jetzt zwar öfter, aber wir konnten uns nur durch eine Trennscheibe unterhalten. Ich hatte mich schon damit abgefunden, unter diesen Bedingungen irgendwann verrückt zu werden. Aber Leute, die einen politischen Background haben, genießen einen gewissen Respekt und werden als Neulinge nicht so arg strapaziert. Dadurch, dass ich durch die Studentenbewegung unterstützt wurde, galt ich als politischer Gefangener. Das hat mir sicherlich weitergeholfen. Nach einiger Zeit kam ein älterer Typ zu mir auf die Zelle und ich verstand mich sofort mit ihm. Er genoss großes Ansehen, was etwas auf mich abfärbte und mich schützte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Solidaritätsdemo fr Timo; Foto: Unistreik International Wie liefen die Revolten in Diavata ab? Der erste Aufstand, den ich in Diavata miterlebte, war wegen der krassen Hitze. Ein Häftling starb am Hitzeschlag. Am nächsten Tag kam Herr Wetzlau vom deutschen Konsulat und bot mir an, ausschließlich für mich bessere Haftbedingungen zu erwirken. Das kam überhaupt nicht in Frage, schließlich litten alle unter der Hitze. Eine Woche später gingen 30 Leute zur Schleuse und blockierten den Zugang. Dann durfte jeder eine Stunde machen, wonach ihm war und wir bekamen Deckenventilatoren in jeder Zelle. So ein Erfolg stärkt das Selbstbewusstsein ungemein. Wieder eine Woche später gab es einen Aufstand, weil die Wärter jemanden grundlos grün und blau geschlagen hatten. Also machten wieder einige die Schleuse dicht und für kurze Zeit Halligalli, bis die Wärter versicherten die Schläger zur Verantwortung zu ziehen. Als das Gericht angeordnet hat mich freizulassen, wollte der Knast mich nicht gehen lassen, sondern in Abschiebehaft stecken. Also wurde wieder mit einem Aufstand gedroht und zehn Minuten später stand ich schon vor der Tür. Deine Freunde aus Berlin haben die 10.000 Euro Kaution aufgetrieben, dein griechischer Rechtsanwalt hat eine vorzeitige Prüfung erwirkt und Politiker aus Bundestag, EU-Parlament und Berliner Abgeordnetenhaus forderten deine Freilassung. Wurdest du deshalb entlassen? Schwer zu sagen. Anfang Juli wurden auch andere Häftlinge, die wegen ähnlicher Vorwürfe im Knast saßen, auf Kaution raus gelassen. Ich denke, dass die Haftanordnung politisch motiviert war und die Entlassung auch. Die Militärpolizei sollte Festnahmen machen, im Hinblick auf die Parlamentswahlen in Griechenland sollte nun Gnade walten. Also wurden wir rausgelassen. Andererseits ist schon beachtlich, was in Berlin und in Griechenland solidaritätsmäßig gelaufen ist. Das hatte sicher Einfluss auf die Dringlichkeit des Verfahrens und auf meine Behandlung im Knast. Sehr dankbar bin ich auch meiner Familie, die mich in jeglicher Hinsicht trotz vieler Differenzen unterstützt hat. Es war hilfreich, dass meine Freunde in Berlin meine Familie in alle Aktivitäten mit einbezogen haben. Nach so einer Sache weißt du, wer für dich da ist und ich bin sehr froh, so viele verantwortungsvolle Menschen zu kennen, die für mich eintreten. Was passiert jetzt? Wann ist das Verfahren? Engagierst du dich weiter? Wie das Verfahren ausgeht, steht auf einem anderen Blatt. Die Einschätzungen, wann es startet, variieren zwischen einigen Monaten und mehreren Jahren. Ich will auf jeden Fall die Kaution zurück und außerdem bin ich unschuldig. Meine nächste Aufgabe wird also sein, dieses Verfahren vorzubereiten. Hinzu kommt, dass ich meinem Geschmack nach, zu tiefen Einblick in den griechischen Strafvollzug bekommen habe, als dass ich das unkommentiert so hinnehmen könnte. Ich finde, dass Gefangene und ihre prekäre Lage viel zu wenig in der Öffentlichkeit stehen. Diese eklatanten Missstände, das Wegsperren unter menschenunwürdigen Bedingungen ist eine Sache, die viel stärker thematisiert und kritisiert werden muss. Nicht nur in Griechenland kochen die Haftanstalten über, weil immer mehr Menschen wegen immer weniger Kriminalität aus der Gesellschaft ausgesperrt werden. In Berlin sind sämtliche Haftanstalten mit durchschnittlich 109 Prozent überbelegt. Jedes Jahr sterben Menschen in Haft. Ich finde diese Entwicklung höchst alarmierend.

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