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„Vom kleinen, dreckigen Geheimnis zum internationalen Skandal“

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Taiji, eine kleine japanische Küstenstadt, wird weltbekannt. Und dafür gibt es unschöne Gründe. In einer für Besucher nicht zugänglichen Bucht werden jährlich mehr als 20.000 Delfine Trainern vorgeführt, die für ihre Shows in Vergnügungsparks wie „Sea World“ die passenden Attraktionen suchen. Die Tiere, die nicht hübsch genug fürs Aquarium sind, werden noch vor Ort von ihren Fängern brutal abgeschlachtet, ihr Fleisch wird verkauft. Der „National Geographic“-Fotograf und Umweltaktivist Lois Psyhoyos hat nun mit „The Cove“ einen Dokumentarfilm über die Gräueltaten von Taiji gedreht. Darin zeigt er, wie der ehemalige „Flipper“-Trainer Ric O’Barry zusammen mit einem Team versucht, den Mord an den Delfinen aufzunehmen, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion installieren sie Kameras in den Felsen und gelangen so an die gewünschten Bilder. „The Cove“ ist ein Spionage-Thriller, der als Oscar-Anwärter gehandelt wird. jetzt.de hat mit O’Barry über dessen Schuldgefühle am weltweiten Geschäft mit den Delfinen und seinen grenzenlosen Aktivismus gesprochen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Mr. O’Barry, Sie sagen häufig, Sie fühlten sich wegen „Flipper“ verantwortlich für das Milliarden-Geschäft, das mit Delfinen bis heute gemacht wird. Aber nach 35 Jahren Aktivismus für diese Tiere, sollte es doch eigentlich keine Schuldgefühle mehr geben, oder? Ric O’Barry: Nein, Schuld ist für mich heute kein Antrieb mehr. In den 70er-Jahren war das meine Motivation. Von 1960 bis 1970 war ich Teil dieser Industrie. Und ich denke, dass die „Flipper“-Show viel damit zu tun hatte, warum Delfine bis jetzt gefangen genommen werden. Heute ist der Aktivismus für mich so natürlich wie das Atmen. Ich mache das alles ganz automatisch, ich denke gar nicht mehr viel darüber nach. Würde es keine „Sea World“-Parks geben, wenn „Flipper“ nicht so eine erfolgreiche Sendung gewesen wäre? Zumindest wären „Sea World“s nicht so beliebt. Viele von denen, die „Sea World“s errichten, waren oder sind „Flipper“-Fans. Sie reizt das Herumschwimmen mit Delfinen und die Nähe zu ihnen. „The Cove“ kommt mir ein bisschen wie ein „Ocean’s“-Film aus Hollywood vor: Sie haben sich ein Team aus Logistikern, Tauchern, Special-Effect-Leuten und Filmemachern zusammengestellt, um das Delfinschlachten in Taiji der Welt vorzustellen. Kam Ihnen das alles auch wie ein Krimi vor? Schon, auch wenn ich finde, dass der Film die Disney-Version des eigentlichen Geschehens in Taiji ist und nicht wirklich zeigt, dass die Filmemacher und die Aktivisten nicht viel miteinander zu tun haben. Die Filmemacher haben schon längst neue Projekte, an denen sie arbeiten. Ich war schon seit fünf Jahren in Taiji, als der erste Kameramann dazu kam. Bei meinem ersten Besuch wusste ich gar nicht, wie ich mit all der Bösartigkeit und Brutalität umgehen sollte. Meine japanischen Kollegen erzählten mir dann etwas von „Gaiatsu“, was so viel wie „äußerer Druck“ bedeutet. Von da an wusste ich, dass ich CNN, BBC und RAD ins Spiel bringen musste. Das Fernsehen machte auf die Bucht aufmerksam, und jetzt gibt es den Film – der ist sozusagen „Gaiatsu“ im ganz großen Stil. „The Cove“ wird auch in Japan erscheinen und auf dem Filmfestival in Tokio gespielt werden. Wenn es sein muss, stellen wir ihn auch online, damit alle Japaner ihn sehen können. Der deutsche Trailer zu "The Cove"

Im Film sieht man, wie Sie im Auto durch Taiji fahren. Vorbei an bunten Delfin-Statuen und Wandmalereien, in denen „We love dolphins“ zu lesen ist. Kann man darauf reinfallen? Taiji erinnert mich an meine Kindheit in Miami in den 50ern. Die Stadt ist ein wirklich friedlicher Ort. Es gibt so gut wie überhaupt keine Kriminalität, alle schlafen mit offenen Haustüren. In Taiji leben 3.500 Menschen, die meisten von ihnen sind älter, weil es die Jungen nicht in so einem kleinen Ort hält. Diejenigen, die die Delfine in der abgelegen Bucht abstechen, sind weitestgehend isoliert vom Rest der Einwohner. Es gibt dort ja auch nur 13 Boote, die sie benutzen. Jeweils zwei Fischer nehmen ein Boot. Es sind also 26 Menschen, die in Taiji Delfine jagen und schlachten. Und diese Minderheit wird nun vom Großteil der Bevölkerung Taijis beschimpft, weil alle Welt von ihren üblen Machenschaften erfahren hat: „Wie könnt ihr uns das antun? Ihr habt unseren Ruf ruiniert!“ Was man auf gar keinen Fall machen darf, ist ganz Japan für die Delfin-Schlachtungen verantwortlich machen, so wie es manche Organisationen tun, die im Netz mit „Boycott Japan!“-Parolen für den Tierschutz werben. Das ist rassistisch. Die Fischer versuchen ständig, Sie und Ihre Kollegen zu provozieren und hoffen darauf, dass Ihnen irgendwann mal die Hand ausrutscht. Deshalb haben sie immer eine Kamera dabei, um den Ausrutscher festzuhalten und Sie aus der Bucht zu vertreiben. Mit all Ihren bisherigen Erfahrungen mit diesen Leuten: Wie würden Sie die Delfin-Fischer charakterisieren? Wenn die Fischer die Delfine in die Bucht treiben, stehen schon 13 Delfin-Trainer im flachen Wasser und warten auf sie. Ich bin enttäuschter von den Trainern als von den Fischern. Denn auf einer Art und Weise wissen die Fischer gar nicht, was sie da eigentlich tun. Auch wegen eines Sprachproblems: Allein „Wal“ wird in ihrer Sprache als „Monsterfisch“ übersetzt. Also denken sie über Delfine auch, diese wären nichts anderes als große Fische. Die Trainer wissen es besser. Sie sehen den Delfinen in die Augen, geben ihnen Namen und füttern sie jeden Tag. Sie handeln bewusst. Außerdem loben die Trainer die Fischer für ihre guten Fänge. Sie belohnen sie für ihr schlechtes Benehmen, indem sie mehr als 150.000 Dollar für einen Delfin zahlen. Die Fischer gelten als gefährlich und gewaltbereit. Denken Sie, Sie wären mit dem Leben davon gekommen, wenn man Sie bei Ihren Aktionen gefasst hätte? Ich denke nicht, weil sie dort wirklich aggressiv sind. Manchmal sind die Fischer auch betrunken, was sie noch unberechenbarer macht. Wenn sie es für möglich hielten, mich unbemerkt umbringen zu können, würden sie es tun. Sie könnten mich einfach an einer abgelegenen Stelle vom Felsen stoßen und später behaupten, es wäre ein Unfall gewesen. Aber dazu wird es nicht kommen. Manchmal schlafe ich auch in den Felsen rund um die Bucht, um die Fischer zu beobachten. Aber mich wird dort niemand finden. Gefährlicher als die Fischer ist allerdings die Yakuza, die japanische Mafia, welche die gesamte Industrie kontrolliert. Vor ihr muss ich mich noch besser verstecken. Die Fischer haben Ihnen eine Landkarte mit Kennzeichnungen von Küstenorten gegeben, wo Sie sich nicht aufhalten dürften. Das war nicht wirklich clever von den Fischern. Macht sie vielleicht gerade ihre Dummheit so gefährlich? Es ist nicht so sehr Dummheit, vielmehr eine ganz andere Denkweise. Sie denken sehr einfach. Viele dieser Leute haben niemals eine große Stadt gesehen, sie haben sehr wenige Informationen über die Welt außerhalb von Taiji. Sie hätten es auch nicht für möglich gehalten, dass wir eine so gute Ausrüstung besitzen könnten, um unsere Aktionen durchführen zu können. So etwas kennen sie gar nicht. Was die Fischer wissen, ist, dass Delfine empfindlich auf Geräusche reagieren. Deshalb treiben sie die Tiere mit Hammerschlägen an ihren Booten in die Bucht. Was geschieht mit den Delfinen, wenn sie diese Laute hören? Delfine leben in einer Welt ohne Mauern. Sie kennen die absolute Freiheit. Diese Hammerschläge sind für sie wie die Landung eines Ufos auf ihrem Terrain, die Delfine werden dadurch terrorisiert. Sie richten sich sehr nach der sie umgebenden Akustik, solche Hammerschläge kennen sie gar nicht. Die machen ihnen große Angst. Sie verlieren die Orientierung und versuchen nur noch, zu fliehen. Manche Weibchen kalben in dieser Stresssituation und verlieren ihre Babys, andere Tiere sterben an Herzversagen. Da die Fischer schon fünf bis sieben Meilen vor der Küste mit ihrer Jagd beginnen, weiß man auch gar nicht, wie viele Delfine auf dem Weg in die Bucht sterben müssen. Ihre Körper sinken nach ihrem Tod. Sobald die Delfine in der Bucht ankommen, suchen sich die Trainer die schönsten für ihre Shows aus. Der Rest der Tiere wird in der Bucht geschlachtet. Gelangt das Fleisch auch auf die Teller in japanischen Restaurants und Haushalten? Ja, und man muss beachten: Delfinfleisch beinhaltet viel Quecksilber, was reines Gift für den Menschen ist. Aber nicht nur Delfinfleisch ist quecksilberhaltig, auch Thunfischfleisch, Schwertfischfleisch, ja das Fleisch von eigentlich allen großen Fischen. Gehen Sie in Berlin in ein Sushi-Restaurant und bestellen Sie Thunfisch. Schicken Sie das Fleisch ins Labor – es wird Quecksilber drin sein. Das ist hochgradig giftig, und keiner tut etwas dagegen, dass es einfach so verkauft wird. Man wartet wohl darauf, dass die Regierung etwas unternimmt. Und das wird dauern. Was hat „The Cove“ bisher bewirken können? Ich war Anfang September in der Bucht in Taiji, und es wurden keine Delfine mehr getötet. Weil sie dort unter enormem internationalen Druck stehen. Es verändert sich gerade sehr viel und das rasend schnell. Alles musste wohl erst auf die Spitze getrieben werden - und dieser Film dokumentiert die Spitze. Das, was in Taiji passiert, war ein kleines, dreckiges Geheimnis. Jetzt ist es ein internationaler Skandal. Nächste Woche werden Sie 70 Jahre alt. Geht ein Aktivist wie Sie jemals in Rente? Ich werde immer wieder zurückkehren, bis wir das das Treiben dort beendet haben. Aber ich denke, dass die Zukunft des Aktivismus Filmemachern wie meinem Sohn, der gerade eine mehrteilige Fernsehserie über „The Cove“ produziert, und natürlich Journalisten gehört. Der Film "Die Bucht" läuft ab nächsten Donnerstag auch in deutschen Kinos.

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