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Im Iran flirten junge Menschen im Stau

Foto: Behrouz Mehri/AFP/picturedesk.com

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 Shirin hat sich hübsch zurechtgemacht. Ein perfekter Lidstrich umrahmt ihre braunen Augen, die Lippen sind pink bemalt. Sie trägt Sneakers, eine helle Jeans und einen grauen, engen Mantel. Ihr Kopftuch hat sie passend dazu in Türkis gewählt. Shirin lebt in Teheran, der Hauptstadt des Iran. Hier ist eine Verschleierung gemäß dem Islam Pflicht. Sie steigt in ihr Auto und fährt auf die Vali Asr, die größte Straße der Stadt. Umgeben von zahlreichen Platanen befinden sich hier etliche Restaurants und Geschäfte. Doch Shirin hat nicht vor, shoppen zu gehen. Es ist Donnerstagnacht, der Beginn des iranischen Wochenendes. Die ganze Teheraner Jugend befindet sich auf der Vali Asr, sie sitzen in ihren Autos. Hier herrscht Dauerstau. Doch das stört die junge Frau nicht. Denn der Stau ist die perfekte Gelegenheit, ihren nächsten potentiellen Lover kennenzulernen.

Seit der islamischen Revolution 1979 gilt die Scharia, die islamische Gesetzgebung, im Iran als Rechtsordnung. Und die erlaubt keinerlei außerehelichen Kontakte mit dem anderen Geschlecht. Während man sich anfangs aus Angst vor Gefängnis und Peitschenhieben noch eher an das strenge Gesetz hielt, nimmt es die heutige Generation etwas lockerer. Not macht erfinderisch. Hat man sich früher, zu den Anfängen der Islamischen Republik, ,,unauffällig‘‘ ein Buch von jemandem ausgeborgt, an dem man Interesse hatte, und einen kleinen Zettel mit seiner Festnetznummer hinterlassen, so ist dies heute Social Media sei Dank etwas leichter. Dennoch findet das erste Kennenlernen so gut wie nie auf offener Straße statt. Es sei denn, man befindet sich in einem Auto.

"Die Männer sind faul geworden"

Dass Shirin einen BMW fährt, ist auf der Vali Asr natürlich von Vorteil. Neben den Insassen der Autos wird auch auf das Modell geschaut. Plötzlich fährt ein anderes Auto langsam an sie heran. Drinnen sitzen zwei junge Männer. Einer von ihnen kurbelt seine Fensterscheibe runter und sagt etwas. Shirin öffnet ebenfalls ihr Fenster und hört den Typen seine Telefonnummer durchsagen. Doch dann geht die Fahrschlange voran. Sie tritt aufs Gaspedal, der Mann ebenfalls. Er wiederholt seine Nummer. Diesmal durchs fahrende Auto hindurch. Shirin lacht. "Ich kann dich nicht hören", meint sie. Wieder sagt er seine Nummer durch. Doch nach dem dritten Mal fährt er einfach weiter. "Warte ab, jetzt probiert er es bei sechs anderen Frauen. Dann geht er mit drei, vier Handynummern nach Hause und schreibt ihnen dann allen auf Telegram", erzählt Shirin.

Telegram ist DAS soziale Medium im Iran. Hier schreibt man sich, schickt einander ein paar Bilder, verabredet sich vielleicht. Doch die meisten Bekanntschaften, die man auf der Vali Asr macht, enden in One-Night-Stands. "Die Männer sind faul geworden. Sie wollen keine Beziehungen mehr. Sie haben zwei, drei Frauen gleichzeitig am Start und geben sich einfach keine Mühe. Wenn die eine nicht will, probieren sie es bei der nächsten. Irgendeine willigt dann immer ein", erzählt Shirin. Sie ist Anfang 30 und Single. Heiraten will sie nicht. "Nimm dir nie einen Iraner", rät sie. Sie erzählt von einer Freundin, die fünf Jahre lang mit einem Mann zusammen war, der sich jedoch später als verheirateter Familienvater herausgestellt hat und neben ihr noch etliche andere Affären hatte. Oder von einem Typen, der ihr einfach nicht mehr schrieb, nachdem sie nicht gleich mit ihm ins Bett wollte. "Doch andererseits: Das Ganze funktioniert ja nur, weil es eben auch Frauen gibt, die so etwas wollen", bedenkt sie.

"Iranerinnen sind zu anstrengend"

Bei einer anschließenden Diskussion in einem Park  mit ein paar jungen Iranern kommen auch die Männer zu Wort. Iranerinnen seien zu oberflächlich und zu geldgierig, meinen sie. Immer weniger hätten die finanziellen Mittel, eine feste Freundin, geschweige denn eine Ehefrau zu haben. Vor allem eine persische. Viele iranische Frauen arbeiten trotz Ausbildung nicht und bleiben zu Hause, während der Mann für die ganze Familie sorgt. Das wollen sich viele nicht mehr antun, die Scheidungsrate im Iran steigt kontinuierlich. Viel leichter ist es, eine Palang für eine Nacht zu treffen und einfach Spaß zu haben. Palang ist Farsi für Leopard. Damit meint man eine stark geschminkte Frau mit kleiner, operierter Nase und platinblond gefärbten Haaren. Vor allem in den iranischen Großstädten sind besonders viele davon anzutreffen.

Natürlich gehen aber die Dates und One-Night-Stands nicht immer gut aus. Schließlich befindet man sich noch immer in einer Islamischen Republik. Wird man von der Sittenpolizei erwischt, kann es sogar mit einem Gefängnisaufenthalt enden. "Sie schreiben sich auch manche Kennzeichen von Autos auf, die die ganze Zeit auf der Vali Asr auf- und abfahren. Die wissen ja schon längst, dass dies ein Hotspot für die Jungen geworden ist. Mich haben sie einmal notiert und dann für eine Woche mein Auto lahmgelegt", erzählt Shirin. In Teheran stehen Polizisten extra an stark frequentierten Straßen um zu schauen, welche Autos besonders oft vorbeikommen. Diesen wird der Führerschein entzogen und das Auto kommt für eine Woche in ein spezielles Parkhaus. Wenn man besonders großes Pech hat, kann das mit einer Eintragung in die Polizeiakten enden. Viel gelernt hat Shirin aus dieser Strafe nicht. Sie lebt so weiter wie bisher.

Allgemein nimmt man die Strafen nicht mehr so ernst. Wird man auf einer Homeparty  beim Trinken erwischt, so macht man trotz Gefängnisaufenthalt weiter. Wird man bei einem Date als Unverheiratete erwischt wird, zahlt man ein wenig Geld und setzt seinen Lebensstil weiter fort. Die iranische Regierung weiß, dass sie gegen die datingfreudige Jugend nur wenig tun kann. Schon länger sind Gerüchte im Umlauf , dass ein staatlich kontrolliertes Dating-Portal errichtet werden soll. Das Ziel dabei ist natürlich, die Heirats- und Geburtenrate wieder anzukurbeln und nicht die erste islamische Version von Tinder auf den Markt zu bringen.

*Ab sofort kooperiert unsere Redaktion in unregelmäßigen Abständen mit biber  –  was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Dieser Text erschien dort auch zuerst. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für  ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung.

Unten seht ihr die aktuelle Ausgabe unserer österreichischen Freunde, die ihr euch gratis auf dasbiber.at anschauen könnt.

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