Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Zwischen verhungerten Kühen und japanischen Konvois

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Dem amerikanischen Fotografen Max Hodges ist es gelungen, die Evakuierungszone rund um das Kraftwerk Fukushima-Daiichi zu betreten, obwohl dies seit der Katastrophe verboten ist. Im Interview hat er uns erzählt, wie man sich in einer solchen Risikozone fühlt und, dass er dort nicht nur auf verlassene Tiere gestoßen ist.  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


jetzt.de: Warum haben Sie sich dazu entschlossen, die Evakuierungszone zu betreten, um dort zu fotografieren?
Max Hodges: Ich wusste nicht genau, was ich vorfinden würde, aber ich war der Meinung, dass es wichtig ist, diese Sache zu erforschen. Da ich dachte, dass alle Menschen evakuiert worden sind, plante ich zunächst, das Schicksal der verlassenen Tiere zu dokumentieren. Ich hatte von Kühen gehört, die in ihren Ställen zurückgelassen wurden und dort verhungert sind.  

Wie fühlt man sich, wenn man ein solches Gebiet betritt?
Sobald man die Zone betritt, fühlt man, dass etwas nicht stimmt. Die Abwesenheit der Menschen ist geradezu greifbar. Häuser und Läden sind verlassen und die Grundstücke von Unkraut und wilden Pflanzen überwuchert. Die 20 Kilometer lange Evakuierungszone ist einzigartig, wenn man sieht, dass die Folgen des Tsunamis und des Erdbebens wie in einer Zeitkapsel oder einem Museum konserviert bleiben. Außerdem war der Aufenthalt besonders nervenaufreibend, weil alle meine Sinne auf Alarmbereitschaft waren. Schließlich musste ich aufpassen, nicht von den Konvois der japanischen Notwehr entdeckt zu werden.  

Hatten Sie keine Angst vor den Risiken?
Was die Strahlenbelastung angeht, habe ich mich erkundigt und herausgefunden, dass ein paar Tage im Gebiet nicht allzu gefährlich sind. Viel größere Sorgen machte ich mir, dass ich verhaftet werden und dadurch Probleme mit meinem Visum bekommen könnte.  

Auf Ihren Fotos ist auch ein japanischer Mann zu sehen...
...Das ist Kobayashi. Ich habe ihn zufällig getroffen, als ich fotografierte. Er ist wahrscheinlich der einzige Mensch, der noch in dieser Zone lebte. Er lud mich zu sich ein und bot mir Essen, Trinken, eine Dusche und einen Platz zum Schlafen an. Ich bin ein paar Nächte bei ihm geblieben. Er hat vor der Katastrophe in der heutigen Evakuierungszone als Mechaniker gearbeitet und lebte verbotenerweise dort.  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Warum lebte er freiwillig weiterhin dort?
Obwohl die Stadt Odaka nur ungefähr 15 Kilometer vom beschädigten Reaktor entfernt liegt, ist sie nur leicht von radioaktiver Strahlung betroffen. Das liegt daran, dass der Wind günstig wehte, als der Reaktor beschädigt wurde. Kobayashi war der Meinung, dass es nicht nötig sei, seine Heimat zu verlassen und ist ganz einfach in seinem Haus geblieben, bis er nach ein paar Monaten schließlich entdeckt und zum Gehen gezwungen wurde.  

Wie war es Kobyashi möglich, ganz alleine in der Zone zu überleben?
Er aß Gemüse aus seinem eigenen Garten und lief manchmal zu einer unbesetzten Absperrung, an der seine Frau oder ein Freund ihn ungesehen mit Proviant versorgten.  

Mittlerweile musste er die Zone doch verlassen – haben Sie ihn einmal gefragt, wie es ihm jetzt geht?
Er hat es genossen, in seinem Haus zu leben – das kleine Apartment, in dem er jetzt lebt gefällt ihm nicht. Aber ich habe ihn dort besucht und er scheint sich daran zu gewöhnen. Kobayashi ist ein sehr humorvoller Mensch und das ist wohl die wichtigste Fähigkeit, die man haben muss, um unter solchen Umständen zu überleben. Ich kenne ihn jetzt seit drei Monaten und plane, an seiner Geschichte und seinem Schicksal dran zu bleiben.   



Text: verena-kuhlmann - Fotos: Max Hodges

  • teilen
  • schließen