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Jan Böhmermann füllt Hörsaal, aber keine Köpfe

Foto: SWR

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806 Sitzplätze. So viele Menschen passen laut dem Veranstaltungsplan in den größten Hörsaal ReWi1 an der Universität Mainz. Keiner der Sitze ist noch frei, sogar in einen zweiten Raum wird die Veranstaltung live übertragen, damit ihn bloß keiner verpasst: Jan Böhmermann als Gast beim „SWR UniTalk“. Laut dem Vize-Präsidenten der Universität, Professor Müller-Stach, war der Ansturm unvergleichlich „Man streitet sich, ob es zehn oder 15 Minuten gedauert hat, bis die Karten weg waren.“

Während die Schlangen vor dem Hörsaal immer länger werden, laufen zwei Studentinnen an dem Einlass-Spektakel vorbei. Eine fragt die andere: „Was ist denn hier los? Ist heute ÖffRecht-Klausur?“

Was hier denn los ist, das ist eine gute Frage. Warum zieht Böhmermann eigentlich so viele Studenten an? Was macht ihn so spannend für so viele junge Menschen, dass sie zu Hunderten in einen Hörsaal drängen, nur um ihn live auf der Bühne zu sehen? Vielleicht findet man in dieser Uni-Diskussion Antworten zum Phänomen Böhmermann, die seine Fernsehsendung nicht geben kann. 

In der Warteschlange am hinteren Ende wartet Mareike, Studentin der evangelischen Theologie. Viele seien nur wegen des Namens Böhmermann hier. „Ich finde es eigentlich nicht so cool, wenn um eine einzelne Person ein Hype gemacht wird“, meint Mareike und fügt noch hinzu, Böhmermann sei auch nur ein Mensch. Eine Aussage, die noch öfter zu hören ist. Mareike könnte es sich ja auch im Fernsehen anschauen, „aber wenn er schon mal da ist…“

Schon eine halbe Stunde wartet Alexander viel weiter vorne am Einlass. „Ich mag diese Art von Satire“, verrät er, ohne das genauer zu erklären. Mit Valentin, 22, Student der Physik, hetzt dann doch ein tiefgründigerer Böhmermann-Fan zur Veranstaltung. Er hat genauere Erwartungen an den Talk: „Das soll keine Veranstaltung werden, wie er sie im Fernsehen abliefert. Ich erwarte, dass er mehr über seine Beweggründe spricht und warum er das macht – seine Motivation.“ Valentin glaubt, Böhmermanns Erfolg erkläre sich dadurch, „dass er es oft ein bisschen übertreibt.“ Seine Freundin wirft ein: „Man könnte es manchmal mit weniger Schimpfworten machen.“

Böhmermann begrüßt die Studierenden mit „Stochastik, los geht’s!“

Die Veranstaltung beginnt, Böhmermann diskutiert mit dem SWR-Chefredakteur Fritz Frey über 60 Minuten lang unter dem Titel „Medien, Politik, Satire, Welt“. Er betritt die Bühne und wird von lautem Applaus und vereinzelten „Böhmi, Böhmi“-Rufen empfangen. Ein bisschen schüchtern lächelt er, ohne sein Studio passt er in seinem Anzug nicht richtig in den Hörsaal vor zwei großen Schiebetafeln. Relativ schnell legt sich der Applaus wieder und „Böhmi“ begrüßt die Studierenden mit „Stochastik, los geht’s!“

Die ersten großen Lacher hat Böhmermann, als er seine Bezeichnung „Fickzwerg“ für Gregor Gysi wiederholt. Später schiebt er hinterher: „Ich möchte aber nicht unterstellen, dass er viel Geschlechtsverkehr hat.“ Dann kommt das typische Kleiner-blasser-Junge-Grinsen und das Studenten-Publikum kennt kein Halten mehr. Man erkennt schon, dass Böhmermann die meiste Heiterkeit auslöst, wenn er kurze pointierte Antworten gibt.

Phasenweise hat man das Gefühl, dass der Großteil des Publikums nicht genau weiß, worum es gerade geht. Böhmermann lästert über Der-Freitag-Herausgeber Jakob Augstein und die Reaktionen fallen aus wie bei einer langweiligen Pflichtveranstaltung. Ein paar Leute schauen aufs Handy. Wer ist eigentlich Jakob Augstein?

Wenn Böhmermann über Politik redet, ist es manchmal schwierig, ihm zu folgen

Besser funktioniert es, wenn Böhmermann direkter angriffslustig wird. Seinem Gegenüber, immerhin ein SWR-Chefredakteur, eröffnet er: „Sind Sie nach Proporz ausgesucht beim SWR? Sind Sie ein SPD-Mann oder CDU?“ Der Tabubruch bei einer Fernsehaufzeichnung für selbigen SWR, das finden die Leute gut, honorieren es mit Gröhlen und Applaus. 

Wenn Böhmermann über Politik redet, ist es manchmal schwierig, ihm zu folgen. Beispiel: „Ich finde, dass man das nicht einsehen sollte und dabei auch nicht nachgeben, dass man die irrationalen politischen Gedankengänge von Herrn Erdogan zum Maßstab nehmen soll, wie und in welcher Form man sich für die Grundrechte in Deutschland einsetzt.“ Die Essenz seiner Aussagen ist dennoch klar und einige nicken, wenn er Sachen sagt wie: „Es gibt nicht den Staat, sondern wir müssen formulieren, was wir wollen“.

Viele Zuschauer sind gekommen, um den Menschen zu sehen, der mit seinem Schmähgedicht eine kleine Staatskrise ausgelöst hat, der RTL mit dem #Verafake in die Bredouille gebracht und mit #Varoufake eine deutsche Mentalität entlarvt hat. Dass dahinter eine Kritik am System und seine Vorstellungen von Gesellschaft liegen, das versucht Jan Böhmermann klarzumachen und auszuführen. Aber wenn er sich dann immer wieder auf seine Satiriker-Rolle zurückzieht, verspielt er manchmal das Pulver, das bei einigen eh nie zünden konnte, weil sie hier heute Abend nur ein Gag-Feuerwerk erwartet haben.

Vielleicht auch deswegen sieht der Satiriker den Umgang mit seinem Schaffen selbst auch kritisch: „Ich warne immer davor, dass Leute es nicht zu ernst nehmen sollten oder nicht denken sollten, dass das die Wahrheit ist und dass das richtig und letztgültig ist.“ 

Gegen Ende der Veranstaltung dreht Böhmermann dann auf und hält ein feuriges Plädoyer. Nein, es sei nicht sein Problem, was es für die Bundeskanzlerin bedeutet, wenn er Witze über Erdogan macht. Man müsse sich nicht bemühen, es der Politik recht zu machen, sondern sich selbst auf Basis unserer Grundrechte. Warum steht jetzt keiner auf und klatscht energisch? Wollen die alle nur ein bisschen lachen? Geht auch deswegen der kurze, aber eigentlich doch starke Satz so unter, der dann noch fällt? „Witz bedeutet auch Macht.“

Die Fragerunde mit den Studierenden ist dann eher enttäuschend: „Wie weit darf Satire gehen“, „Wer sind Ihre komödiantischen Vorbilder?“, oder „Was hat sich verändert in der Arbeit nach der Erdogan-Affäre“? Diese Fragen sind schon oft gestellt worden. Aber zu dem, was Jan Böhmermann eigentlich zu sagen hatte über Staat, Gesellschaft und die Medien, darauf gibt es keine Replik. Die Antworten auf viele Fragen aus dem Publikum hatte Böhmermann selbst schon vorher in einem Satz gegeben: Seine Arbeit sei „das volle Schöpfen aus den Möglichkeiten unseres Grundgesetzes.“ Ein Satz, den man sich als studentischer Zuschauer hätte aufschreiben können und müssen.

bohmermann nah swr

Jan Böhmermann beim UniTalk in Mainz

Foto: SWR

Nach der Veranstaltung steht Julia, 23 und Studentin der Theaterwissenschaft, vor dem Saal und diskutiert angeregt mit ein paar Freunden. Sie guckt regelmäßig Neo Magazin Royale und fand es gut, Böhmermann ohne sein Team und den Rahmen der Sendung erlebt zu haben. Sie sagt: „Ich glaube, viele sind wegen dem Hype hingegangen, weil es durch die Medien gegangen ist. So denken viele hier: Der Hype ist halt da und dann muss man sich das mal angucken.“ 

 

Ihre Kommilitonin Ingrid, 24, Theaterwissenschaften im Master, hakt sich ein: „Ich bin kein Fan von Jan Böhmerann, ich kenne ihn, ich kenne auch sein Magazin, aber ich bin jetzt nicht diejenige, die das verfolgt.“ Dass Böhmermann Stellung bezogen hat als Satiriker, fand Ingrid gut. Wichtig ist für sie aber auch: „Ich fand ein bisschen gefährlich, dass ihm persönlich eigentlich egal ist, was sich politisch bei der Wahl im Herbst ereignet. Er hat gesagt, er will keine große Koalition – das kann man nachvollziehen – aber dass er auch keine Lösung hat, das finde ich schwierig. Genau dadurch, dass er so im Mittelpunkt steht, kann es sein, dass sich viele jetzt auch nach dieser Meinung richten und vielleicht nicht wählen gehen.“

 

Yvonne, 22, studiert Publizistik und findet, dass Böhmermann gut mit der Aufmerksamkeit umgeht, die er bekommt: „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er sich auch viel damit befasst, welche Wirkungskreise seine Beiträge ziehen und dass er reflektiert ist. Aber er hat auch klargestellt, dass er darauf scheißt.“ Ein Widerspruch?

 

Böhmermann unterscheidet an diesem Abend oft zwischen sich selbst als „persönlich“ und „beruflich“ – die Trennung davon fällt ihm und den Zuschauern schwer. Auch wenn viele meinen, dass er „auch nur ein Mensch ist“, sehen sie gar nicht, dass sie eigentlich nur wegen der beruflichen Figur, der Marke Böhmermann, zur Veranstaltung gekommen sind.

Ein Student sagt: „Das war doch ein schöner, unterhaltsamer Abend.“ Nur: Ist das nicht schade, wenn man an die Umstände denkt, die Böhmermann angesprochen hat? Die gefangenen Journalisten in der Türkei, seine Einsamkeit während der Erdogan-Krise, den Wahnsinn Donald Trump? Die richtigen Botschaften und Themen hatte Jan Böhmermann im Gepäck, um junge Leute zu engagierteren Bürgern zu machen. Die Frage ist, ob er das will. Vielleicht ist der Hype um ihn für dieses Vorhaben auch zum Verhängnis geworden, weil sich viele nicht für das interessieren, was der Mensch Jan Böhmermann, außerhalb seines Berufs als Satiriker, zu erzählen hatte.

 

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