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"Warum gibt es Antisemitismus?"

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Im Herbst 2007 wurde am Touro College in Berlin, der einzigen jüdisch-amerikanischen Privathochschule Deutschlands, der Masterstudiengang „Holocaust Communication and Tolerance“ ins Leben gerufen. Die Studenten werden mit historischem Fachwissen und guten Vermittlungsfähigkeiten zu „Holocaust-Experten“ ausgebildet. Danach sollen sie vor allem in neuen Berufsfeldern, zum Beispiel in Medienprojekten zur Holocaustvermittlung, tätig werden. Aber auch in Gedenkstätten, Museen, Verlagen, Bildungseinrichtungen oder Forschungsprojekten. Von anfangs sieben in persönlichen Gesprächen ausgewählten Studenten sind nach dem ersten Jahr noch sechs dabei. Eine von ihnen ist die 36-jährige Christina Winkler. Wie bist du dazu gekommen, dich für diesen Studiengang zu entscheiden? Das war ein langer Weg. Ich habe Slawistik und VWL an der Freien Universität Berlin studiert. Nach dem Studium bin ich für ein Jahr nach Wolgograd gegangen und habe dort am Goethe-Institut gearbeitet. Das ist natürlich ein sehr geschichtsträchtiger Ort. Unter dem Haus, in dem ich gearbeitet habe, befand sich im zweiten Weltkrieg ein Massengrab. Man ist mir als Deutsche zwar ohne negative Emotionen begegnet, aber was mich schockiert hat, war der Antisemitismus, der dort latent und teilweise sogar sehr offen zu spüren war. Nach dem Jahr habe ich in Deutschland beruflich wieder viel mit jüdischen Russen zutun gehabt. Danach war ich drei Jahre für die Organisation „Petersburger Dialog“ als Projektleiterin tätig. Das Thema ließ mich einfach nicht mehr los. Ich fragte mich: Warum gibt es Antisemitismus? Woher kommt er? Was kann man dagegen tun? Ich bin dann eher zufällig auf das Touro College gestoßen und dachte mir sofort: Das ist es! Und das ist es auch heute noch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Christina Was kann man sich unter dem Studiengang „Holocaust Communication and Tolerance“ vorstellen? In erster Linie geht es in unserem Studium um die Vermittlung von historischem Faktenwissen, mit dem Ziel, die Geschichte des Holocaust vermitteln zu lernen. Dazu analysieren wir, welche Formen der Vermittlung es in Deutschland und in anderen Ländern bereits gibt. Es gibt ja auch immer weniger Zeitzeugen, und deshalb versuchen wir, neue Formen der Vermittlung zu finden. Dazu kommen jede Woche Fachleute aus der Praxis an unser College, die in den Medien über das Thema berichten oder Bücher veröffentlicht haben. Ist ein Studium speziell zu diesem Thema nicht ziemlich deprimierend? Natürlich, das ist es auf jeden Fall. Meine Freunde haben mich das auch gefragt, als ich angefangen habe, oder sie haben gesagt: „Für mich wäre das nix, aber ich finde es gut, dass du das machst“. Es gehört sicher auch eine Portion Idealismus dazu, sich für dieses Studium zu entscheiden. Aber wir haben uns alle sehr bewusst für dieses Studium entschieden und stehen dahinter. Natürlich machen einen viele Dinge, mit denen wir täglich konfrontiert werden, fassungslos. Aber dann hilft der Gedanke, dass wir genau diese Fassungslosigkeit vermitteln wollen um zu verhindern, dass so was noch mal passiert. Aber da gehört natürlich schon eine gewisse Leidenschaft dazu. Gibt es etwas, womit du dir einen Ausgleich zu den schweren Themen schaffst? Ja, ich nehme seit 19 Jahren klassischen Gesangsunterricht. Das ist mein Ausgleich. Das Studium kostet 3000 Euro pro Semester. Wie finanzierst du das? Ich habe ein Stipendium, sonst hätte ich mir das nicht leisten können. Fast alle von uns haben vom Touro College, genauer gesagt aus dem Fördertopf der zentralen Einrichtung in New York, ein Stipendium bekommen. Die 3000 Euro werden uns also glücklicherweise abgenommen. So bleiben nur die Semestergebühren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Blick auf den kleinen aber feinen Campus. Haben die Studenten mehrheitlich einen jüdischen Hintergrund? Nein, nicht speziell. Einen Israeli haben wir bei uns, der über die Aktion Sühnezeichen nach Deutschland gekommen ist. Aber ansonsten nicht. Obwohl, das Haus, in dem wir studieren, hat einen jüdischen Hintergrund. Es ist praktisch ein Spiegelbild des Schicksals der Berliner Juden. Eine jüdische Familie hat es 1930 von dem Architekten Bruno Paul bauen lassen. 1934 ist die Familie dann emigriert und in der NS-Zeit hat der Reichskirchenminister dort residiert. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es dann vor allem für Bildungseinrichtungen genutzt, und heute studieren wir dort. Wie ist es eigentlich, zu sechst zu studieren? Das ist wirklich traumhaft. Überfüllte Hörsäle gibt es bei uns nicht. Nein, das ist schon ideal. Es hat nur den Nachteil, dass man natürlich nie abschalten kann.

Text: andreas-lallinger - Fotos: privat

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