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Wo ist die Heimat?

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In Cuxhaven daheim, in der Welt zu Hause: Nicht erst seitdem er vom Schreiben lebt, ist der norddeutsche Autor Finn-Ole Heinrich („Die Taschen voll Wasser“, „Räuberhände“) oft monatelang unterwegs: Studium in Hannover, Verlag in Hamburg, Co-Autor in Berlin, Arbeitsstipendien in Lamspringe bei Hildesheim und in Erfurt, Workshops hier, Preisverleihungen dort, Lesungen überall. Irgendwann hat Finn dann begonnen, sich darüber Gedanken zu machen – Gedanken, die nicht damit enden, ob es nun „zu Hause“ oder „zuhause“ heißen muss. Vor wenigen Tagen machte der 25-Jährige seine Überlegungen öffentlich: auf Heimathuckepack.de, einem dreimonatigen Projekt im Rahmen eines Onlinestipendiums des Literaturhauses Bremen. jetzt.de hat sich mit Finn in Hamburg getroffen. Was konkret hat Dich zu Deinem Projekt „Heimathuckepack“ inspiriert? Obwohl ich im letzten halben Jahr – und eigentlich schon immer – ständig wechselnde Wohnsitze hatte, gibt es immer wieder Augenblicke, in denen ich mich zu Hause fühle. Relativ viele sogar. Sehr oft hat das mit den Menschen zu tun, die ich in diesen Momenten treffe – weil die mir den jeweiligen Ort dadurch ein Stück weiter öffnen und erschließen. Das können auch fremde Leute sein, die ich gerade erst kennengelernt habe. „Heimathuckepack“ ist der Versuch, diese Menschen zu sammeln und mir so eine digitale Heimat zu basteln. Können die beiden Gegensätze „Unterwegs sein“ und „Zu Hause sein“ überhaupt zusammen passen? Genau das ist es, was ich untersuchen will. Eine spannende Frage. Mir ist das selbst nicht so ganz klar. Wo ist für Dich Heimat? Ich glaube, dass dieser an einen Ort gebundene Heimatbegriff so'n bisschen in Auflösung ist. Dass Heimat nicht nur an einem, sondern an immer mehr Orten stattfindet. (überlegt) Andererseits macht es natürlich schon etwas aus, dass ich dort aufgewachsen bin, wo ich aufgewachsen bin. Also, in Norddeutschland im weitesten Sinne. Und sicher, wenn ich nach Cuxhaven fahre, mit so einer Bimmelbahn durch die Abendsonne über flache, bucklige Felder, dann kenne ich das natürlich alles und habe schon auch ein bisschen das Gefühl von Heimat, von Nach-Hause-Kommen. Aber in der Zeit meines Frankreich-Austauschs war auch dieses neue Zuhause in Frankreich für mich Heimat. Irgendwie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dann ist Deine momentane Heimat Hamburg? Nein, hier steht gerade nur ein Teil meiner Sachen. Hamburg ist…. das ist ein bisschen kompliziert. Ich muss immer mal wieder hierher kommen, wenn ich saubere Unterhosen brauche. Mehr ist das hier gerade noch nicht. Aber es gibt hier einen Haufen Leute, die mir diese Stadt schnell werden aufschließen können. Dann anders gefragt: Was ist für Dich Heimat? Ich habe die große Vermutung, dass Heimat für mich in Menschen, in Freundschaften und Beziehungen steckt, nicht in Orten. Das hat aber auch mit meiner Arbeit zu tun: Ich kann mich an einen total fremden Ort setzen – und sobald ich den Laptop aufklappe und anfange zu schreiben, bin ich mit dem Kopf ganz woanders. An einem Ort, der nur mit mir und meinen Gedanken zu tun hat. (überlegt) Diese Gedanken speisen sich wahrscheinlich aus dem, was ich bisher erlebt habe – sozusagen aus meiner gedanklichen Heimat. Und natürlich aus Musik, konkreten Erinnerungen, Fotos – das alles habe ich ja immer auf meinem Laptop dabei, ich trage viel mit mir herum. Das erzeugt dann Stimmungen, Gedanken, die… (überlegt) ich schon kenne. Die für mich mit einem Heimatgefühl verbunden sind. Kannst Du Dich auch irgendwo fremd fühlen? Neulich habe ich meine Geschwister besucht, im Saarland. Ich bin da ein paar Stunden durch die Stadt gelaufen, das war nicht unangenehm, aber ich habe gemerkt: Ich bin nicht einfach, sondern ich verhalte mich. Hier in Hamburg achte ich nicht unbedingt darauf, was ich tue und wie. Und in wirklich fremden Gegenden, klar fühle ich mich da fremd. Lustigerweise kann man sich ja auch in seiner Heimat ganz fremd fühlen. Was ist mit Heimweh? Bei mir ist das meistens ein Gefühl von Aufgewühltheit, ich will dann immer meinen besten Kumpel sehen. Die Frage ist eben, woraus man sich seine Heimat zusammenbaut, aus welchen Quellen sich dieses Gefühl speist und wie man sich diese Quellen verfügbar macht. Es gibt auch Leute, die sind örtlich sehr stark verwurzelt, für die wäre das wahrscheinlich ein Grauen, so zu leben wie ich das im Moment tue. Aber wenn Heimat als Ort nicht verfügbar ist, wird man sich eine andere Heimat bauen. Das Gefühl, sich irgendwo zu Hause zu fühlen, gehört ganz dringend dazu. Bei Heimathuckepack forderst Du konkret zum Mitmachen auf. Wie soll das gehen? Dieser Mitmachbereich ist ja nur ein Wort bisher. Das kann ein Sammelsurium aus kleinen Heimatmomenten werden. Zum Beispiel fände ich es toll, wenn mir Leute kleine Fetzen schicken würden, „Heute habe ich mich dann und dann zu Hause gefühlt.“ Oder eben Geschichten oder Ansichten dazu, was Heimat für sie bedeutet. Einige Porträts stehen schon auf Deiner Seite – manche in Text und Bildern, andere im Film. Nach welchen Kriterien entscheidest Du, wer auf die Seite kommt und wer nicht? Och, da habe ich kein festes Dogma. Das richtet sich vor allem danach, was mich gerade interessiert. Hast du den Typen gesehen, der über Erde spricht? Das ist mein Vater. Das Gespräch kam zustande, weil ich für eine meiner nächsten Geschichten was über Bauernhöfe wissen wollte. Mein Vater war lange Zeit Biobauer. Und dann hat er so cooles Zeug erzählt, dass ich mir dachte, das muss ich kurz festhalten. Manchmal läuft dann jemand auf der Straße vorbei und ich denke mir, sieht spannend aus. Wenn ich dann gerade mutig genug bin, spreche ich den Menschen an. Und wenn er gerade lustig genug ist und Zeit genug hat, dann ergibt sich vielleicht was. Vielleicht aber auch nicht. Der Rahmen des Projekts ist ein Arbeitsstipendium – ist das alles wirklich so locker, wie Du beschreibst? Oder musst Du ein bestimmtest Pensum leisten? Klar. So eine Seite muss ja leben. Für den Anfang habe ich sechs Porträts gemacht, mindestens jede Woche soll ein neues dazukommen. Was gar nicht so wenig Arbeit ist – zumal ich auch immer noch sehr viel am Text herumbastle und versuche, eine eigene Sprache herzustellen… Dazu kommen noch die Fotos, der Blog, der Newsletter – da kommt einiges zusammen. Allein auf weiter Flur stehst Du mit Deiner Frage nach Heimat ja nicht. Siehst Du „Heimathuckepack“ auch als Beitrag zu einer größeren Debatte? Oder bist Du sogar – unter uns – auf einen fahrenden Zug aufgesprungen? Nee, gar nicht. Ich habe neulich noch gedacht, was hast du dir da für ein komisches, antiquiertes Thema ausgesucht, das so zäh klingt. Dass das Thema populär ist, kann ich mir aber gut vorstellen. Es ist ja fast schon ein Konflikt, den wir gerade erleben: Die Welt geht immer weiter auf, das Leben findet an immer mehr Orten statt. aber es ist nicht so, dass ich dachte: Das ist jetzt hip, da mach' ich mit. Klingt auch relativ unsexy, der Begriff, finde ich. Findest Du dieses dauernde Unterwegssein eigentlich gut? In Hamburg sitze ich gerade mit meinem besten Kumpel zusammen in einem Zwölf-Quadratmeter-Zimmer, mit seinen und meinen Sachen. Das geht schon mal einen Monat, aber es ist auch anstrengend und nervig. Ich habe ganz oft den Wunsch, mich irgendwo einzurichten. Das kommt mir dann selbst immer ganz spießig vor: Ich liege dann abends da und denke darüber nach, wie ich mir ein Bett baue oder mir mein Zimmer streichen würde. Sogar relativ doll, ich glaube, gerade weil ich im Moment überhaupt nichts habe. Dieses dauernde Unterwegssein zerfleddert meine Tage. Mir fehlt eine feste Struktur. Und das ist sehr, sehr anstrengend.

Text: florian-zinnecker - Foto: Lutz Edelhoff

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