Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Frauen aufreißen? Wie Wurst kaufen!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ich komme zu spät in das Café, in dem ich mit den beiden frisch geschulten Aufreißern Benjamin Holtschke und Martin Liema verabredet bin: „Sorry!“ Martins Blick streift mein Gesicht, dann meine Brüste. Er macht ein gnädiges Gesicht. Die beiden sind eigentlich Schauspieler bei der Gruppe „What You See is What You Get“. In der Roten Sonne führen sie gerade das Stück „Die Brunft“ auf. Es geht darin um die Pick-Up Community, also Menschen, die das Aufreißen mit manipulativen Mitteln zum Sport erhoben haben. „Kein Problem“, erwidert Martin auf meine Entschuldigung, „dein Anblick entschädigt für alles.“ Benjamin nickt. Ich ahne Schlimmes.
 
jetzt.de: Euer Stück „Die Brunft“ funktioniert ja quasi wie ein Workshop, bei dem die Zuschauer erleben, wie man Pick-up-Artist wird. Wie habt ihr das Abschleppen in der Vorbereitung trainiert?
Martin: Wir haben uns in das Regelwerk dieser Aufreiß-Nerds eingearbeitet. Das heißt, wir haben uns Youtube-Tutorials angesehen und uns die Tipps im Forum durchgelesen. Ich war am Anfang erstaunt, dass das alles so einfach sein soll. Dann haben wir im Feldversuch an der Isar und in Münchner Clubs getestet, ob wir damit wirklich gut bei Frauen angekommen.
 
Und?
Benjamin: Erstaunlicherweise ja. Am Anfang war ich noch richtig begeistert von der ganzen Geschichte, weil man recht schnell Erfolge hat. Meine Lieblingsregel ist die Drei-Sekunden-Regel.
 
Was besagt die?
Benjamin: Wenn du eine Frau siehst und sie gut findest, darfst du nicht länger als drei Sekunden zögern, bis du sie ansprichst. Sonst fängst du an zu denken und deine Ängste kommen hoch. Außerdem wirkt es nicht besonders zielstrebig, wenn du länger zögerst.
Martin: Wenn du auf die Frau zugehst, ist aber wiederum wichtig, wie du dich ihr näherst. Am besten seitlich. Stell dich neben sie. Auf keinen Fall Frontalangriff. Sonst fühlt sie sich umzingelt und bedrängt.
 
Während er das sagt, beugt er sich plötzlich frontal zu mir und guckt mir in die Augen. Er hat Recht.
 

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Alter Witz aus der Metzgerei. Kunde: "Ich will was von der groben Fetten." Verkäufer: "Die hat heute Berufsschule." Die Pick-up-Community bewegt sich auf ähnlichem Niveau - angeblich mit Erfolg ...

Wie sprichst du sie denn am besten an?
Martin: Wichtig ist, dass du das Target . . .
. . . meint „das Target“ die Frau?
Benjamin: Richtig. Die Pick-up-Artists haben da so eine eigene, etwas absurde Sprache mit vielen Anglizismen entwickelt. Die sind wie Hardcore-Computernerds, nur dass sie nicht LOL und ROFL sagen, sondern Target und approachen. Approachen heißt soviel wie anbaggern. Am Anfang waren wir da auch etwas peinlich berührt.
 
Wie approacht man am besten?
Martin: Die Pick-up-Artists haben verschiedene Opener, also Standardsprüche entwickelt, mit deren Hilfe du quasi jede Frau anquatschen kannst.
 
Zum Beispiel?
Benjamin: Wir waren zum Beispiel verkabelt mit Mikrofon und versteckter Handykamera in der Roten Sonne. Dieser Teil wird auch im Stück zu sehen sein. Da habe ich unter anderem den Bundeswehr-Opener ausprobiert. Das heißt, ich bin in ein Zweier-Set gegangen, also zwei Frauen, und hab gesagt: Mädels, Entschuldigung, wir diskutieren da gerade ein Problem und kommen nicht weiter. Meine Cousine hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie unbedingt zur Bundeswehr gehen will. Ich finde das irgendwie seltsam. Als Frau, mit ’ner Waffe und ’nem riesigen Rucksack, ich weiß ja nicht. Wie seht ihr das?
 
Und darauf sind die Frauen eingestiegen?
Benjamin: Ja, die haben dann ausführlich mit mir darüber diskutiert.
 
Ist München eine gute Stadt, um so etwas zu testen?
Martin: Ich glaube, je zufriedener die Menschen mit ihrem Leben sind, desto besser klappt es. Und hier in München sind die Menschen sehr zufrieden – also landet man auch ganz gut.
Martin: Es geht darum, dass man sofort ein Thema hat, über das man reden kann. Die Pick-up-Artists geben dir halt genau vor, wie du dich im Game verhalten sollst. Es gibt drei Phasen: Number Close, Kiss Close und Fuck Close. Wir haben vor allem Number Close trainiert, also wie man die Telefonnummern von möglichst vielen Frauen kriegt.
 
Was ihr erzählt, klingt etwas, als hätten eure Rollen auch Einfluss auf euer Privatleben.
Martin: Klar: Wenn man sich die ganze Zeit mit diesem Thema beschäftigt und alles auch noch im Feldversuch ausprobiert, flirtet man im Alltag viel bewusster. Am Anfang dachten wir einfach nur: „Wow, geil!“ Mit der Zeit haben wir dann gemerkt, dass man es auch ganz schön übertreiben kann, und sind etwas kritischer geworden.
Benjamin: Wenn man nur noch nach diesen Regeln handelt, fühlt sich das fast an, als sei man in einer Sekte. Aber viele Sachen klappen einfach. Gerade bei Leuten, die völlig ungeübt im Flirten sind.
 
In der Beschreibung eures Stücks steht, dass ihr an dem Thema arbeitet, weil ihr die heutige Ökonomisierung der Liebe untersuchen wollt. Heißt das, wenn man nach Pick-up-Artist-Regeln Frauen aufreißt, ist das so, wie wenn man sich an der Fleischtheke Wurst aussucht?
Martin: Ja, gewissermaßen ist Frauen aufreißen für die Pick-up-Artists wie Wurst an der Theke kaufen. Nur dass du im Gegensatz zur Fleischtheke nicht hingehst und sagst, dass du gerne ein Stück von der Fetten da oben haben willst.
Benjamin: Stimmt, das ist auch ein Pick-up-Artist-Prinzip: Du sortierst die Frauen auf einer Skala mit maximal zehn Punkten. Unter fünf Punkten solltest du gar nicht erst loslegen.
 
Also bewertet ihr in der Rolle der Pick-up-Artists ständig das Aussehen der Frauen?
Benjamin: Ja, kann man so sagen.
 
Er fängt an, mit sehr deutlichen Blicken und Gesten zu zählen, wie viele der anwesenden einer Sieben entsprechen.
 
Kommt ihr euch dabei nicht bescheuert vor?
Martin: Ja, ich denke auch manchmal: Junge, guck dich mal selbst an. Aber es ist halt so bei den Pick-up-Artists. Es geht nicht darum, wie man selbst aussieht, sondern nur darum, mit welchem Bewusstsein man rumläuft.
Benjamin: Eine der Regeln der Pick-up Artists lautet auch: Du kannst eh niemals alle Frauen auf der Welt bumsen, also bist du nie auf eine einzige Frau angewiesen.
 
Ich greife mir an den Kopf.
 
Martin: Ja, ist schon bitter. Aber so denken die halt.
 
Findet ihr das, was Pick-up-Artists machen, denn moralisch verwerflich?
Martin: Was heißt verwerflich? Ich selbst würde es nicht ständig machen. Ich finde es aber okay, wenn man beim Flirten auch mal lügt, das macht man in anderen Lebenslagen auch, zum Beispiel bei der Arbeit. Aber wie du ja auch schon festgestellt hast, handelt es sich bei den Pick-up-Artists teilweise auch einfach um arme Würstchen, die einem leidtun können.
 
Habt ihr denn das Gefühl, dass ihr euch über die Recherche auch etwas in Richtung „arme Würstchen“ entwickelt habt?
Martin: Das glaube ich nicht. Aber im Laufe des Theaterabends werden wir uns an der ein oder anderen Stelle auf der Bühne in arme Würstchen verwandeln.
 
Gut, danke, dann wär’s das.
Benjamin: Okay. Und was machen wir drei jetzt mit dem angefangenen Abend?

Das Stück "Die Brunft" läuft noch am Sonntag, 11., Montag, 12., und Dienstag, 13. Mai 2014, jeweils ab 20.30 Uhr in der Roten Sonne. Einlass ab 18 Jahren.


Text: lisa-altmeier - Illustrationen: katharina-bitzl

  • teilen
  • schließen