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"Wir haben hier einfach kein normales Leben"

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Leonard (15) und zwei Freunde aus dem Asylbewerberheim holen mich an der Bushaltestelle ab. Von dort gehen wir einen kleinen Weg entlang, bis wir vor vier sehr alten, langgezogenen Holzbungalows stehen, dem Flüchtlingsheim. An einem heißen Sommertag wie dem heutigen wirken die Hütten fast schon idyllisch, man kann sich aber nicht wirklich vorstellen, dass es in ihnen im Winter wirklich warm werden kann. Leonards Zimmer liegt ganz hinten im rechten Bungalow. Seine aus den Fenstern schauenden Nachbarn grüßt er per High-Five und "Servus". Sein Zimmer ist ungefähr acht Quadratmeter groß und mit einem fast leeren Schrank, einem Teppich und einem Bett möbliert, darüber eine Flagge von Sierra Leone und Fotos von daheim. Die gegenüberliegende Wand ist notdürftig mit einer Art Dämmmaterial verkleidet.

Wann wie und warum bist du nach München gekommen?  
Leonard: Ich bin am 13. Juni 2010 mit meiner Mutter nach Berlin gekommen und von dort nach München. Ich habe eine Augenkrankheit, gegen die es in Sierra Leone keine Medikamente gibt. Das war der Hauptgrund, aber uns ging es auch sonst nicht gut dort. In München haben wir die ersten zwei Monate im Asylbewerberheim in Obersendling gewohnt und ab September 2010 dann hier.  

Der Politik wird derzeit vorgeworfen, sie würde Flüchtlinge eher abschrecken und sie möglichst schnell loswerden wollen. Hast du ein ähnliches Gefühl?
Ja, dieses Heim hier ist eine Katastrophe. Hier leben so viele Menschen auf engstem Raum und kaum jemand kann etwas Sinnvolles machen. Ich darf den Landkreis München nicht verlassen, habe keine Aufenthaltserlaubnis und kann voraussichtlich keine Ausbildung anfangen.  

Wie sieht dein derzeitiger Tagesablauf aus?
Um sieben Uhr fahre ich zur Edith-Stein Schule für Sehbehinderte nach Unterschleißheim. Wenn ich am Nachmittag heimkomme, mache ich meine Hausaufgaben und dann meistens gar nichts mehr. Ich würde gerne rausgehen, Leute treffen oder ein Eis essen. Aber dafür braucht man eigentlich immer Geld, das meiste kann ich mir nicht leisten. In den Ferien wird das noch langweiliger, da werde ich niemanden sehen, weil keine Schule ist und alle anderen in Urlaub fahren, während ich hier rumsitze.

Wieviel Geld hast du monatlich zur Verfügung?
Meiner Mutter und mir bleiben nach den ganzen Abzügen 61 Euro im Monat, davon bekomme ich 21 Euro, meine Mutter 40.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit Gutscheinen wie diesen können die Asylbewerber in ausgewählten Geschäften Lebensmittel und Drogerieartikel kaufen.


Für was gibst du dieses wenige Geld dann aus? Euer Essen müsst ihr nicht selbst bezahlen, oder?
Wir bekommen zwar zwei mal in der Woche Essenspakete, die bestehen aber nur aus Dingen wie Wasser, Öl oder Zwiebeln. Den Rest müssen wir selbst dazukaufen. Von den 21 Euro muss ich außerdem meine Schulsachen bezahlen. Für alles andere bleibt da nicht viel übrig.

In Zukunft soll Flüchtlingen mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Wieviel Geld bräuchtet ihr monatlich zur freien Verfügung, um ein besseres Leben führen zu können?  
Wir bräuchten zusammen mindestens 300 Euro, das wäre in Ordnung. Beim Jugendamt hat man mir gesagt, wenn ich alleine wohnen würde, bekäme ich viel mehr Geld. Aber ich will jetzt noch nicht von meiner Mutter wegziehen, ich bin erst 15.  

Viele erhoffen sich nach dem Urteil weitere Verbesserungen der Situation von Flüchtlingen. Welche Änderungen würdest du dir von der Politik wünschen?
Die Heime müssten einfach viel besser ausgestattet sein, wir haben hier einfach kein normales Leben. Ich würde zum Beispiel gerne mit meiner Familie in Afrika Kontakt halten können, hier gibt es aber kein Telefon, und Internet und Call-Shops sind teuer. Außerdem würde ich mir mehr Bildungsangebote wünschen. Oder eine Erlaubnis, den Kreis München zu verlassen, dann könnte ich vielleicht bei unserer Klassenfahrt mitfahren.  

Was hast du in den nächsten Jahren vor?  
Im Moment weiß ich es nicht genau. Wir sind gerade vor Gericht gegangen, weil uns eine Aufenthaltserlaubnis vom Bundesamt verweigert wurde. Das muss ich erstmal abwarten und dann weitersehen. Wenn es mit der Aufenthaltserlaubnis klappt, könnte ich arbeiten, eine Ausbildung machen. Irgendwann will ich Pilot werden, das geht nur momentan noch nicht, auch wegen meiner Augen.

Text: quentin-lichtblau - Bild: dpa

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