Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Warum finden alle Freibäder so super?

Illustration: Katharina Bitzl

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Freund R. zum Beispiel. Der veränderte sich immer besonders unangenehm. R. hatte optisch ganz viel von dem früheren „Big Brother“-Kandidaten Zlatko, und vom Wesen her auch ein bisschen. R. war also das, was man vielleicht intellektuell sperrig nennen könnte. Nicht dumm, aber geistig manchmal etwas ungelenk. Ein Körperklaus, aber im Kopf… Er wusste das. Und in seinen stilleren Momenten litt er wohl auch ein bisschen darunter. In den lauteren Phasen, von denen es in der Zeit von prä- bis postpubertär ja einige gibt, kompensierte er es mit einer physischen Sperrigkeit.  

R. beanspruchte dann immer viel Platz. Durch Lautstärke, durch Drängeln am Kiosk, beim Pogen, manchmal aber auch durch einfaches Herumstehen. Mein Gott, konnte der unpraktisch im Weg umgehen! Wahnsinn.  

Das alles hatte immer eine bärige Niedlichkeit. Man mochte ihn trotzdem. Nur im Freibad, da kippte es. Dann legte er sich zum Beispiel ohne ersichtlichen Grund nass und quer über zwei fremde Handtücher. Und wenn deren Besitzer zurückkamen, sagte er etwas wie: Er bedauere ja sehr, aber er könne gerade nicht weggehen. Er liege ja jetzt schließlich hier. Und das zog er dann ernsthaft durch. Über Stunden manchmal. Das war weder bärig noch niedlich. R. war so nicht im Kino und nicht auf Konzerten, nicht in Bars und noch nicht mal auf Volksfesten. Nur im Freibad. Und ich halte das nicht für einen Zufall.  

1042085
Illustration: Katharina Bitzl



Bei der Bekannten T. ist es auch so. Heute noch. Ich würde sie jetzt grundsätzlich nicht als Kumpeltyp beschreiben, mit dem man Pferde stehlen kann. Aber normalerweise weiß sie um ihre exaltierte Ader. Sie kann damit kokettieren, und das ist dann sehr witzig. Aber im Freibad, da wird sie eine gestelzte Zicke. Und S., die sich immer kümmert, hat noch mehr als sonst alles für alle dabei – Obst, Sonnencreme und warme Worte. Sehr nett ist das. Und nervtötend bemutternd. Ich selbst werde übrigens missmutig, grüblerisch und gönne niemandem seinen Spaß.  

Aber nicht nur deshalb ist mir unverständlich, warum so viele Menschen das Freibad vor allem mit Sommerfreuden aus „Bum Bum“-Eis, Köpfer vom Dreier und „Heiße Hexe“-Pommes assoziieren. Warum das Freibad der Super-Sommer-Ort Nummer eins ist, obwohl es doch eigentlich keinen Ort auf der Welt gibt, an dem die Selektion grausamer ist – und der Mensch ungeschminkter. Ich finde, Freibäder sind hassenswerte Orte. Nicht für das, was sie sind. Aber für das, was sie mit den Menschen machen.  

Das Phänomen geht ungefähr so: Man nehme eine beliebig zusammengesetzte Gruppe, stelle sie in ein Freibad und warte. Und stelle fest: Quasi vom Fleck weg wachsen sich die Einzelcharaktere zu ihren fratzenhaften Extremen aus. Der Laute reißt in den Overdrive-Modus auf, der Stille dimmt fast auf Stand-by zurück. Die Kumpelmädchen werden noch etwas kumpeliger, die Tussis glitzern und glossen noch blendender. Überhaupt scheint alles mehr Kontrast zu haben. Die Lacher sind kehliger, die Witze verletzender, die Machos öliger, die Flirts deftiger. Freibäder sind wie Saufgelage in nüchtern. Und damit in schlimm. Sie verstärken, was in den Menschen angelegt ist. Aber man muss es bei vollem Bewusstsein ertragen. Muss mit ansehen (oder spüren), wie die Großen die Kleinen tauchen, die Aufreißer Punkt um Punkt landen, während die Schüchternen weiter vertrocknen, die Schönen schöner und die weniger Schönen noch weniger schön werden. Kurz: Die Verteilung auf soziale Rollen ist nirgends gnadenloser als im Freibad.  

Kein Wunder. Achtung, Binsenweisheit, aber trotzdem relevant hier: Man ist dort schließlich quasi nackt. Buchstäblich. Aber eben auch im übertragenen Sinne. Wer sich exponiert fühlt, zieht sich auf Felder zurück, die er beherrscht, greift zu Waffen, die sich bewährt haben im Verteilungskampf um Platz und Aufmerksamkeit in der Welt – Humor, Lautstärke, Snobismus, Kraft, Zynismus, Offenheit, Hilfsbereitschaft. All so was. Oder er nimmt sich aus dem Gefecht ganz raus. In allen Fällen werden die Menschen so zu ihren eigenen, überzeichneten Zerrbildern. Und Karikaturen sind immer anstrengend. Auch wenn es gute Eigenschaften sind, die herausstechen. Vielleicht sogar dann besonders.  

Vor einer Weile habe ich R. übrigens mal wieder in einem Freibad gesehen, abends. Ich habe ihn erst nicht erkannt. Alle Sperrigkeit war weg. Er sei jetzt, erzählte er, während er sich tatsächlich mit einem Hugo-Boss-Handtuch abtrocknete, bei einer Investmentbank. Irgendwas mit „Trading“, das ich nicht verstand. Schnelle Entscheidungen, immer unter Strom – so ein Job eben. Und er habe sich hier nur schnell erfrischt und müsse jetzt gleich noch in eine „Videokonferenz mit Amerika“. Den letzten Satz sagte er bereits halb abgewandt im Gehen. So ist das, im Freibad.

Text: jakob-biazza - Illustration: Katharina Bitzl

  • teilen
  • schließen