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Digital Dummies

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Eigentlich möchte ich nicht über Excel-Tabellen nachdenken. Wahrscheinlich ist es auch ein Fehler, einen Text damit zu beginnen, weil schon der Begriff „Excel“ die Hälfte aller Leser sofort vergrault. Aber es muss leider sein.

Die Excel-Tabelle ist mein Feind. Wir haben zwar sehr selten miteinander zu tun - ich bin Journalist, ich muss vor allem mit Wörtern arbeiten und weniger mit Zahlen. Aber wenn es dazu kommt, ist es immer ein Kampf. Und ich verliere ihn jedes Mal.

Obwohl mir die grundlegenden Funktionen bekannt sind, passieren irgendwann immer Dinge, die ich nicht verstehe. Irgendwo ist plötzlich ein Fehler, den ich mir nicht erklären kann. Dann drücke ich herum und probiere, und dann klappt es meistens so ähnlich, wie ich es will. Aber was eigentlich vier Minuten dauern sollte, hat mich jetzt 20 gekostet. Und ich habe das dringende Bedürfnis, Gegenstände an der Wand zu zertrümmern. Weil ich wieder mal an einem Computerprogramm verzweifelt bin.

Ich bin, was Computer und digitales Arbeiten angeht, kein Verweigerer oder Neuling. Ich gehöre zu einer Generation, die damit aufgewachsen ist. Genau das ist aber das Schlimme: Ich versage trotzdem regelmäßig. Ich sollte mich durch unsere digitalisierte Welt bewegen, wie ein Reh durchs Unterholz streift: geschmeidig und schnell, ohne anzuecken und intuitiv die richtigen Wege finden. Tue ich aber nicht. Ich komme mir eher vor wie eine Maus, die in einer Versuchsanordnung durch ein Labyrinth in Richtung Käse läuft, und einfach so lange alle Gänge ausprobiert, bis sie einen gefunden hat, der sie dorthin bringt. Sie ist dann zwar am Ziel - ob es dahin aber noch einen kürzeren oder besseren Weg gibt? Keine Ahnung. Und was soll’s, denken sich Maus und ich, in diesem Moment zählt nur, dass wir angekommen sind. Und das nächste Mal rennen wir dann wieder ohne Plan los.

Ich beobachte dieses Verhalten nicht nur bei mir, sondern bei vielen Menschen zwischen 18 und 30. Das bringt mich zu einer Vermutung: Das Gerede von den Digital Natives und ihren wunderbaren Fähigkeiten ist übertrieben. Die Generation, für die Technologie eine Muttersprache ist und deren natürlicher Lebensraum das Internet ist, die gibt es so gar nicht. Wir können viel weniger, als alle denken.

Das Grundmuster unserer Bewegungsabläufe im digitalen Raum ist Trial and Error

Wenn wir ehrlich sind, ist es doch so: Wir stümpern sehr viel vor uns hin und stoßen oft an unsere Grenzen. Wir verstehen sehr wenig von der Welt, in der wir große Teile unseres Lebens führen, speichern und posten. Wir haben zwar die Skandale mitbekommen, die Snowden & Co. aufgedeckt haben, aber wir durchblicken die Mechanismen hinter all unseren digitalen Handlungen nicht ausreichend, um wirklich Konsequenzen daraus zu ziehen: Weder verschlüsseln wir unsere Mails noch demonstrieren wir für digitale Privatsphäre.
Das Grundmuster unserer Bewegungsabläufe im digitalen Raum ist Trial and Error, ganz gleich ob bei der Excel-Tabelle, beim Einrichten eines Netzwerks oder beim Erstellen einer Homepage. Wir nutzen nur einen Bruchteil der Möglichkeiten, die die Programme auf unseren Rechnern können. Wenn ein Problem auftritt, fragen wir Google nach einer Lösung, in der Hoffnung, dass irgendeiner der wenigen Nerds, die sich wirklich auskennen, in einem Forum eine Antwort für uns hat, der wir dann hinterherklicken. Klar, damit sind wir deutlich weiter als unsere Eltern, die sich nicht trauen, auf ihrem PC irgendeinen Button zu drücken, weil sie Angst haben, „dass dann GMX wieder kaputt ist“. Aber mit einem souveränen Umgang mit den Möglichkeiten unserer digitalen Welt hat unser Verhalten wenig zu tun.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Solange wir in der Schule sind, ist das für unser Vorankommen ziemlich egal. Da sind diese Kompetenzen kaum gefordert, die Welt dort ist eine weitgehend analoge. Laut einer Pisa-Studie rangiert Deutschland bei der Computerausstattung unter 34 OECD-Ländern auf Platz 28, nur knapp vor Ländern wie Chile und Rumänien. Das ist schade, denn hier könnten wir gleich anfangen zu lernen, was spätestens an der Uni und im Job essenziell wird: einen kritischeren Umgang mit der digitalen Welt und ihren Mechanismen. Und das, was oft „Computer Literacy“ genannt wird: die Fähigkeit, mit digitalen Techniken Informationen zu finden, zu bewerten und zu verarbeiten.

Das sehen auch Experten so. „Schulen und Unis bilden in puncto Nutzung digitaler Medien zu wenig aus“, sagt Uwe Sander, Professor für Medienpädagogik an der Universität Bielefeld. Zwar werde immer gefordert, dass dort digitaler gearbeitet wird. Nur wird den Lehrenden nicht beigebracht, wie: „Die bekommen didaktisches Medienwissen nur, wenn sie es wollen - als Luxus.“

Digital leben ist nicht dasselbe wie digital arbeiten

Und dann kommen wir also irgendwann in unserem ersten Job an. Und in einer Arbeitswelt, die genau wie unser privates Leben zunehmend digitaler wird. Aber trotzdem sind viele von uns ihr nicht ganz gewachsen, weil unser vieles Herumwischen auf unseren Smartphones uns noch lange nicht zu kompetenten digitalen Berufstätigen macht. „Die meisten Uni-Absolventen sind vor allem digitale Konsumenten. Was wir brauchen, sind aber digitale Produzenten.“ Diesen Satz sagt einer, der beides sehr gut kennen muss: das digitale Konsumieren und das Produzieren. Daniel Krauss, 31, ist Mitgründer und Geschäftsführer von FlixBus. Seine grünen Busse fahren vorwiegend junge Menschen durch Deutschland, die meisten buchen online und wollen ihr Ticket als QR-Codes aufs Handy statt ausgedruckt. Das Unternehmen ködert sie neben den günstigen Preisen auch mit dem Versprechen von freiem WLAN an Bord. Auf der anderen Seite arbeiten in Geschäftsführung, IT und Marketing in seinem Unternehmen viele junge Menschen, der Altersschnitt liegt etwa bei 28, schätzt er. Gerade bei jungen Uni-Absolventen und Bewerbern stellt er immer wieder fest, dass manche mit den Anforderungen digitalen Arbeitens zunächst nicht klarkommen. Und auch wenn die meisten lernwillig seien, überfordere sie schon das Organisieren der Mailflut im Job, genauso das digitale Verwalten von Terminen und Ressourcen.

Vielleicht müssen wir also einsehen: Digital leben ist nicht dasselbe wie digital arbeiten. In eine digitale Welt geboren zu werden bedeutet nicht, automatisch zu verstehen, wie sie funktioniert und sich darin sicher zu bewegen. Und - als Schlussfolgerung aus diesen beiden Punkten: Wir müssen noch viel lernen. Wir müssen lernen, unsere Fähigkeiten realistischer einzuschätzen und uns dann fragen, wo wir an uns arbeiten müssen. Damit wir uns in Zukunft nicht über uns selbst ärgern, wenn wir unseren Rechner nicht verstehen oder durch ein neues Programm stolpern, sondern unsere digitalen Werkzeuge optimal nutzen. Damit wir bei der Ankunft in der digitalisierten Arbeitswelt keinen Kulturschock erleben und unsere Arbeitgeber nicht enttäuschen. Die wiederum müssen sich allerdings ebenfalls von dem Gedanken verabschieden, dass ihnen ein Heer von digitalen Alleskönnern zur Verfügung steht. Und nicht zuletzt muss die Politik sich fragen, wie Schulen und Unis uns beim Lernen besser unterstützen können. Bis dieser Prozess des Umdenkens richtig in Fahrt kommt, werde ich schon mal im Kleinen beginnen. Und als Erstes meinen Excel-Checker-Kumpel um Nachhilfe bitten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: christian-helten - Foto: Katharina Bitzl / Avatare von Bitfaces

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