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Einmal München in billig, bitte!

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Anfang des Monats hat sich auf Facebook eine neue Gruppe gegründet. Sie trägt den Namen „Wohnen trotz München“. Der Name ist treffend gewählt, denn er macht in wenigen Worten ein großes Problem dieser Stadt deutlich: Es ist nicht leicht, hier eine Bleibe zu finden, die man als Student oder junger Mensch ohne riesiges Einkommen sorgenfrei bezahlen kann. Die Mieten sind höher als in anderen Großstädten, Angebote ohne Maklerbüro rar und die Konkurrenz bei Wohnungsbesichtigungen ist oft zahlreich und mit gut gefüllten Geldbeuteln ausgestattet. Der Titel signalisiert, dass Wohnen und München zwei Begriffe sind, die sich nicht ohne weiteres miteinander in Einklang bringen lassen. Die Gruppe hat nach noch nicht einmal einem Monat 900 Mitglieder.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



„Wohnen trotz München“ ist nicht die einzige Hilfe zur Selbsthilfe im Netz. Schon seit Jahren verschickt Hobby-DJ und Produktdesigner Andreas Kräftner einen E-Mail-Newsletter mit Mietangeboten an Wohnungssuchende. In der Facebook-Gruppe „Verschenk’s“ können Münchner Dinge posten, die sie nicht mehr brauchen, in den Kommentaren melden sich Interessenten. Bücher, Couchen und Klaviere wechseln so den Besitzer unter den 3400 Gruppenmitgliedern.

Was allerdings auffällt, wenn man sich derlei Plattformen von Münchnern für Münchner ansieht: Sie bleiben selten im Gleichgewicht. Vor allem in Sachen Wohnraum nehmen die mehr oder weniger verzweifelten Gesuche irgendwann Überhand, gute Angebote bekommen Seltenheitswert. Ganz zu Anfang bestand der Kräftner-Newsletter vor allem aus Angeboten. Die jüngste Ausgabe enthält drei Mal mehr Nachrichten mit Bitten an die „lieben Vermieter und Wohnungsanbietenden“ als Angebote eben dieser Menschen. Auf der Facebook-Seite „Wohnen trotz München“ muss man schon eine Weile scrollen, bis man auf eine Anzeige für ein WG-Zimmer stößt, und sogar in der Gruppe, die namentlich deutlich als Plattform für Geschenke gekennzeichnet ist, besteht jeder fünfte Eintrag in einer Frage, ob jemand einen Grill oder einen Lattenrost abzugeben habe. Es ist in etwa so, als gäbe es auf einem Flohmarkt nur zwei Stände mit Waren, aber Hunderte von Leuten, die alle ein Schnäppchen machen wollen. So ein Flohmarkt wäre kein angenehmer Ort, an dem man gerne schlendernd einen Sonntagvormittag verbrächte.

Diese Plattformen und Newsletter sind alle gut gemeint, aber gegen den unbarmherzigen Wohnungsmarkt und das allgemeine teure Leben hier haben sie kaum eine Chance. So gut wie jeder mir bekannte Münchner, der je eine neue Bleibe gesucht hat, machte die Kräftner-Mails zur Pflichtlektüre. Die Erfolgsmeldungen kann ich aber an einer halben Hand abzählen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die ganz tollen Angebote den Markt und ebenso die netten Selbsthilfe-Plattformen gar nicht erst erreichen. Sie sind längst vergeben, bevor der Vormieter einen Auszug überhaupt in Erwägung zieht. Schon wenn eine WG mit Riesenküche und großem Balkon das erste Mal Besuch von Freunden bekommt, meldet sich jemand für die Nachmiete an.

Wer in München schön lebt und umziehen muss oder will, hat es nicht nötig, seine Wohnung irgendwo anzupreisen, weil sowieso schon irgendjemand Schlange steht. Es ist nicht abzusehen, dass diese Schlangen kürzer werden. Das Missverhältnis von Schnäppchenjägern und Flohmarktständen wird noch größer. Für das gut gemeinte und eigentlich sehr schöne Prinzip der helfenden Plattformen im Netz ist das sehr schade.

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