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Jennifer Lyn Morone, 35, hat mit der Jennifer Lyn Morone™ ihr eigenes Unternehmen gegründet – es besteht aus ihr selbst, Interessenten können Anteile an ihr erwerben und über ihren weiteren Werdegang entscheiden. Das Projekt wird auf der diesjährigen Transmediale, einem Festival für Medienkunst und digitale Kultur in Berlin, ausgestellt. http://vimeo.com/98300179 jetzt.de: Wie kamst du darauf, dich selbst als eigene Firma zu vermarkten?
Jennifer Lyn Morone: Wir hatten in der Uni die Aufgabe, einen politischen Protest zu designen. Zu der Zeit wurden in den USA gerade die Snowden-Enthüllungen um die NSA bekannt, das hat mich beschäftigt. Ich hatte aber auch das Gefühl, dadurch, dass die Überwachung schon so lange lief und tief im System verankert war, wäre es schwer für mich, dagegen anzukommen. Also habe ich beschlossen, nach deren Regeln zu spielen und den Handel mit Daten für mich zu nutzen. Ich habe meinen Namen als Marke eintragen lassen und bin selber die Direktorin meines Unternehmens. Die Leute können seitdem Anteile an mir kaufen.

Hat das bereits jemand gemacht?
Einige sind bereits auf mich zugegangen, weil sie Interesse haben. Das sind natürlich Künstler, aber auch Anwälte, die sich mit dem Urheberrecht auseinandersetzen. In den nächsten Monaten wird das hoffentlich konkreter. Zehn Anteilseigner wären erstmal gut.

Was können die Leute von dir kaufen?
Ich bringe alles, was ich habe, in die Firma ein. Mein Wissen, meinen Körper, meine Gesundheit, was ich verdiene und was ich bereits besitze. In einer Art Online-Shop, der gerade noch in der Konstruktionsphase ist, kann man dann Anteile daran kaufen, der Preis variiert. Man kann auch private Informationen von mir kaufen, ganz wie im echten Leben.

Also zum Beispiel das Wissen, ob du einen Freund hast, gerne asiatisch isst – sowas?
Ja, genau. Mein Kunstprojekt zielt ja vor allem auf die Frage ab, was ein Mensch wert ist. Was seine Arbeit wert ist, seine privaten Daten. Ich habe beispielsweise evaluiert, wie viel Geld in meine Ausbildung gesteckt wurde, was ich besitze, wie viel meine Arbeit wert ist. Daraus berechnen sich dann die Kosten für die Anteile.

Und, wie viel bist du wert?
Über eine Million Dollar. Da ist aber zum Beispiel noch nicht der Wert meines Wissens mit drin, sondern eher, was mein Leben bisher gekostet hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wie fühlt es sich an, auf einmal so eine Zahl über den eigenen Wert zu haben?
Nicht schlimm. Prominente machen sowas ja auch und soweit ich weiß, wird auch bei der Lebensversicherungen der Wert eines Menschen berechnet. Mir ist es wichtiger zu wissen, dass ich mit dieser Arbeit auch langfristig einen Wert kreiere.

Was bekommen die Menschen, die in dich investieren, im Gegenzug?
Sie werden in das Unternehmen eingebunden, dürfen Entscheidungen über mich und mein Leben treffen. Ich will damit auch zeigen, wie komplex solche Prozesse sind. Ich selbst werde erstmal die Mehrheit an meiner Firma behalten, aber natürlich könnte es theoretisch passieren, dass ich das irgendwann ändere. Wenn ich weniger als 50 Prozent der Anteile halte und mehrere Anteilseigner sich zusammenschließen, haben sie auf einmal die Mehrheit. Was dann passiert, muss ich herausfinden. Wenn jetzt zum Beispiel ein Chirurg Anteile an mir kauft und etwas mit meinem Körper anstellen möchte, müsste man das mit den anderen Anteilseignern diskutieren.

Hast du keine Angst davor, dass dir über die Macht der Anteilseigner schreckliche Dinge angetan werden?
Eigentlich nicht. Und selbst wenn das passiert, dann würde es ja auch viel über die Natur des Menschen aussagen.

In dem Projekt geht es auch darum, die Kontrolle über seine Daten zurückzugewinnen. Hast du das Gefühl, du bist da bereits ein Stück weiter?
Viele Informationen über mich sind mittlerweile auf meinem privaten Server abgelegt, das fühlt sich schon besser an. Trotzdem kommuniziere ich ja immer noch über öffentliche Leitungen, das hat sich nicht verändert. Aber ich habe das Gefühl, ich kann stärker darüber entscheiden, mit wem ich meine Daten und meine Persönlichkeit teile. Auf der nächsten Seite: Erica Scourti über ihr Projekt, bei dem man ihr beim Sexting zuschauen kann.


Erica Scourti, 35, Videokünstlerin aus London, stellt auf der Transmediale ihr Projekt „Body Scan“ aus http://vimeo.com/111503640  Was genau bekomme ich bei „Body Scan“ zu sehen?
Erica Scourti: Für das Projekt habe ich verschiedene Teile meines nackten Körpers mit dem Handy fotografiert und durch die iPhone-App „Cam find“ gejagt. Die App versucht dann, das Fotografierte zu identifizieren und mit Informationen aus dem Internet zusammenzubringen. Wenn ich zum Beispiel meine Brust fotografiere, zeigt sie mir die Wikipedia-Seite zur menschlichen Brust, aber auch Informationen zu Brustvergrößerungen und wo ich einen Arzt dazu finden kann. Diese Informationen lese ich dann vor. Ich wollte damit zeigen, inwiefern persönliche Daten und der menschliche Körper kommerziell interessant sind.

Das klingt gruselig...
Ja, das finde ich auch. Ursprünglich war die App dazu gedacht, dass man zum Beispiel Schuhe, die man an jemandem sieht und cool findet, schnell fotografieren und so rausfinden kann, wo es sie gibt. Sie zeigt aber auch, wie aus Bildern von Maschinen lesbare Informationen werden. Diese werden dann vertaggt, man bekommt ähnliche Suchergebnisse vorgeschlagen – da ist momentan eine große Entwicklung im Gange.

Dadurch, dass das Projekt sich auf einem riesigen iPhone-Bildschirm abspielt und die App deine Bilder kommentiert, hat man das Gefühl, man schaut dir beim Sexting zu. War das beabsichtigt?
Das haben schon mehrere gesagt und ich mag den Gedanken. Wir diskutieren ja immer wieder viel darüber, inwiefern Maschinen Menschen ähnlich sein können und kommen meistens zu dem Ergebnis, dass Maschinen nicht fühlen. Bei mir sieht man, dass es da trotzdem eine Interaktion geben kann. Manche der Fotos hat mein Freund gemacht, es sind auch Bilder von seinem Körper in der Installation zu sehen. Also eigentlich sieht man uns tatsächlich bei einem intimen Prozess zu. Dadurch, dass ich die Bilder in einem so großen Kontext ausstelle und die Maschine sie mit technischen Begriffen und Anlaysen bewertet, geht allerdings jede Erotik verloren. Das finde ich interessant.

Wie fühlst du dich damit, dass so viele Leute euch jetzt in diesen intimen Momenten zuschauen können?
Wir verschicken und teilen andauernd Sachen auf Facebook oder in Messengern. Nur weil wir dabei das Publikum nicht sehen, das sich unsere Inhalte anschaut, heißt das nicht, dass es nicht da ist. Das versuchen wir nur zu verdrängen. Ich habe mich mit diesem Gedanken jetzt bewusst in die Öffentlichkeit begeben, um herauszufinden: Wie fühlt es sich an, wenn ich wirklich Menschen sehe, dir mir dabei zuschauen? Das ist nicht immer angenehm, aber ich muss es jetzt aushalten.

Also willst du mit der Installation eigentlich zeigen, dass nichts privat ist?
Genau. Man denkt ja immer, mit den Fotos, die man so verschickt, kann eh niemand was anfangen. Aber das stimmt nicht. Aus den Algorithmen und vielen anderen Daten, die bereits über einen im Netz vorhanden sind, kann man eine ganze Menge ablesen. Viele sagen dann: „Ich habe ja eh nichts zu verbergen!“. Aber das stimmt nur für die aktuelle Situation. Wenn morgen zum Beispiel die Regierung wechselt und auf einmal alle verfolgt, die blaue Augen haben – dann hat man vielleicht auf einmal etwas zu verbergen, aber dann ist es zu spät.

Denkst du, durch das Projekt bekommst du die Kontrolle über deine Daten zurück?
Ja. Ich denke auch viel darüber nach, inwiefern meine Daten überhaupt noch interessant sind, wenn sie eh für alle einsehbar sind. Wenn ich supertransparent werde, passe ich dann überhaupt noch in deren Raster?

Am Ende der Installation sagt die App, deine Bilder seien zu explizit und schmeißt dich raus. Ist das echt?
(lacht) Ja! Witzigerweise ist das allerdings auf dem Handy meines Freundes passiert, nachdem er seine Pobacken fotografiert hat. Das heißt, er wurde von der App suspendiert, nicht ich. Meine Brüste und mein Schamhaar fand die App okay, seinen Hintern nicht.

Text: charlotte-haunhorst - Foto: Ilona Gaynor

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