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"Umfragen sind Momentaufnahmen"

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Florian Pronold wurde durch ein Mitgliederbegehren bekannt, das er 2003 gegen Gerhard Schröders Agenda 2010 startete. Seitdem gilt er in der SPD als Hoffnung der jungen Linken. Im Interview erzählt Pronold, was an der Großen Koalition sozial ist, wie er mit seinen alten Feinden zusammenarbeitet und warum linke Politik heute bessere Chancen hat als unter Rot-Grün.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Da Sie selbst gerne Fußballmetaphern benutzen: Täuscht der Eindruck, oder ist die SPD in der Großen Koalition mehr Mitläufer als Spielgestalter? Wenn man schaut, wer die entscheidenden Ministerien hat und damit auch für die schwierigen Aufgaben zuständig ist, dann sind wir die, die das Spiel gestalten. Auch die Handschrift im Koalitionsvertrag ist mehr sozialdemokratisch als konservativ. Aber es müssen sich erst die Wolken lichten, bis das deutlich wird. In den Umfragen profitieren aber vor allem CDU und CSU von der Koalition. Wir haben die Ministerien, in denen man nicht nur die freudigen Botschaften kommunizieren kann. Sie sind aber sehr wichtig. Die Fragen, wie geht’s weiter mit dem Arbeitsrecht, mit dem Sozialstaat, der Rente und der Gesundheitsvorsorge werden wesentlich von der SPD mitbestimmt. Trotzdem gibt es Dinge, wo sich die anderen durchgesetzt haben. Zum Beispiel die Rente mit 67. Dafür ernten wir nicht nur Lorbeeren. Was macht die SPD falsch? Umfragen sind Momentaufnahmen. Davon soll man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Ich glaube, dass wir noch deutlicher herausstellen müssen, dass wir diejenigen sind, die für soziale Sicherheit und menschliche Solidarität stehen – auch in einer globalisierten Ökonomie. Die CDU/CSU hat sich immer noch nicht ganz von ihrem Flirt mit den Neoliberalen à la Wild-Westerwelle erholt und fällt immer noch dahin zurück. Wir müssen den Menschen verdeutlichen, dass wir Schwarz-Gelb nur verhindern können – und dafür haben sich die Wähler ja bei der Bundestagswahl entschieden – wenn die SPD in einer Großen Koalition für die richtigen Politikinhalte kämpft und streitet. Selbst wenn sie nicht alles umsetzen kann, was im SPD-Programm steht. Was ist sozialdemokratisch an der Großen Koalition? Zum Beispiel, dass wir den Atomausstieg beibehalten, den Kündigungsschutz, die Arbeitnehmerrechte, Tarifautonomie usw. Wir machen auch deutlich, dass ein handlungsfähiger Staat Steuern braucht und wir keinen liberalen Nachtwächterstaat haben wollen. Da würde sich zwar jeder freuen, dass er etwas weniger Steuern zahlt, aber dann gibt es keine Straßen, keine Krankenhäuser und keine funktionierenden Schulen mehr. Diese Dinge verteidigen wir; den sozialen und demokratischen Rechtsstaat, wie er im Grundgesetz steht. Nicht alles im Koalitionsvertrag ist sozial. Zum Beispiel soll die Probezeit für Berufseinsteiger auf 24 Monate verlängert werden. Gegen ein ähnliches Gesetz gehen in Frankreich gerade Tausende auf die Straße. Wir haben uns im Bereich Arbeitnehmerrechte zu 95 Prozent durchgesetzt, zu fünf Prozent haben wir Zugeständnisse gemacht. Tarifautonomie und viele andere Bereiche bleiben unangetastet. Ein vermeintliches Zugeständnis ist die Änderung beim Kündigungsschutz. Das ist aber keine reale Änderung, weil heute schon viele Arbeitsverträge ohne sachliche Begründung auf zwei Jahre befristet sind. Und in vielen Tarifverträgen sind schon jetzt kürzere Kündigungsfristen vereinbart. Das Lustige ist, dass die Arbeitgeber auch die neue Regelung nochmal aufweichen wollen, weil sie diese Verschlechterung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gar nicht als Verschlechterung sehen, sondern als Verbesserung. Was ist für Sie schwieriger: die Agenda 2010 unter Gerhard Schröder mittragen zu müssen, oder die Politik der Großen Koalition? Beides ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die Große Koalition trage ich aus Überzeugung mit, weil ich weiß: Wenn wir sagen würden „wir gehen da raus“, dann würde Angie mit Wild-Westerwelle sehr schnell den Sozialstaat in amerikanische Verhältnisse umwandeln. Das klingt wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nein, weil die Große Koalition Dinge geschafft hat, die ich als Linker in der SPD immer gefordert habe. Unter Rot-Grün haben wir sie aber nie hingekriegt. Zum Beispiel das Impulsprogramm, bei dem der Staat seit langem wieder bei wirtschaftlicher Flaute Geld in die Hand nimmt, um die Konjunktur anzukurbeln. In der Großen Koalition haben wir das jetzt verwirklicht. Das ist doch auch mal was Schönes. Linke Inhalte lassen sich jetzt leichter durchsetzen als unter Rot-Grün? In bestimmten Bereichen ist das komischerweise so. Warum? In der Wirtschaftspolitik liegt das an einer gewissen Einsicht. Die Methode des Kaputtsparens hat in den vergangenen Jahren keinen Erfolg gebracht. Und in anderen Bereichen haben wir komfortablere Mehrheiten als früher und wir haben vor allem keine Blockade mehr im Bundesrat. Das erwarten die Leute auch: dass dieses gegenseitige Schwarze-Peter-Zuweisen aufhört und dass man ein paar Dinge voranbringt. Das heißt auch, dass in der Großen Koalition mitunter linkere Politik gemacht wird. Aber die ist leider auch immer mit Zugeständnissen erkauft. Wie ist es, mit Ihren alten Erzfeinden von der CSU zusammenzuarbeiten? Eine Zwangsehe ist das. Ich weiß nicht, wie man sich das als Außenstehender immer vorstellt. Aber ich hatte auch schon früher zu einigen CSUlern einen ganz guten Draht. Das erleichtert dann die Zusammenarbeit. Und dann gibt es welche, zu denen werde ich auch nie einen guten Draht haben. Das muss dann man auch hinnehmen. Ihr Lieblingsfeind war in der Vergangenheit der CSU-Generalsekretär. „Jeden Tag blöder: Markus Söder“, haben Sie öffentlich über ihn gesagt. Wie ist denn ihr Verhältnis jetzt? Er traut sich im Moment nicht mehr so offensiv zu sein, weil er bei der Bundestagswahl eine der größten Wahlniederlagen in der Geschichte der CSU eingefahren hat. Darum hat er so viel Kreide gefressen, dass eine erkennbare Verknappung auf dem Kreidemarkt eingetreten ist. Aber der Söder scheut sich auch weiter nicht, in die unterste Schublade zu greifen. Da muss man dann sagen, was Sache ist. Und das werde ich auch weiterhin machen. Mussten Sie auch Kreide fressen? Überhaupt nicht. Ich bin so, wie ich immer bin. Getreu dem Wahlspruch meiner Urgroßmutter: Mir ist lieber, wenn mich die Leute für böse halten als für blöd. Aber natürlich komme ich als Bundestagsabgeordneter auch in die Situation, Dinge verteidigen zu müssen, die ich vorher in der Fraktion kritisiert habe. Wie bei der Rente mit 67. Man kann aber in der Demokratie nicht auf Dauer an jedem Punkt seine individuelle Meinung darstellen. Bleibt da einem jungen Abgeordneten noch Platz für Idealismus? Ich weiß nicht, ob junge Abgeordnete gut beraten sind, wenn sie idealistisch sind. Idealismus heißt von der Wortdefinition ja, dass man nicht wirklich in der Realität steht. Was ich für wichtig halte ist, dass man über den Tag hinaus Ziele formuliert, die vielleicht nicht in dieser Regierungsperiode zu erreichen sind. Man muss wissen, wo man hin will – trotz all der vermeintlichen oder tatsächlichen Sachzwänge. Aber das würde ich nicht idealistisch nennen, sondern eine realistische Utopie. Fotos: florian-pronold.de In der kleinen Serie "Leben mit der Großen Koalition" sind bereits die Interviews mit Malte Spitz (Grüne) und Johannes Vogel (FDP) erschienen.

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