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Allergisch auf Humtata
Es gibt ein paar Sachen, die ich in der Stadt nicht vermisse. Dass man eine halbe Stunde mit dem Auto über Landstraßen fahren muss, um einen Liter Milch zu kaufen. Die neugierigen Blicke der Dorfbewohnerinnen, denen weder der neue Freund noch das unbekannte Auto in der Einfahrt entgehen. Und als ich vor vier Jahren für mein Studium nach München gezogen bin, war ich mir sicher, dass ich eines hinter mir lassen würde: die Blasmusik. In München würde ich mit meiner Allergie gegen Humtata-und-tätärä ganz gut leben können. Dachte ich. Doch in der letzten Zeit melden sich auch in der Stadt immer häufiger die Symptome von früher.
Es sind Kleinigkeiten. Ich lese Schlagzeilen wie „Aktuelle Blasmusik-Welle“ und „Wiedergeburt der Blaskapellen“ und dass die Chiemseer Blechbläser von LaBrassBanda die Olympiahalle füllen wie sonst nur Boygroups und weltweit bekannte Rockbands. „Urban Brass“, eine Mischung aus Jazz, Funk und Rap mit Blechblasinstrumenten, begründet von den Münchnern Moop Mama, soll der neue Trend sein? Da lese ich in der Neon, dass Volksmusik „der neue Sound“ sei und sich vom Unter-Underground zum Mainstream entwickelt habe. Nun, Unter-Underground trifft es ganz gut. Aber da könnte neue Blasmusik meinetwegen auch für immer bleiben und schweigen. Das mit dem Mainstream kann doch nicht wahr sein, oder? Der Neon-Autor hat allerdings ein starkes Argument. Blasmusik sei „für popsozialisierte Ohren ein Schock“, der wiederum „ein entscheidendes Popmoment“ sei.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
LaBrassBanda füllen mit traditionellen Blasinstrumenten mittlerweile auch große Hallen.
Bei Schock und Popmoment denke ich an das, was Punk und Hip-Hop in den Siebziger- und Neunzigerjahren waren, aber bestimmt nicht an Blasmusik. Wer wie ich vom (nieder)bayerischen Dorf kommt, für den ist Blasmusik alles mögliche, aber bestimmt kein Kulturschock. Humtata gehört einfach zur Musikkultur auf dem Dorf, genauso wie der Sonderling, der bei jeder Gelegenheit im Wirtshaus seine Ziehharmonika auspackt und gar nicht merkt, dass die meisten Anwesenden mit den Augen rollen. Humtata gehört zum Bierzelt, an Fronleichnam in die Kirche und natürlich zu jedem Volksfest. Als sei das alles noch nicht genug, musste ich bis ich einen eigenen Fernseher bekommen habe, jahrelang Musikanten- und Komödienstadl ertragen. Für das Prädikat „schwierige Kindheit“ mag das bei Weitem nicht ausreichen, wohl aber für ein ausgereiftes Blasmusik-Trauma, das meine Hände bis heute reflexartig meine Ohren fest zuhalten lässt, sobald ich einen Tubaton höre.
Natürlich könnte ich weghören, beim Original genauso wie bei der popkulturellen Cover-Version. So einfach ist es aber nicht. Ich mag Dialekt, bin beim Maibaumstehlen und der Kirchweih gern dabei und habe vier Dirndl im Schrank. Man könnte also sagen, dass ich heimat- und auch brauchtumsverbunden bin. Darum würde ich es gerne gut finden, dass Bands wie LaBrassBanda Brauchtum wieder zugänglicher machen wollen. Doch es geht einfach nicht. Der Blasmusik-Sound erinnert mich einfach zu sehr an das Humtata-Pflichtprogramm, das ich früher auf dem Land so oft absolvieren musste. Da können noch so viele Punk- und Rap-Elemente beigemischt werden und die schnellen Beats die Blechbläser zu verfremden versuchen – ein Takt genügt, und schon bekomme ich Zahnweh. Ich vermute, dass es mit der neuen Blasmusik wie mit dem Urlaub auf dem Bauernhof ist. Sie funktioniert nur da, wo auch der Großteil der Abonnenten der Zeitschrift Landlust wohnt: in der Stadt. Wenn ich bei meinen Freunden im Dorf nachfrage, was man dort vom neuen Blasmusik-Trend halte, ernte ich bloß ein missbilligendes „Hä???“. In der Dorfdisko ist das neue Humtata noch nicht angekommen. Dafür in Großstadt-Clubs und sogar auf den Oktoberfest-Imitaten in Kiel und Cincinnati. Da ist es auch gut aufgehoben.
Ich beobachte den Blasmusik-Hype weiter lieber aus der Ferne. Sonst erklärt man mich noch für verrückt, wenn ich bei den ersten Takten reflexartig zu schreien beginne. Aber wo Blasmusik gespielt wird, hört das sowieso keiner.
Text: kathrin-hollmer - Foto: dpa