Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Was bedeutet der Zentralrat für junge Deutsche jüdischen Glaubens?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wie ist dein Verhältnis zur Religion? Ich bin nicht religiös, auch meine Familie nicht, das heißt wir essen nicht koscher und halten auch keinen Sabbat. Aber wir halten die hohen Feiertage wie Rosch Ha-Schana, Jom Kippur und Passah ein und gehen dann auch in die Synagoge. Ich bin auf jeden Fall mit einem Bewusstsein für Religion aufgewachsen, was ich auch schön finde. Mir wurde immer vermittelt, was ich bin und warum ich das bin. Wie wurde dir das vermittelt? Wenn man Großeltern hat, die in Deutschland manchmal immer noch Angst haben, entwickelt man zwangsläufig ein Bewusstsein dafür. Das werden unsere Kinder schon nicht mehr haben. Sind die Ängste wirklich immer noch da? Ja, auf alle Fälle. An Chanukka soll man eigentlich einen Leuchter mit Kerzen ins Fenster stellen, genauso wie die Sabbat-Kerzen. Das hat meine Großmutter nie getan, weil sie Angst hatte, dass dadurch jemand mitbekommen könnte, dass wir Juden sind. Sie hat auch immer gesagt, ich soll besser keinem sagen, dass ich Jüdin bin, sonst würde ich mich vielleicht unbeliebt machen. War das eine Belastung für Dich? Überhaupt nicht. Ich habe meine Religion und meine Geschichte eher als Bereicherung empfunden. Meine Großmutter hat ziemlich offen über den Krieg geredet und ich hab diese Geschichten auch sehr gerne gehört, weil das so einen Hauch von Abenteuer hatte. Ich war damals aber auch erst fünf Jahre alt und habe nicht verstanden, dass das Realität ist bzw. war, was meine Großmutter erzählt. Allein dadurch habe ich eine jüdische Identität erhalten – zwangsläufig. Aber jüdisch und deutsch zu sein, das ist doch bestimmt nicht so einfach. Ich war lange sehr zerrissen zwischen dem Jüdischsein und dem Deutschsein. Das liegt daran, dass einem die jüdische Gesellschaft in Deutschland vermittelt, man müsse sich für eine Seite entscheiden. Entweder ist man Jude mit Leib und Seele und hat das Ziel, irgendwann einmal nach Israel zu gehen. Als wäre das Leben hier ist nur ein Zwischenstopp! Ich hab mich immer gefragt, was man denn dann so lange hier macht? Aber gut. Oder man entscheidet sich eben, Deutscher zu sein und damit „goi“, also nichtjüdisch. Ich habe diese Trennung immer als sehr merkwürdig empfunden, vor allem mit meiner besten Freundin neben mir, die Deutsche und völlig unreligiös war. Ist das nicht auch anstrengend? Ja, auch wenn man ins Ausland in den Urlaub fährt, muss man sich ständig weiter entscheiden. Wenn meine Freundin und ich zum Beispiel von Israelis angebaggert werden und wir ihnen dann erzählen, dass wir aus Deutschland kommen, sind die blonden Haare der Freundin plötzlich nicht mehr so schön. Wenn ich dann aber sage, ich bin Jüdin, sind sie wieder total freundlich und fragen sofort, warum ich denn nicht nach Hause kommen würde? Irgendwann habe ich mich einfach entschieden, dass ich Jüdin bin und das traditionsmäßig auch voll lebe. Trotzdem: in erster Linie bin ich Deutsche. Ich mache da auch überhaupt kein Hehl draus, sondern bin sogar total stolz darauf, Deutsche zu sein und in diesem Land zu leben. Ich fühle mich sehr wohl hier, hatte noch nie etwas mit Antisemitismus zu tun und bin hier verwurzelt, auch mit der Kultur. An zweiter Stelle bin ich Jüdin, denn es ist immer noch eine Religion und keine Nationalität. Welche Bedeutung hat für dich der Zentralrat der Juden? Eigentlich soll der Zentralrat der Juden die Juden in Deutschland repräsentieren. Er soll sich für die Rechte der Juden und für das Verständnis von Juden und Nichtjuden bzw. Juden und Deutschen einsetzen. Und da wird das dann auch schon wieder gleichgesetzt: als ob Juden und Deutsche zwei Nationalitäten wären. Als dann der Eiserne Vorhang fiel und viele Juden aus Osteuropa und Russland hierher kam, sollte der Zentralrat auch hier für Integration und Verständnis sorgen. Und ich finde, ehrlich gesagt, dass sie auf ganzer Linie versagt haben, was die Integrationsleistung angeht. Wieso? Ich kann keinen besonders normalen Umgang von Juden und Nichtjuden erkennen. Und ganz besonders in den Kreisen, die in den jüdischen Gemeinden Einfluss haben. Ich habe eher das Gefühl, dass sich in einigen Gemeinden ganz bewusst von Deutschen abgegrenzt wird und man lieber unter sich bleibt. Ich durfte zum Beispiel nie eine nichtjüdische Freundin in die Synagoge mitbringen. Als Kind war ich oft in jüdischen Ferienlagern, da durfte keine deutsche Freundin mit, da darf man noch nicht mal hin, wenn ein Elternteil nichtjüdisch ist. Das finde ich merkwürdig. Es herrscht eine sehr große Angst vor Assimilation und die Auffassung, dass man sich davor nur durch Isolation schützen könne. Das finde ich schwach. Auch was die Integration der osteuropäischen Juden angeht: unsere Gemeinden sind eine knallharte Zweiklassengesellschaft. Obwohl die osteuropäischen Juden 90 Prozent der Gemeinden ausmachen, haben sie überhaupt keinen Einfluss. Da meine Familie aus Lettland kommt und viele Verwandte nach dem Fall des Ostblocks herkamen, bekomme ich das schon hautnah mit. Die wurden nicht gerade mit viel Sympathie empfangen. Wie hast du die Präsidenten des Zentralrats denn bisher wahrgenommen? Zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe ich Ignatz Bubis. Meine Kritik bezieht sich aber eher auf die Funktion des Verbands insgesamt. Die Präsidenten selbst habe ich immer sehr geschätzt. Ich fand Ignatz Bubis zum Beispiel sehr charismatisch. Obwohl ich noch sehr klein war damals, habe ich mitbekommen, dass er offen auf Leute zugeht und den Kontakt sucht. Ich fand auch Paul Spiegel sehr sympathisch. Zu ihm habe ich ein persönlicheres Verhältnis gehabt, weil seine Tante bei uns in Münster in der Gemeinde ist. Sie ist eine gute Freundin meiner Großmutter und hat Geschichten vom kleinen Paul erzählt. Allein dadurch hatte er bei mir natürlich einen Stein im Brett. Hat die Person des Zentralrats für deine jüdische Identität eine Rolle gespielt? Mir hat sie als Jüdin immer meine eigene Andersartigkeit vor Augen geführt. Da war immer ein Mensch, der einen erinnert hat, dass man auch noch eine andere Identität hat als die bloße Deutsche, wenn man mit seinen Freundinnen abhängt. Und dass man, was ich aber auch richtig finde, damit nicht so leichtfertig umgehen sollten, sondern dass daran im aufklärerischen Sinn eine Verantwortung geknüpft ist. Schreckliche Dinge wie der Holocaust werden schnell zu Geschichtszahlen und wenn man die Chance hat, die Geschichte der eigenen Familie zu erzählen, sollte man sich die nicht nehmen lassen. Also genau das Gegenteil von dem tun, was meine Großmutter mir geraten hat: nicht verschweigen, dass man Jude ist. Charlotte Knobloch ist die erste Frau in diesem Amt. Das finde ich super, auch wenn ich Frau Knobloch selbst nicht kenne. Es gibt ja viele Vorurteile, was die Rolle und Stellung der Frau im Judentum angeht. Männer und Frauen sitzen getrennt in der Synagoge, was ich aber, obwohl ich mich als emanzipiert betrachten würde, gut so finde. Ich empfinde das überhaupt nicht als abwertend. Das ist wie ein Mädchenabend im großen Rahmen mit jeder Menge Tratsch und das ist toll. In liberalen Gemeinden gibt es zum Teil Rabbinerinnen, in orthodoxen ist das aber undenkbar. Der Präsident des Zentralrats ist aber auch kein religiöses Amt, insofern ist es nicht so außergewöhnlich. Die Frauen in Israel sind sehr emanzipiert und die jüdische Mutter ist ein bisschen wie die italienische. Die hat die Hosen an und bestimmt, wo es lang geht. Wenn Frau Knobloch dazu beitragen kann, Vorurteile gegenüber der Rolle der Frau im Judentum abzubauen, fände ich das gut. Die Generation, die den Krieg noch selbst miterlebt hat, wie auch Frau Knobloch, wird es in Deutschland bald nicht mehr geben. Hat das für dich eine Bedeutung? Frau Knobloch steht einfach durch ihre Geschichte und ihre Erfahrung für Offenheit. Sie wohnt in Deutschland und selbst wenn sie in Sachen Integration gar nichts tun würde - allein die Tatsache, dass sie dasteht, trotz des Holocausts hier lebt und jedem die Hand gibt ist der beste Beweis für Integration, den es geben kann. An ihr sieht man, dass das nötige Bewusstsein wichtig, schlechtes Gewissen unserer Generation aber unangemessen ist, wie ich finde. Trotzdem glaube ich, dass mit einem jüngeren Zentralrat, der die Kriegserfahrung nicht mehr selbst hat, eine neue Annäherung zwischen Juden und Nichtjuden kommen wird, gleichwertiger irgendwie. Ohne irgendjemand auf die Füße treten zu wollen, aber ich freue mich auch auf eine neue Zeit. Mehr zum Thema: Pascal, 20, ist in der Zionistischen Jugend in München aktiv und kennt Charlotte Knobloch, seit er ein Kind ist. Auch er erzählt, was der Zentralrat für ihn bedeutet: "Ich war stolz, als ich Charlotte Knobloch im Fernsehen gesehen habe".

  • teilen
  • schließen