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"Der Spaß hört da auf, wo der Schlafmangel anfängt"

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jetzt.de: Sebastian, seit 15 Jahren moderierst du die Sendung „Szene M“ auf afk M 94,5. Bist du ein sehr treuer Mensch?
Sebastian: Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber die Sendung ist an mir kleben geblieben als großes Hobby, während ich studiert, in drei verschiedenen Firmen gearbeitet habe und ein paar mal umgezogen bin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn Sebastian ein Album gefällt, lässt er es auch mal komplett durchlaufen. Er hat in seiner Sendung alle Freiheiten.
 
Das sind jede Woche zwei Stunden, auf die du dich auch vorbereiten musst. Und du bekommst dafür keinen Cent.
Geld gab es ganz früher mal, aber das ist bald wieder weggefallen. Die Sendung läuft jede Woche und wird live moderiert. Allerdings mache ich das seit ein paar Jahren gemeinsam mit Mel Castillo, Christian Rüd und Christian „Kiesi“ Kiesler. Das bedeutet einerseits, dass die Sendung abwechslungsreicher geworden ist, weil mehr Meinungen und Geschmäcker reinkommen. Andererseits ist es ganz praktisch, dass wir uns abwechseln können.
 
Wie bist du überhaupt dazu gekommen?
Ich habe früher sehr gerne die Sendungen im Radio Feierwerk auf der Frequenz 92,4 gehört. Irgendwann habe ich im Feierwerk-Programmheft den Hinweis entdeckt, dass man bei diesem Sender auch mitarbeiten kann, und habe mich gleich eingeladen gefühlt. Ich habe dort eine ähnliche Sendung mit Konzerttipps moderiert und nach ein paar Monaten bei Radio Feierwerk ging es dann auch bei M94,5 los.
 
Das Konzept eurer Sendung ist noch immer dasselbe: Ihr stellt vor, was in der kommenden Woche an Konzerten und Veranstaltungen im Subkulturbereich los ist und spielt die Musik dazu.
Genau. Davon aber nur einen kleinen Ausschnitt, es wäre unmöglich, alles zu erwähnen. Wir versuchen die Schnittmenge der Veranstaltungen und dem, wofür wir uns interessieren, vorzustellen. Die Vorbereitung kann zwischen 20 Minuten und mehreren Stunden dauern. Das ist der Fall, wenn Gäste im Studio sind. Wenn die sich schon die Arbeit machen, ins Studio zu kommen, will ich auch höflich sein und die Leute nicht mit doofen Standardfragen nerven.
 
Hast du das Format von „Szene M“selbst entwickelt?
Im Prinzip gab es so etwas ähnliches auf Radio Feierwerk jeden Werktag von 16 bis 18 Uhr. Das habe ich dann mit „Szene M“ weitergeführt. Es ist auffällig, dass in den letzten fünf bis sieben Jahren viele andere Sender ebenfalls die Konzert- und Jugendkultur und die lokalen Trends für sich entdeckt haben. Ich würde nicht behaupten, dass wir das Format erfunden haben und das nachgemacht wurde. Aber damals haben wir eine Nische besetzt.
 
Als du mit „Szene M“ angefangen hast, war diese Szene noch eine ganz andere.
Damals gab es das Feierwerk, das Backstage war noch an der Donnersberger Brücke und es gab seit kurzem den Kunstpark Ost am Ostbahnhof. Die großen Konzerte fanden im Cirkus Krone statt. Das war ungefähr die Zeit, wo man beobachten konnte, wie die Live-Clubs immer weiter vor die Stadt gezogen sind. Das Backstage ist in regelmäßigen Abständen eine Eisenbahnbrücke weiter aus der Stadt gezogen. Und der einzige Veranstaltungsort in der Innenstadt war das Atomic Café. Dann kam irgendwann der Club 2 in der Kirchenstraße dazu, der sehr viele Experimente zugelassen hat. Ich glaube, denen war am Anfang selbst gar nicht klar, dass sie Konzertveranstalter sein wollten, das war eigentlich als Kneipe mit Kicker gedacht.
 
Da gab es große Konzerte für fünf Mark Eintritt.
Ja, das waren zum großen Teil Bands, die weit gereist sind und manche wurden später richtig groß. Damals lag auch die Kulturstation in Oberföhring in den letzten Zügen und ist dann 1999 als Kafe Kult wieder auferstanden. Das wäre mir übrigens im Moment von den ganzen Veranstaltungsorten der liebste, wenn ich mich festlegen müsste. Dort spielen immer noch sehr viele Bands, die sonst vielleicht gar nicht nach München kämen. Viele Leute beschweren sich zwar, dass es so weit nach Oberföhring ist, aber ich begreife das auch als Vorteil, weil man eben nicht den ganzen Weg rausfährt, um dann am Tresen mit seinen Leuten die Band in Grund und Boden zu ratschen. Deshalb kannst du bei den ruhigen Konzerten eine Stecknadel fallen hören.
 
Kann man sagen, dass sich in den vergangenen 15 Jahren vieles zum Guten gewandelt hat?
Ich würde tatsächlich sagen: Der Spruch „Früher war alles besser“ stimmt auf jeden Fall nicht in Bezug auf die Konzertveranstalter. Die Feierbanane mag den Kunstpark abgelöst haben. Aber in der Glockenbachwerkstatt, im 59:1 und in der Roten Sonne finden auch Konzerte statt, und zentraler als am Viktualienmarkt oder am Stachus kann man es ja nicht haben. Wenn du früher um 22 Uhr aus einem der Kinos rund um die Fußgängerzone gekommen bist, war alles tot. Da musstest du erst mal wieder in die Vorstadt fahren, um noch ein Bier trinken zu gehen.
 
Gibt es trotzdem ein paar Sachen, denen du nachtrauerst?
Der Club 2 war etwas Besonderes. Aber so ist es halt und dafür ist an anderen Orten etwas Neues entstanden.
 
Und man verändert sich ja auch selbst.
Auf jeden Fall. Es gab eine Zeit zwischen 1997 und 2002, da habe ich fast jedes Konzert angehört. Ich war immer früh da, um auch die Support-Bands zu hören. Es ist nicht so, dass ich das überhaupt nicht mehr mache, aber wenn du irgendwann merkst, dass sich gewisse Dinge eben doch wiederholen, wirst du faul. Das ist vielleicht tatsächlich eine Form von Arroganz, die du mit der Zeit entwickelst. Übrigens wollte ich deshalb nie ein musikjournalistisches Format als Haupteinkommensquelle haben: Ich kann mir gut vorstellen, dass es einen schnell frustriert, wenn man auf Konzerte gehen muss, um am nächsten Tag eine Kritik zu schreiben. Sobald das eine Pflicht wird, geht dir die Begeisterung verloren. Oder wenn du bestimmte Bands gut finden musst, weil sie gerade von drei Musikzeitschriften gefeiert werden. Die Freiheit kann man sich nur erhalten, solange es nicht auf die nächsthöhere professionelle Ebene geht.

Warum Sebastian das Medium Radio liebt und warum er trotzdem nicht hauptberuflich Moderator geworden ist, liest du auf der nächsten Seite.



 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sebastian moderiert seit 15 Jahren. Ganz schön lang für einen, der kein Musikjournalist sein will.

Konntest du in deiner Sendung immer das machen, was du wolltest?
Ja. Die Freiheiten waren von Anfang an sehr groß, und sie sind mir bei M94,5 erhalten geblieben. Wir sind dem Gesamtprogramm von M94,5 verpflichtet, aber in erster Linie dem Prinzip von Radio Feierwerk. Es kann also vorkommen, dass wir Songs spielen, die 15 Minuten dauern, was sonst im Programm von M94,5 kaum passiert. Es kann auch vorkommen, dass wir eine Platte, die von vorne bis hinten schön ist, 50 Minuten lang durchlaufen lassen. Ich vermute dann immer, dass die paar Leute, denen es gar nicht gefällt, wieder ausschalten. Aber interessanterweise sind es genau diese Momente, wo auch mal jemand im Studio anruft und fragt, was er gerade gehört hat.
 
Kennst du denn deine Zuhörerzahlen?
Nein. Bei M94,5 wird immer wieder davon gesprochen, dass im Laufe eines Tages ungefähr 10 000 Menschen den Sender einmal einschalten. Ob aber zu unserer Sendung, die während der Bundesliga läuft, 99 Prozent der Hörer den Sender wechseln oder ob ich bei Sonnenschein nur für zwei Zuhörer sende, das lässt sich nur ganz schwer messen.
 
Hat dich das Radio von Anfang an fasziniert?
Es ist das Medium, das am nächsten dran ist an dir. Mit deinen Augen kannst du bei guter Sicht hunderte Kilometer weit sehen. Und auch eine geschriebene Nachricht wirkt, als wäre sie weiter weg. Aber du hörst nur, was höchstens ein paar Meter oder Zentimeter von dir weg ist. Ich glaube, aus dem Grund wirkt das Radio so unmittelbar und intim. Deshalb ist es so ein schönes Medium. Und es sind im Vergleich zum Fernsehen nahezu primitive Mittel, mit denen da gearbeitet wird. Dadurch hat das ganze eine große Spontaneität, die gemeinsam mit der Intimität zum Experimentieren einlädt. Das ist es, was am Radio die Magie ausmacht.
 
Trotzdem bist du nicht Journalist geworden wie die meisten anderen, die bei M94,5 angefangen haben.
Wenn ich es mir zurechtbiegen wollte, könnte ich sagen: Als Nachrichtentechniker bin ich so weit gar nicht entfernt von dem Thema. Und es ist schon auch der technische Aspekt, der mir am Radio gefällt. Als es noch Tonbandmaschinen gab, habe ich es genossen, mehrere Stunden davor zu sitzen und meine Beiträge zentimeterweise zusammenzuschnipseln.
 
Trotzdem: Wenn dir Radio so viel Spaß gemacht hat, warum bist du nicht auch beruflich in die Richtung gegangen?
Zum einen mag ich auch den Elektro-Kram, das begeistert mich ähnlich stark wie das Radio. Der andere Grund ist: Die Medienwelt ist manchmal ziemlich schwer auszuhalten. Ich kenne das aus der Technik-Welt nicht, dass deine eigene Person so im Vordergrund steht, wenn es Kritik hagelt, sondern da geht es immer um die Sache: Entweder die Schaltung funktioniert oder sie funktioniert nicht. Ich glaube, dass einige Medienmenschen dazu neigen, sich für sehr wichtig zu halten. Du betreibst ja auch eine große Selbstdarstellung, wenn du im Radio moderierst, und das zieht wahrscheinlich manchmal eine bestimmte Sorte Menschen an.
 
Hast du ein Rezept, wie du dir deine Begeisterung nach 15 Jahren erhältst?
Ich finde, ein großer Vorteil des Radios ist die Möglichkeit zu sagen: „Die Band ist gut“, und dann auf Play zu drücken. Man muss nicht erst eine Viertelstunde lang erklären, was so toll an der Band ist. Gerade im Radio finde ich es ewig schade, wenn ich mich erst durch einen langen, komplizierten und mit Kontext überladenen Diskurs quälen muss, bis ich das Lied hören darf. Ich freue mich, wenn sich ein Moderator auskennt, aber das muss er mir nicht bei jedem Lied noch mal reindrücken.  

Gehst du denn noch viel auf Konzerte?
Normalerweise gehe ich ein bis viermal pro Monat auf Konzerte, aber zur Tournee-Saison im Frühling und Herbst sind es auch mal drei bis vier Konzerte pro Woche, die mich interessieren. Das wäre dann ungefähr die Frequenz von früher. Wenn es während der Woche anstrengend ist in der Arbeit, dann überlege ich mir natürlich auch, was ich auslasse. Der Spaß hört nämlich da auf, wo der Schlafmangel anfängt.

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