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„Wir sind so die Haus- und Hof-Kapelle“. Die Band Slut ist wieder da.

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jetzt.de: Wenn man von Slut spricht, bekommen viele Menschen so einen mütterlich-besorgten Gesichtsausdruck. Ist dir das schon mal aufgefallen? Chris: Es gibt immer mal die Angst, dass wir uns auflösen, oder dass wir in der Hochkultur verschwinden könnten, wegen der Vertonung der Dreigroschenoper. jetzt.de: Man muss sich aber keine Sorgen machen? Chris: Eigentlich nicht, wir sind seit Jahren beim gleichen Major-Label und werden von denen gebauchpinselt. Keine Ahnung, warum. Wir waren dort in manchen Zeiten die einzige deutsche Band im Katalog. Für die sind wir wohl so eine Art Haus- und Hof-Kapelle geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Immer mehr Bands lösen sich von Labels und produzieren selber. Interessieren euch die Umbrüche der Musikindustrie? Chris: Dass es einen Umbruch geben wird, war klar, das hat selbst der Dümmste lang genug vorher mitgekriegt. Wir sind aber zu wenig kaufmännisch veranlagt, als dass wir mit modernen Vermarktungsideen spielen könnten. jetzt.de: Schon im November habt ihr eure Single „Wednesday“ als Video auf der Homepage vorgestellt und es gab begeistertes Web-Echo. Wäre es da nicht toll gewesen, wenn man sich das Lied gleich bei euch hätte runterladen können? Chris: Wie gesagt, ein Racheakt gegen die Industrie liegt uns eher fern. Und auch so eine Download-Sache hätte eines Vorlaufs bedurft. Wir aber konnten im November mit nichts rechnen. Wir wussten nicht, wie wir unser Publikum nach all den Jahren einschätzen sollten. Und dann hatten wir ja mit „Wednesday“ eine Single ausgesucht, die ziemlich speziell ist. Trotzdem war der Zuspruch wirklich toll, auch richtig international – nach ein paar Tagen bekamen wir E-Mails aus Mexiko. jetzt.de: Als Hörer war man vielleicht erstmal überrascht, dass Slut sich noch mal zu so viel Opulenz aufraffen. Chris: Bei unserer letzten Platte hatten wir einen festen Rahmen, wir wollten unbedingt mit kleinem Besteck zu Rande kommen. Dann kam das Projekt mit der Dreigroschenoper, wo ganz neue Sachen beachtet werden mussten. Der Mix aus diesen beiden Erfahrungen hat diese Platte beeinflusst. Es herrschte, grob gesagt, vollkommene Zügellosigkeit. Die neue Slut-Single "Wednesday":

jetzt.de: Sehr angenehm ist, dass die Musik vollkommen ironiefrei ankommt. Liegt das an Ingolstadt, dass ihr, äh, einfach geradeaus sein dürft? Chris: Musik muss auch mal kommentarlos funktionieren. Es gibt Musik, die funktioniert nicht ohne den Diskurs drumherum, da hat man als Band im Studio was falsch gemacht. Oder vorher schon. Wir haben diesmal gar nicht viel diskutiert, das war alles ziemlich klar. Ironie und Zynismus ist sehr einfach. Das Klare und Reine ist viel schwieriger. jetzt.de: Gilt auch für Architektur, deinen anderen Beruf. Was baust du gerade? Chris: Ich baue Häuser in Ingolstadt, das ist sehr schön. Etwas hörbar zu machen ist wesentlich einfacher und darf immer chaotischer sein, als etwas zu entwerfen, in dem Menschen wohnen sollen. Ich dachte auch mal, meine Architektur-Philosophie auf die Musik anwenden zu können, das endete in einem rigiden Minimalismus. Pink Floyd waren übrigens auch Architekten. (Stromausfall. Es wird dunkel, die Kneipenmusik verstummt. Das restliche Interview findet in der Finsternis statt.) Chris: Hat das irgendwas …? Nimmt das Gerät noch auf? jetzt.de: Immer bei Slut fallen mir auch die Bands Miles und Readymade ein. Gab es da wirklich Gemeinsamkeiten? Seid ihr die gleiche Rock-Klasse? Chris: Eigentlich haben wir nix miteinander zu tun, es war einfach die Zeit, die uns verbunden hat. Bei unseren Konzerten steht mindestens einer mit Readymade-Shirt in der ersten Reihe. Die Hörer dachten wohl, wir wären Teil einer Familie, aber die Bands dachten das nie. jetzt.de: Miles und Readymade wurden aufgelöst. Warum seid ihr so lebendig? Chris: Wir haben noch viel zu tun. Es gab einen toten Punkt vor einigen Jahren. Dann machten wir die Klassenexkursion ins Theater, um dann wieder zu wissen: Von hier aus geht es woanders hin. jetzt.de: Dabei gab es bei der Dreigroschenoper doch auch Ärger – die Rechte wurden nur für wenige Lieder freigegeben, die Platte konnte nicht erscheinen, war das nicht sehr deprimierend? Chris: Wir hatten eine wahre Freude an der Dreigroschenoper und mussten uns nur am Schluss ein paar Tage ärgern. Hatte aber auch sein Gutes: Die Theatertour war schon gebucht und musste abgesagt werden. Auf einmal hatten wir ein halbes Jahr frei – für unsere Platte. jetzt.de: Hat Rock eigentlich etwas mit Jugend zu tun? Chris: Gar nicht. Aber die Zeitfrage in einer Band ist trotzdem wichtig. Es gibt drei Phasen. Das Frühwerk, geprägt von Naivität, da wird einfach drauf losgespielt. Dann etabliert sich diese Unbefangenheit in einer zweiten Stufe, man denkt: Wow, das ist also unser Stil. Eine große Gefahr. Es muss dann einen neuen Bruch geben. Ich hoffe nicht, dass wir damit schon wieder durch sind.

Text: max-scharnigg - Foto: oh

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