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Wie Herr Fritz-Schubert seinen Schülern das Glück beibrachte

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Herr Fritz-Schubert: Klettern gehen und sich dabei selbst überwinden, Entspannungstechniken lernen, mit Schauspielern an der Selbstdarstellung arbeiten, sich seinen eigenen Charakter von den Klassenkameraden nur in positiven Worten beschreiben lassen – in ihren Glücksunterricht wäre ich auch gern gegangen. Tja, das ist schon was Besonderes. Wir wollten endlich den gesamten Menschen ansprechen und nicht nur Wissen in die Köpfe trichtern. Wer hat mitgemacht? 38 Schüler, die nach der Hauptschule auf eine Berufsfachschule gegangen sind und 18 Kollegiaten der 12. Klasse unseres Gymnasiums. Die haben sich nach einem achtwöchigen Kompaktkurs selbständig auf den Weg gemacht. Auf den Weg? Sie haben sich Projekte zum Glück ausgesucht eine Arbeit dazu verfasst und anschließend in der Schulgemeinschaft präsentiert. Welche Arbeiten? Zum Beispiel schrieb Janina über „Marathon als menschliche Herausforderung“: Sie hat sich vorbereitet, an einem Halbmarathon teilgenommen und anschließend hinterfragt, was Marathon mit Glück beziehungsweise mit Kommerz zu tun hat. Was ist in den acht Wochen vorher geschehen? Schauspieler sind in die Schule gekommen und haben Vertrauensübungen gemacht. Ein Familientherapeut war da und hat gemeinsam mit den Schülern „Selbsterfahrungen“ gesammelt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Glück kann man lernen, sagt Ernst Fritz-Schubert. Manchmal fühlt es sich an wie der perfekte Tag am See. Wie? Die Schüler haben Rückmeldung zu ihren persönlichen Eigenschaften bekommen – auch zu solchen, die sie lieber nicht herausstellen wollen. Sie sollen Vertrauen zu sich gewinnen, Vertrauen in die Klassengemeinschaft. „Sie sollen Vertrauen gewinnen“ klingt aber schon sehr nach Worthülse. Diese Hülsen füllen wir. „Klassengemeinschaft“ ist auch so eine Hülse. Die Schüler sollen sehen, dass sie wahrgenommen werden, wertgeschätzt werden – weil sie nur dann auch wertschätzen können und erkennen, dass das ihr Wohlbefinden steigert. In welcher Situation lernen sie das im Glücks-Unterricht? Sie sitzen zum Beispiel mit dem Rücken zur Klasse und die Klasse sagt positive Dinge über sie. Das geschieht normalerweise eher nicht. Das ist wie ein warmer Regen! „Ich empfinde, dass du sportlich bist, dass du intensiv mit deinen Kameraden umgehst“. Sowas zu hören - das stärkt. Die Schüler hören das vor der ganzen Klasse und denken nachher: So schlecht sind meine Eigenschaften nicht. So wächst Selbstvertrauen. Mit den Stärken lassen sich Ziele realisieren. Wir nutzen die Gemeinschaft, damit die Schüler ihre Ressourcen kennen lernen. Erklären Sie mir, was sie mit Ressourcen meinen? Nehmen wir eine Schülerin aus einer Migrantenfamilie: Die soll sich überlegen, welche Stärken die Familie hat. Aus erbärmlichsten Verhältnissen gekommen, politisch verfolgt und dann nach Deutschland gegangen und sich hier angepasst – was das bedeutet! Welche Kräfte in der Familie stecken müssen. Darüber soll sie sich klar werden. Sie verändern Dinge ja nicht, indem sie appellieren und zum Beispiel einfach Anpassung der Migranten fordern. Sie verändern Dinge nur, wenn sie Erfahren werden. Die Schüler müssen verstehen, dass sie schon etwas sind. Wenn Sie das verstehen, fällt es soviel leichter, Sinn zu finden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ernst Fritz-Schubert Und was ist mit dem Glück? Glück ist der Motor, die Grundlage aller Handlungen. Wir haben vermittelt, was es braucht, um Erfolg zu haben und dabei Glück zu empfinden. Lebenskompetenz zum Beispiel: Die Kletterwand bezwingen und oben ankommen, das bedeutet, etwas zu schaffen, das man sich vorher nicht getraut hat. Das erzeugt eine kurzfristige Hochstimmung und vielleicht auch langfristig Lebensglück. Wir haben zum Beispiel auch versucht, die Lust an der Leistung durch Flowerlebnisse zu vermitteln. Will heißen? Sie sollen sich selbst vergessen, während sie etwas tun. Sich in einer Aufgabe verlieren, weil sie herausgefordert werden und darin Sinn finden. In ihrem Buch "Schulfach Glück" schreiben sie von einem Schüler, der von der Mutter alles bekommt, was er sich wünscht – die Mutter arbeitet sehr viel und macht damit mangelnde Zuneigung wett. Der Sohn stört in der Klasse durch seine negative Einstellung, er sieht nirgends Sinn. Nach einem Gespräch mit seinem Psychologen wissen Sie, dass viele Schüler in Behandlung sind, die keinen Sinn in der Schule sehen. Wir wollen die Schüler zum Beispiel aus der hedonistischen Tretmühle rausholen, in der sie Glück nur im materiellen Konsum empfinden. Neue Produkte versprechen Befriedigung, die aber nie eintritt. Wenn Sie aber in der Gemeinschaft ihre Neugier entdecken, sich selbst erfahren … Warum wollten Sie das Fach Glück bei sich an der Schule haben? Ach, Lehrer wollen etwas Nachhaltiges vermitteln. Nicht nur Wissen eintrichtern. Überlegen Sie mal: Warum lernen Sie? Weil ihre Eltern es erwarten? Oder weil sie verstehen, für was es gut ist? Schule muss auch Voraussetzungen fürs Lernen schaffen. Das ist besser, als nur einzutrichtern. Welche Lernvoraussetzungen meinen Sie? Über was klagen Schüler? Über Stress, Unkonzentriertheit, über Angst. Zusammen mit Bildungsforschern und Sportwissenschaftlern haben wir diesen Kontext entwirrt und gesehen: Wenn wir eine gute Gemeinschaft haben und Spaß an Leistung und Lust an der Entdeckung und der Weiterentwicklung vermitteln, geht alles wie von selbst. Sie sprechen von einer Traumschule … Schule wird als Reparaturbetrieb bezeichnet - das kann es aber nicht sein! Wir müssen wie Sportler arbeiten und fragen: Was stärkt die Schüler? Positive Erlebnisse. Was ist das Ergebnis nach einem Jahr Glück? Die Schüler haben heute mehr Selbstvertrauen, mehr soziales Kapital, finden Sinn in dem, was sie machen, sind neugieriger, wissen immerhin oft, was sie nicht wollen … Viele Schulen wollen das Fach jetzt auch anbieten – sind sie traurig, es nicht schon früher angeboten zu haben? Ach, so was hängt von Freiräumen in der Schule ab, von denen es heute mehr als noch vor 20 Jahren gibt. Außerdem bin ich 60 Jahre und habe Muse, mich solch einem Thema als Schulleiter zu widmen. Letztendlich ist es aber mein persönliches Glück, zu sehen, dass ich etwas bewirken kann. ***

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das enorm lesenswerte Buch Schulfach Glück, in dem Schulleiter Ernst Fritz-Schubert seine Erfahrungen mit dem Glücksunterricht beschreibt, erscheint am 15. August bei Herder und kostet 16,95 Euro. *** Ein ganzes jetzt.de-Magazin zum "Glück" - hier findest du die Übersicht.

Text: peter-wagner - Fotos: ap, Verlag

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