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Bei Hitze nur in Unterhose

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Im Proberaum schlägt das Herz einer Band. Hier entstehen die Songs, die eines Tages vielleicht jeder mitsingen kann. Deshalb besuchen wir regelmäßig junge Münchner Musiker in ihren Proberäumen. Diesmal Christoph Doepke alias Dusty, der in einem Kämmerchen in seiner Wohnung für sein Label „Jazz & Milk“ Genres wie Funk, Jazz, Latin und Afrobeat mit modernen, elektronischen Stilen mischt, aufnimmt, Songs austüftelt und produziert.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Plattenspieler hat Dusty rausgeschmissen, weil es so eng ist. Aber auch im kleinsten Kämmerchen bleibt Platz für eine Tastentröte beziehungsweise, wie der Musiker sagt, Melodica.

„Ich bin hier täglich mindestens drei oder vier Stunden drin, sofern ich zu Hause bin. Ich habe mein Label-Büro und dieses kleine Studio, insofern bin ich immer am Hin- und Herspringen zwischen Musik machen und Label-Bürokratiekram. Wenn genug Mails geschrieben sind, hüpfe ich schnell rüber und mache Musik. Ich kann schlecht abschalten und muss eigentlich immer an irgendwas arbeiten. Und selbst wenn nicht, zieht es mich automatisch in mein Kämmerchen und ich feile an neuen Ideen und Tracks.
 
Früher hatte ich einen richtigen Proberaum im Innenhof von der damaligen Registratur in der Blumenstraße. Dann war ich eine Zeit lang in dem alten Trambahn-Wartungshof am Max-Weber-Platz. Danach bin ich hier in die WG gezogen, habe dieses Kämmerchen entdeckt und mich da eingerichtet. Vorher war das, glaube ich, eine Abstellkammer. Mit den zwei anderen Jungs hier habe ich folgenden Deal: Jeder WG-Bewohner zahlt sein Zimmer. Ich habe die ganze DSL- und Internet- und Telefonchose auf mich genommen und darf dafür diesen Raum nutzen.

Weil es so eng ist, sind die Plattenspieler rausgeflogen. Ich muss hier eh nicht zwangsläufig auflegen. Nach einer Weile hab ich noch mal alles rausgeschafft, den Raum ein bisschen saniert und akustische Maßnahmen ergriffen – die Decke niedriger gemacht, die Wände mit Akustik-Paneelen verkleidet. Seitdem klingt es erstaunlicherweise sehr gut hier drin. Zumindest in der Mitte, wo ich immer sitze. Wenn man aufsteht, merkt man aber, dass die Bässe ein bisschen wummern.

Manchmal wäre ein etwas größerer Raum gut. Um ein bisschen freier atmen zu können und mehr Abstand zu den Lautsprechern zu haben. Und im Sommer ist das schon oft eine ziemliche Sauna. Da hockt man dann manchmal nur in Unterhose drin. Ich kann ja auch das Fenster nicht aufmachen, wegen des Innenhofs. Höchstens kippen, aber dann kann ich die Musik nicht aufdrehen.

In den sechs Jahren, in denen ich hier Musik mache, gab es keine einzige wirkliche Beschwerde. Nur einmal habe ich vergessen, das Fenster zu schließen, als ich gerade an einem Loop gearbeitet habe. Da meinte mein Nachbar: „Schön und gut, wenn du Musik laufen lässt, aber immer nur diese eine Schleife – das treibt mich in den Wahnsinn.“
 
Vom Setup her bin ich jetzt total happy. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich verstanden habe, dass weniger wirklich mehr ist. Mir zumindest ist eine Handvoll analoges Equipment lieber als ein Überangebot digitaler Eingriffsmöglichkeiten. Wichtig ist mir, meinen eigenen Sound zu finden, der trotz diverser Ausflüge in die elektronische Musik nach wie vor einen natürlichen und organischen Charme beibehält. Ich gehe deshalb lieber den holprigen analogen Weg und lasse gerne auch mal etwas nicht perfekt klingen. Ich genieße einfach die Arbeitsweise, den Klang und Charme alter Studiogeräte. Darüber lässt sich streiten, aber an solchen Debatten nehme ich erst gar nicht teil. Ich bin eben von alten Jazz- und Funk-Aufnahmen aus den 60er und 70er Jahren beeinflusst, deren Klangfarbe und Dynamik bei mir viele Emotionen auslösen. In mancherlei Hinsicht möchte ich das auf meine eigenen Produktionen übertragen – und hoffe, dass es mir gelingt.

Ich bin mit meiner Band, der „Bad Jazz Troupe“, auch noch in einem anderen Proberaum, in der Hermann-Lingg-Straße im Westend, in einem recht großen Dachgeschoss, mit Proberaum, einem kleinen Studio und einem riesigen Aufenthaltsraum. Da proben auch viele Münchner Jazz- und Funk-Urgesteine. Das sind alles Leute, die in vielen Bands spielen, und das ist wie ein Melting Pot: Alle gehen ein und aus, kochen teilweise zusammen, einer wohnt da auch. Das ist ein guter Gegenpol zum Arbeiten hier in meinem Raum zu Hause, und zum Auflegen. Beides sind ja eher einsame Aktivitäten. Und durch das Proben mit der Band kann ich viel Erfahrung sammeln. So eine Dynamik in einer Band mitzubekommen, die Musik, die man sonst als Hörer ja nur als Endprodukt kriegt, in der Entstehung zu begleiten. Das erleichtert mir auch meine eigenen Produktionen – wie man Arrangements umsetzt, oder wie ich den Musikern, die bei mir im Studio was einspielen, die Arbeit erleichtern kann.“

Text: christian-helten - Foto: Juri Gottschall

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