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"Wie eine Schlacht im Mittelalter"

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Athen befindet sich im Ausnahmezustand. Wie ist die Stimmung bei deinen griechischen Kommilitonen?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ein paar, die sich ärgern, weil durch die Streiks so viele Veranstaltungen an der Universität wegfallen, dass sie vielleicht sogar ein ganzes Semester verlieren. Die meisten aber haben große Zukunftsängste und gehen lieber demonstrieren. Eine Freundin von mir macht sich zum Beispiel Sorgen, weil sie einfach nicht weiß, was nach dem Abschluss auf sie zukommt.  

Bei den jüngsten Protesten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung gab es sogar einen Toten. Hast du Verständnis für die Ausschreitungen?
Für den Frust der Griechen habe ich Verständnis. Am Mittwoch traf ich mich mit zwei befreundeten griechischen Lehrern, die mir auch erzählten, dass ihnen schon wieder der Lohn gekürzt wird, obwohl es gar nicht mehr viel gibt, was man kürzen kann. Allerdings sehe ich das auch der ökonomischen Sicht: Es geht eben nicht, dass immer mehr Schulden gemacht werden und sich Griechenland von anderen Staaten Geld leiht.  Deshalb muss ich auch sagen, dass ich für die gewalttätigen Ausschreitungen kein Verständnis habe.  

Warst du schon selbst einmal bei einer Demonstration dabei?
Zusammen mit anderen Erasmusstudenten war ich erst am Donnerstag auf dem Syntagma-Platz. Was dort abging, grenzte echt an einen Bürgerkrieg.  

Hattest du Angst, selbst verletzt werden zu können?
Ein bisschen Angst hatte ich. So etwas hatte ich einfach noch nie gesehen: Das erinnerte von der Formation her eine mittelalterliche Schlacht – auf der einen Seite standen die Kommunisten, auf der anderen die maskierten Jugendlichen, die Steine und Brandbomben rücksichtslos in die Menge warfen. Die rund 200 Kommunisten bildeten dann – wirklich wie im Film – eine Reihe, zum Schutz trugen sie Motorradhelme und auf Kommando liefen sie in die andere Gruppe hinein. Das war wirklich extrem beängstigend. Aber auch ziemlich fesselnd. 

Hast du richtig mitdemonstriert oder standest du eher abseits?
Wir haben nur zugeschaut, mussten dafür aber relativ nah ran gehen. Ich war bereits am Mittwoch, als der große Generalstreik begann, dort gewesen - zusammen mit den beiden Lehrern. Am Abend erzählte ich dann befreundeten Erasmusstudenten von diesem Erlebnis. Ich glaube, ich klang dabei etwas zu euphorisch. Als meine Freunde dann beschlossen, am Donnerstag selbst einmal gucken zu gehen, wollte ich sie lieber begleiten. Ich fühlte mich ein bisschen verantwortlich für deren Euphorie.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Du absolvierst dein Auslandssemester an einer Wirtschaftsuniversität. Reden die Professoren mit Euch über die Probleme im Land? Behandelt ihr die Krise wissenschaftlich?
Ich habe zum Beispiel ein Seminar, in dem die wirtschaftliche Lage der EU behandelt wird. In dessen Verlauf wohl auch darüber sprechen, wie es soweit kommen konnte. Die Lehrer und Professoren reden ansonsten aber nicht über die Lage im Land. Wenn mal wieder Streiks angekündigt sind, raten sie uns zwar, den Syntagma-Platz zu meiden, aber dabei belassen sie es auch.  

Warum wolltest du Erasmus in Athen machen? Spielte die Tatsache, dass das Land in einer großen Wirtschaftskrise steckt, eine Rolle?
Für diese Entscheidung gab es zwei Gründe: Ich hatte Alt-Griechisch in der Schule und hatte deshalb schon eine gewisse Affinität zu dem Land. Außerdem sagte mir diese Universität sehr zu, da sie eine reine Wirtschaftsuniversität ist, mit deren Besuch ich womöglich meine Berufschancen verbessern kann. Die Krise spielte keine Rolle.  

Dachtest du, die Krise würde überwunden sein, wenn du kommst?
Das dachte ich nicht, aber ich habe gehofft, dass ich mich als Austauschstudent gut aus der Sache heraushalten können würde.  

Und? Klappt das?
Es wirklich seltsam, aber es funktioniert. Unsere Uni ist die einzige, die nicht komplett bestreikt wird. Zumindest für uns Erasmusstudenten finden trotz des Generalstreiks Veranstaltungen statt. Ich kenne allerdings auch Austauschstudenten an anderen Universitäten, bei denen noch gar keine Veranstaltung stattgefunden hat. Dabei hat das Semester schon vor drei Wochen begonnen.  

Wie organisierst du dein Leben im streikenden Athen?
Durch den 48-stündigen Generalstreik hatten die letzten zwei Tage wirklich alle Läden geschlossen. Das war schon krass. Ansonsten weiß ich aber mittlerweile, in welchem Supermärkten ich günstige Lebensmittel bekomme. Gewisse Sachen wie Milchprodukte und Fleisch sind schließlich sehr teuer geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Schon seit Wochen stapelt sich der Müll in den Straßen, das Gesundheitsamt warnt, die Infektionskrankheit Typhus könnte demnächst ausbrechen.
Das könnte wirklich noch ein Problem werden. Freunde haben mir auch schon erzählt, dass sie Ratten auf den Straßen gesehen haben. Es ist ja noch recht warm hier und es riecht in manchen Ecken echt heftig. Bei 25 Grad fangen die weggeworfenen Essensreste schnell an zu verfaulen. Die Müllberge hier überall sind echt extrem.

Bringst du deinen Müll dennoch ordnungsgemäß zu den Tonnen oder wirfst du ihn nun achtlos aus dem Fenster?
Ich bringe ihn runter, aber vor allem versuche ich seit einigen Tagen, so wenig Müll wie möglich zu produzieren. Wir wissen eben nicht, wie lange der Streik der Müllabfuhr noch dauert.   

Angenommen die Situation verschlimmert sich - hast du schon darüber nachgedacht, dass du das Auslandsemester nicht zu Ende bringen kannst?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich das Semester abbrechen muss. Für diesen Fall hab ich allerdings auch schon eine Alternative: Mein Vater hat mir einen Praktikumsplatz in Toronto besorgt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert







Text: steffi-hentschke - Fotos: afp, privat

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