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"Wir machen das Schwarze zu Gold. Wir sind Alchemisten."

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jetzt.de: Bei eurem ersten gemeinsamen Projekt, dem Film „Once“, ging es um die Liebe eurer beiden Charaktere, um die Liebe zu Dublin und die Liebe zur Liebe selbst. Liebe scheint immer schon die Antriebsfeder eurer gemeinsamen Arbeit gewesen zu sein. Glen: Natürlich, wir teilen die Liebe zur Kunst, die Liebe zur Musik und die Liebe zum Leben. Ich denke aber, dass die meisten Menschen Dinge aus Liebe zur Sache tun – zumindest sollten sie das. Der Ursprung all unserer gemeinsamen Ideen ist jedoch immer unsere Freundschaft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diese Freundschaft ist jedoch aus einer früheren Beziehung erwachsen. Also ist das „Lass uns doch Freunde bleiben“-Gefasel doch kein Mythos? Glen: Das hängt zu großen Teilen davon ab, wie es vor der Beziehung gewesen ist – und wir sind bereits Freunde gewesen, bevor wir ein Paar wurden. Deshalb hat sich auch sehr schnell herauskristallisiert, dass wir trotz der Trennung weiterhin gemeinsam Musik machen wollen. Markéta: Der Zeitfaktor spielt dabei eine wesentliche Rolle. Man muss Abstand gewinnen, um die Umstände begreifen und akzeptieren zu können. Den meisten Menschen machen solche Veränderungen erst einmal Angst, aber uns war klar, dass alles andere keinen Sinn machen würde. Sicherlich war es nicht ganz einfach, während der gemeinsamen Arbeit am Album den nötigen Abstand zu gewinnen. Aber wir haben es hinbekommen. Und durch die permanente Konfrontation mit der Situation ging es auch relativ schnell. Beim Hören eures Albums gewinnt man den Eindruck, dass ihr über die Songs miteinander kommuniziert und das Scheitern eurer Beziehung verarbeitet. Würdet ihr dem zustimmen? Glen: Im Stück „Low Rising“ setzen wir uns damit auseinander, ja. Aber ein Song wie „Back Broke“ ist sehr viel spiritueller. Darin geht es um Gott, um Sehnsucht und zerbrochene Hoffnungen. Man darf nicht immer alles beim Wort nehmen. „In Theses Arms“

Allzu viel Freude steckt dennoch hinter keinem der Album-Songs. Wie viel Ironie steckt also hinter eurem Plattentitel „Strict Joy“? Glen: Nur ein bisschen. Wir haben diesen Namen einem alten irischen Gedicht entlehnt, in dem es um den Prozess des Wandels geht, wenn man in sein Innerstes schaut und das Dunkle seiner Seele zutage fördert. Wenn zum Beispiel jemand wie John Lee Hooker in seinem Blues darüber singt, wie ihn seine Frau verlassen hat, dann ist das zwar ein trauriges Thema, aber es ist eingebettet in wundervolle Musik. „Strict Joy“ ist nicht wortwörtlich zu verstehen, aber durch Kunst wird Trauer schön. Es geht also weniger um Spaß, sondern vielmehr um Schönheit. Wenn man in seine Seele hinabsteigt und mit dem pulsierenden, schwarzen Etwas zurückkommt, das wir ständig mit uns herumschleppen, dann können wir das als Künstler in Gold verwandeln. Wir sind Alchemisten. Natürlich ist unser Album voll mit traurigen Liedern. Aber sie kommen aus einer Umgebung der Liebe und wir hoffen, dass sie einem auch etwas über das Licht hinter der Dunkelheit erzählen. Dann bist du also auch einer der Künstler, die eine gewisse Form von Melancholie als Energiequelle für ihre Kunst brauchen? Glen: Definitiv. Aber ich glaube, das ist ganz natürlich. Wenn man in das Tagebuch eines Menschen guckt, findet man dort ebenfalls vorwiegend Aufzeichnungen über die schlechten Tage, weil die Leute ansonsten viel zu sehr damit beschäftigt sind, ihr Leben zu genießen. Und als Musiker tue ich letztlich nichts anderes, als ein vertontes Tagebuch zu führen. Jeder Song ist eine neue Seite, ein neuer Tag. Wenn man glücklich ist, verspürt man nicht das Bedürfnis, etwas zu kreieren. Kreativität fußt auf Traurigkeit. Doch wenn man die Traurigkeit besingt, verwandelt man sie in pure Freude, erntet Applaus und die Leute jubeln – obwohl man als Künstler auf der Bühne all seinen Schmerz ausgeblutet hat. Von der Freude, die du als Künstler deinem Publikum bereitest, bekommst du also nichts zurück? Glen: Natürlich bekomme ich etwas zurück. Aber wenn ich dadurch zu einem glücklicheren Menschen werden würde, könnte ich keine Musik mehr machen. Mir geht es viel mehr um das Hinterfragen einer Idee und nicht so sehr darum, mich durch die Auseinandersetzung damit selbst zu retten. Aber geht es letztlich nicht immer darum, als Mensch glücklich und zufrieden zu sein? Markéta: Sicherlich gibt es ein universelles Verlangen nach Gesundheit, Glück und Zufriedenheit. Dennoch neigen wir als Menschen dazu, uns in schmerzvolle und traurige Gemütszustände zu versetzen und eine Opferrolle einzunehmen, denn dadurch entzieht man sich der Verantwortung für sich selbst. Letztlich ist es doch so: Um an einen Schatz zu kommen, muss man sich erst einmal durch den Dreck graben. Außerdem ermöglicht erst das Erfahren von Kummer und Leid, die wirklich schönen Dinge in Relation setzen und genießen zu können. Glen, du hast in einem Interview mal gesagt, dass Kunst von Natur aus schüchtern sei und eigentlich nicht eingefangen werden möchte. Wie schaffst du es trotzdem, sie festzuhalten? Glen: Wenn ich zuhause sitze und Gitarre spiele, nehme ich alles auf und höre es mir im Anschluss daran an. So habe ich am Ende vielleicht zwanzig Marmeladengläser voller Schmetterlinge. Und wenn mir einer davon beim späteren Anhören nach wie vor gefällt, verfolge ich ihn weiter und hoffe, dass er mich zu weiteren seiner Artgenossen führt. Das mag auf den ersten Blick romantisch klingen, gleicht aber vielmehr einem Auskotzen. Plötzlich liegt die Idee vor dir. Und wenn du Glück hast, kannst du sie noch schnell genug festhalten, bevor sie wieder weg ist. Einen Song zu schreiben bewegt sich immer zwischen dem Einfangen dieses kurzen Moments der Eingebung und der intellektuellen Arbeit der anschließenden Verarbeitung dessen. Hast du denn den Eindruck, dass die Sterberate der Ideen zurückgeht, weil du durch deine anwachsende Erfahrung besser weißt, wie man die Ideen umsetzt und am Leben erhält? Glen: Leider gibt es da kein allgemeingültiges Rezept. Manchmal bin ich leider auch viel zu glücklich und zufrieden – da fällt mir dann überhaupt nichts mehr ein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Strict Joy" von The Swell Season erscheint heute auf dem Label Anti

Text: daniel-schieferdecker - Foto: Conor Masterson

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