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Künstler im Neoprenanzug

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Wenn Tao Schirrmacher in diesen Tagen zum Eisbach fährt, hat er nicht nur ein Surfbrett dabei, sondern auch eine Axt. Er parkt sein Auto auf dem Parkplatz hinter dem Haus der Kunst und hüllt sich in seinen Neoprenanzug. Sechs Millimeter ist der dick, dazu kommen Neoprenschuhe, eine Haube und Handschuhe. Gut verpackt und mit Axt und Surfbrett unter dem Arm geht er dann durch die verschneite Landschaft Richtung Eisbachwelle.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schwere Arbeit: Bei manchen Eisschollen waren zwei Mann nötig, um sie aus dem Wasser zu heben.

Wenn es wie in den vergangenen Wochen über längere Zeit richtig kalt ist, bildet das Wasser, das ohne Unterlass über die Ränder des Eisbachs schwappt, dicke Eisschichten. Die Surfer könnten sich darüber ärgern, weil das Eis es doppelt so schwer macht, von den Rändern mit einem Surfbrett in die Welle zu springen. Tao hingegen freut sich über das Eis. So kann er für ein paar Tage den Künstler spielen.

Seit Beginn der großen Kälteperiode hat der Insdustriedesigner, der auch Reparatur-Sets für Surfbretter vertreibt, mit ein paar Freunden eine Art Eis-Kunstwerk geschaffen. Etwa 20 Skulpturen aus Eisschollen stehen neben der Welle. Von weitem sieht das Ganze aus wie eine bizarre Laune der Natur, je näher man kommt, desto mehr wird erkennbar, dass hier Menschen am Werk waren. Manche Schollen ragen wie überdimensionale Glasscherben aufrecht und spitz aus dem Boden, andere könnten festgefrorene Tiere aus einer anderen Zeit sein. Manche Eisschollen sind mühevoll zu Figuren arrangiert, in die der phantasievolle Betrachter selbst eine Bedeutung hineininterpretieren kann. „Das sind keine Skulpturen, die wirklich etwas darstellen“, sagt Tao, und man merkt ihm an, dass er nicht vorhat, in Zukunft eine große Karriere als Künstler anzukurbeln. „Wahrscheinlich wäre schon die Bezeichnung Installation übertrieben. Ich glaube, am besten bezeichnet man das als eine bizarre Form von Land Art.“

Die Aktion zeigt auch, dass der Eisbach für manche Surfer mehr ist als ein Ort, an dem sie ihren Sport ausüben. Er inspiriert sie, es findet eine kreative Auseinandersetzung mit dem Ort und der Natur statt. Tao sagt: „Wenn man im Wasser zwischen den Skulpturen steht, fühlt man sich ein bisschen, als wäre man in einer anderen Welt.“

Diese andere Welt zu erschaffen war harte Arbeit. Mit der Axt schlägt Tao die Eisstücke vom Rand des Bachs los. Wenn sie ins Wasser fallen und davontreiben, hechtet er hinterher, holt sie schwimmend ein und trägt sie zurück. Um die größeren Teile aus dem Wasser zu hieven und flussaufwärts zurückzutragen, waren zum Teil zwei oder drei Mann nötig. Wenigstens das Aufstellen war nicht allzu anstrengend: „Ein bisschen Wasser drauf, eine Minute festhalten, und dann ist die Scholle festgefroren.“ So haben Tao und seine Freunde den Wald aus Eisschollen jeden Tag ein bisschen vergrößert.

Was manchen überraschen mag, der in den vergangenen Wochen bibbernd durch die Stadt gelaufen ist: Die Kälte war kein Problem. Die Neopren-Anzüge sind heutzutage so gut, das man selbst bei Minusgraden nicht friert. Im Gegenteil: „Wir kommen dabei richtig ins Schwitzen“, sagt Tao.


Text: christian-helten - Fotos: Dieter Deventer

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