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"Subkulturelles Utopia der sexuellen Identitäten"

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jetzt.de: Markus, wir wollten eigentlich über dein Buch sprechen, aber jetzt müssen wir erst mal fragen: Was ist da los bei euch in Baden-Württemberg? Seit November hat die Online-Petition „Zukunft - Verantwortung - Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ fast 130.000 Unterstützer gesammelt. (Stand: 14.1.14)

Markus Pfalzgraf: Ich bin erschrocken, mit welcher Heftigkeit diese Debatte über Baden-Württemberg hereingebrochen ist. Man könnte sagen, die Kritik an dem Vorhaben, alternative Liebesformen zum Unterrichtsthema zu machen, kommt aus bestimmten Kreisen, die man nicht so ernst nehmen muss. Aber ich fürchte, dass solche Ressentiments in Teilen der Bevölkerung diffus vorhanden sind. An den beiden großen Diskussionsthemen im Moment merkt man aus meiner Sicht: Schulen und Profifußball sind die letzten beiden Hochburgen der Homophobie in Deutschland. Die Debatte um Hitzlsperger findet so überdreht statt, dass man sich fragen muss, ob wir wirklich so weit sind, so tolerant, so akzeptierend, dass es kein Thema mehr ist.

Du hast ein Buch über „schwule Comics“ geschrieben. War oder ist Homosexualität in Comics auch ein „Tabuthema“? Oder fällt sie Nicht-Comic-Lesern einfach nicht auf?

Früher war sie ein Tabuthema. Der erste, den man als schwulen Comic-Zeichner kannte, ist Tom of Finland. Er hat in der Nachkriegszeit angefangen, da war Homosexualität im Comic wie in allen Bereichen ein ganz krasses Tabuthema. Er hat schöne Männer gezeichnet, die Bilder waren homoerotisch konnotiert, später auch sehr explizit. Obwohl Tom of Finland den Weg bereitet hat, gab es auch später in den USA immer wieder Boykott-Aufrufe gegen schwule Zeichner, von rechten oder evangelikalen Gruppen, von besorgten Elterninitiativen oder Lehrern.

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Gibt es solche Proteste immer noch?

Die Comic-Zeichnerin Alison Bechdel hat 2006 die sehr einflussreiche Graphic Novel „Fun Home“ herausgebracht. Damals gab es Proteste von Gruppierungen, die nicht wollten, dass das in ihrer Schulbibliothek steht. In der Jugendserie „Life With Archie“ fand 2012 eine Schwulen-Hochzeit statt, daraufhin gab es Aufrufe von der konservativ-christlichen „American Family Association“: Sie forderten eine große Handelskette auf, den Comic aus dem Programm zu nehmen. Auch heute scheint das noch ein Problem zu sein, wenn auch in Deutschland nicht so heftig. Ganz anders ist es bei gezeichneter Kunst. Ich kenne einen Künstler, der unter anderem homoerotische Zeichnungen macht und Probleme hat, diese Werke bei seinen Galeristen unterzubringen. Ich kann nur mutmaßen, woran das liegt, vielleicht an der Angst, Renommee zu verlieren. Im Comic-Bereich gab es in Deutschland aber auch andere Zeiten.

Welche?

Ralf König war Anfang der achtziger Jahre der erste, der in Deutschland Homosexualität und Comics zusammengebracht hat. Selbst zu einem seiner Comics gab es mal einen Antrag, den Band zu indizieren. Der Niederländer Theo van den Boogaard hat den Aufklärungscomic „Anne und Hans“ gezeichnet, der 1973 in Deutschland indiziert wurde. Mitte der Neunziger gab es noch eine Razzia, in der Comics von Ralf König in Buchhandlungen beschlagnahmt wurden. Das hatte dann zwar keine großen Konsequenzen, aber ist noch nicht mal 20 Jahre her.

Wie ist der Stand heute?

Was ich zusammengetragen habe, ist eine Art Kompendium von schwulen Autoren, entsprechenden Figuren verschiedenster sexueller Identität, Comics, in denen verschiedene Sexualitäten behandelt werden. Da gibt es im Moment eine enorme Vielfalt. Die Menschen merken, dass Comics nicht nur was für Kinder sind, sondern Literatur. Auch wenn wir hier noch nicht so weit sind wie in Frankreich, Belgien oder in den Niederlanden, wo das schon lange eine anerkannte Kulturform ist. Plötzlich tauchten sie in den Feuilletons auf, im Tagesspiegel gibt es sogar eine Rubrik dafür, Comics werden rezensiert wie andere literarische Werke. In dem Zusammenhang kommen dann auch Comics mit Themen wie sexueller Vielfalt vor. Ein aktuelles Beispiel ist der Kinofilm „Blau ist eine warme Farbe“, der auf einer Graphic Novel basiert.

Welche Arten von „schwulen“ Comics gibt es?

Es gibt Hardcore-Comics aus den Sechzigern, die franko-belgische Tradition des Ligne claire (klare Linie), die man zum Beispiel auch bei Tim und Struppi findet, es gibt amerikanische Superheldenserien und die deutschen Comics von Ralf König. In Japan gibt es auf der einen Seite sehr extreme Hardcore-Fetisch-Comics, die teilweise sehr pornografisch sind und auch immer wieder mit den Behörden in Konflikt geraten, denn in Japan gibt es ein Zensurgesetz. Auf der anderen Seite gibt es dort sogenannte „Boys Love Comics“, sehr verträumte Jugend-Comics, die an Seifenopern erinnern, aber nicht viel mit Schwulenkultur zu tun haben. Sie werden häufig von jugendlichen Mädchen gelesen und fast nur von Frauen geschrieben. „Schwule Comics“ stellen eigentlich kein eigenes Genre dar, sondern sind eher ein Thema, das in jeder Stilform vorkommen kann. Wie ist es mit Mainstream-Comics wie Donald Duck?

In Entenhausen tauchen ganz viele Onkel und Neffen auf, die Familienverhältnisse sind relativ unklar. Deswegen gibt es immer wieder Mutmaßungen, ob die nicht alle schwul sind. Das finde ich lustig, das hat ein bisschen was von Promi-Klatsch. Ich glaube aber, dass Entenhausen eine sexfreie und sexualitätsfreie Zone ist. Oder bei Batman: In einer Episode aus den Fünfzigern liegen Batman und Robin zusammen im Bett. Da fragt man sich natürlich auch, was das zu bedeuten hat. Es gibt ja auch ein paar schwule Superhelden.

Zum Beispiel?

Es gab mal einen Relaunch von Green Lanterns Universum, da wurde er als Schwuler definiert. Die beiden großen amerikanischen Comic-Häuser, DC und Marvel, sind relativ offen geworden. Der erste schwule Superheld, der sich im Comic geoutet hat, war Northstar 1992. Der hat dann Jahre später als Teil der Astonishing X-Men seinen Freund heiraten dürfen. Auf dem Cover! Entweder war das eine bewusste Platzierung fortschrittlicher Gedanken. Oder eine gelungene PR-Aktion.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In der Debatte um Hitzlsperger wird unter anderem kritisiert, dass nur über schwule Männer diskutiert wird, nicht über lesbische Frauen... Das ist in meinem Buch auch so. Ich interessiere mich sehr für Frauen-Comics, aber dafür bräuchte man ein neues Buch. Ich sehe es als generelles Problem, dass Lesben in der allgemeinen Diskussion um Homosexualität immer ein bisschen zu kurz kommen. In der Comic-Welt könnte die Wahrnehmung sicher auch noch stärker sein, aber es gibt ein paar Beispiele. Da muss ich nochmal Alison Bechdel nennen, die ihre Karriere mit den Comic-Strips „Dykes to Watch Out For“ begonnen hat, in denen sie die amerikanische Lesbenszene porträtiert und karikiert hat, wie Ralf König das in Deutschland mit der Schwulenszene gemacht hat. Ihr Werk „Fun Home“ hat sich sehr gut verkauft und renommierte Preise gewonnen, auch aus dem gewöhnlichen Literaturbetrieb. Das zeigt für mich, dass es Frauen gibt, die sichtbar sind, das finde ich sehr wichtig.

 

Wie ist es mit Bi- oder Transsexualität?

Es gibt einen Trans-Comic, den ich sehr großartig finde: „Anarcoma“, ein spanischer Comic von einem Zeichner namens Nazario, der schon während des Franco-Regimes angefangen hat, sehr subversive Comics zu zeichnen. Er hat eine sehr interessante Comic-Welt geschaffen: Es geht um eine Trans-Detektivin, die sehr bewusst und spielerisch ihre wechselnde, uneindeutige Identität ausspielt. Das Ganze geschieht in so einer Art idealen Unterwelt, in der fast alle Figuren eine Nicht-Hetero-Identität haben, und das eine völlige Normalität darstellt. So eine Art subkulturelles Utopia der sexuellen Identitäten.

 

Welche Länder sind Vorreiter, wenn es um sexuelle Vielfalt in Comics geht?

Ich habe länger in den Niederlanden gelebt, dort gibt es mehrere schwule Zeichner, die ich kenne, die auch auf dem großen Mainstream-Markt erfolgreich sind. Da scheint es völlig akzeptiert und normal zu sein. Theo van den Boogaard hat sich schon recht früh getraut, Homosexualität in seine Comics einfließen zu lassen. Er hat in den Sechzigern mit Underground-Comics angefangen, heute kennen fast alle Niederländer seine Figuren. Und dann hat er irgendwann auch mal homosexuelle Figuren dargestellt, ohne dass das groß Aufsehen erregt hätte. Es war natürlich anfangs schwierig, aber er hat es geschafft, das in den Comic- und Literatur-Mainstream einzubringen. Jetzt gibt es eine Reihe von jungen niederländischen Zeichnern, die davon profitieren. Die Hauptfigur des Zeichners Flo heißt auch Flo und ist sehr autobiografisch angelegt. In den Geschichten spielt Homosexualität eine selbstverständliche Nebenrolle, sie schwingt immer mit, aber wird nie das Hauptthema.

 

Vielleicht ist das Geheimnis?

Ja, das ist eine ganz unaufgeregte Art damit umzugehen, die zum Beispiel Flos Comic auch sehr kompatibel für den großen Markt macht. Das könnten Schulen und der Fußball von Comics lernen: eine Gelassenheit und einen normalen unaufgeregten Umgang. Keine überdrehte Diskussion, in der sich alle mit Respekt überschlagen.

 

 

Stripped - A Story of Gay Comics ist im Bruno Gmünder Verlag erschienen.

 

Text: kathrin-hollmer - Fotos: Bruno Gmünder Verlag (Buch)

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