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"Unsere Musik soll wie ein Nachhauseweg klingen."

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Irgendjemand drückte bei Delphic offenbar auf die Vorspultaste: Im Sommer 2008 entstand die Band aus den Trümmern der wenig erfolgreichen Snowfight In The City Centre. Ein halbes Jahr später tourten James Cook (Gesang), Matt Cocksedge (Gitarre), Rick Boardman (Keyboards) und Dan Theman (Schlagzeug) bereits als Vorband von The Streets und Bloc Party durch Großbritannien. Dass die Briten es dann auf die BBC-Liste "Sound Of 2010" schafften, die alljährlich von den wichtigsten Vertretern der Insel-Musikpresse zusammengestellt wird, verwundert also auch kaum. In diesen Tagen erscheint ihr Debütalbum "Acolyte", im Februar gibt die Band vier Konzerte in Deutschland.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Vorfeld der Aufnahmen zu "Acolyte" gab es eine deftige Bieterschlacht zwischen den großen Plattenfirmen. Euch gab es damals kaum ein halbes Jahr... James:Zwei, drei Wochen lang klingelte das Telefon wirklich viertelstündlich. Ständig kamen irgendwelche Leute aus London hoch und wollten mit uns essen gehen. So schön es ist, wenn sich die Leute für deine Musik interessieren: Was da passierte, war größtenteils absurd. Es gipfelte in einem Telefonanruf von Chris Martin. Ein Freund von ihm besitzt ein Label und dachte offenbar, wenn er den Typen anrufen lässt, der bei Coldplay singt, unterschreiben wir sicher. Aber letztendlich haben wir uns auf diese Bieterschlacht gar nicht erst eingelassen, sondern einfach auf gute Freunde gehört und kamen so zu unserer Managementfirma und letztendlich auch zu unserem Label. Matt: Die Musikszene von Manchester ist ziemlich klein und nicht so verzweifelt wie die von London. Hier gibt es nicht diese Ellenbogenmentaliät. Wir hatten ein paar Leute, die uns unterstützten - Mike Joyce spielte unsere Songs in seiner Radiosendung, Clint Boon, der früher mal bei den Inspiral Carpets war, setzte sich für uns ein. Dann bloggte auch noch Mike Skinner über uns, was zusätzlich für eine gewisse Aufmerksamkeit sorgte. Setzte Euch diese Aufmerksamkeit bei der Suche nach einem Produzenten für das Album unter Druck? James: Ich denke, dass wir generell einen sehr hohen Anspruch an uns haben, sodass die Suche nach dem richtigen Klang schwierig genug war. Wir versuchten es mit verschiedenen Produzenten - einmal mit den Typen von Orbital, dann mit den Chemical Brothers. Aber das funktionierte nicht so wirklich. Ich glaube, dass es für eine außen stehende Person sehr schwer ist zu begreifen, um was es uns geht. Schließlich entschieden wir uns für Ewan Pearson, der die Schnittstelle zwischen elektronischen und organischen Klängen, die wir bedienen wollen, sehr genau begriff. Auch wenn er einen Techno-Background hat, war er derjenige, der uns weg vom Track und hin zum Song pushte.

Wie sollte der Sound sein? Was war Euer Ziel? James:Unsere Musik soll wie ein Nachhauseweg klingen. Fünf Uhr morgens, du warst tanzen, und langsam wird es hell. Man sieht diese schönen Farben, hört die ersten Vögel - obwohl man schon 24 Stunden wach ist, fängt irgendetwas Neues an. Also ein gewisses Gefühl der Dunkelheit, das aber keinesfalls hoffnungslos ist. Es ist gar nicht unbedingt ein Sound, der uns vorschwebte, sondern eher eine Atmosphäre. Vor allem wollen wir zeigen, dass wir gute Songwriter sind. Aber eben auch, dass wir eine sehr ausgeprägte Leidenschaft für Techno haben und durchaus auch auf Raves gehen. Seid Ihr Tänzer? James: Nein. Wir sind die Typen, die gerne in Clubs rumhängen, sich dort dann aber neben die Boxen stellen und über die Frequenzen diskutieren. Wir sind echt ziemliche Nerds. Der Videoclip zur Single "This Momentary" wurde in der Sperrzone um den Atomreaktor von Tschernobyl gedreht. Wer hatte die Idee? James: Den Clip zu unserer vorherigen Single "Counterpoint" drehten wir mit Schauspielern. Es war uns zunächst einmal wichtig, das nicht zu wiederholen. Gleichzeitig wollten wir aber auch nicht so ein langweiliges Bandvideo machen. Es ging uns darum, etwas zu finden, was dem Titel des Songs gerecht würde, sich also mit der Auswirkung einzelner Momente auf ein ganzes Leben beschäftigt. Irgendwann trafen wir uns mit Dave Ma. Er mochte den Song und hatte eben die Idee, das Video in Tschernobyl zu drehen. Wart Ihr skeptisch? James: Ein bisschen. Wir fragten ihn, ob das nicht ziemlich gefährlich sei. Das war ihm relativ egal, und so ließen wir ihn einfach machen. Er nahm also seinen Kameramann und seinen Produzenten und sie flogen in die Ukraine. Matt: Bei dem, was Dave nach dem Dreh erzählte, bekamen wir aber schon eine Gänsehaut. Wenn man die Sperrzone wieder verlassen möchte, muss man durch eine Kammer gehen, in der die radioaktive Strahlung deines Körpers gemessen wird. Dort leuchtet eine rote Lampe. Wenn die Strahlung die Grenzwerte nicht überschreitet, wechselt die Lampe auf Grün. Einmal passierte das bei Dave nicht. Er wartete. Fünf Sekunden, 20 Sekunden, eine Minute. Nichts passierte, und er hatte ziemlich Angst, in Quarantäne zu müssen. Dabei hatte dieser Kasten nur einen Wackelkontakt. Gab es vorher eine Agenda für das Video? Matt: Nein, die Agenda entstand vor Ort mit den Menschen, die Dave und sein Team trafen und die ihre Geschichten erzählten. Da ist zum Beispiel diese alte Frau. Sie lebt noch immer in der Sperrzone um den Reaktor - wie übrigens eine Menge Menschen, mehr als man denkt. Sie sitzt in ihrem Haus, trinkt Wodka und wartet auf den Tod. Gerade die ältere Generation weigerte sich nach der Katastrophe, ihre Häuser zu verlassen. Über einen ihrer Nachbarn lernte Dave dann ein Mädchen aus der Ballettklasse kennen, die in dem Video ebenfalls zu sehen ist. Das ist das, was wir mit dem Video zeigen wollten: Dass es selbst in der Sperrzone von Tschernobyl Alltag gibt. James: Wir sind sehr stolz, die Musik

gemacht zu haben. Und wir haben den Eindruck, dass Musik und Bilder tatsächlich extrem gut harmonieren. Als wir den Clip das erste Mal sahen, erkannten wir eine verstörende Schönheit der Bilder - aber Dank der Protagonisten auch Inhalte, die uns vorher gar nicht bewusst waren. Videoclips sind mittlerweile aus den Fernsehprogrammen verschwunden und finden fast nur im Internet statt. Gibt das Bands künstlerische Freiheiten oder sorgt es dafür, dass die Budgets schrumpfen? James: Wir beschäftigen uns mit solchen Fragen eigentlich nicht. Um Finanzfragen kümmert sich das Management, unsere Köpfe sind, was das angeht, hoch oben in den Wolken (lacht). Wir überlegen nicht, ob ein Clip in Sachen Format irgendwo reinpasst. Vielleicht hast Du recht. Andererseits war das Musikvideo aber immer schon eine Kunstform, die sehr offen war und die ihren Regisseuren Raum für Experimente ließ. Denke mal an Aphex Twin und "Come To Daddy" oder "Windowlicker". An Radiohead und "Street Spirit", ich bin fast ausgeflippt, als ich das sah. Oder zuletzt an Beyoncé und Ihr "All The Single Ladies". Ich denke, Musikvideos werden immer reizvoll bleiben, weil die Kombination aus Bild und Musik so viele neue Projektionsmöglichkeiten bietet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Album "Acolyte" erscheint am 29. Januar bei Cooperative/ Universal. Tourdaten: 03.02., Hamburg, Molotow 09.02., Berlin, Bang Bang Club 10.02., München, 59:1 13.02., Köln, Subway

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