Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Mach sie warten

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Zum Einstieg vielleicht doch gleich dies: „Geht lieber schlafen, morgen liegt dann was unterm Cyberbaum. PS: Youtube ist ne Bitch!“ Die Zeilen stammen vom Facebook-Profil von „Mach sie sagen“. Und ihr Versprechen war ein leeres. Denn dieses „morgen“ wurde zu einem übermorgen. Und damit zum Problem.  „Mach sie sagen“ ist ein neues Internet-Latenight-Format aus München. Eine „Talk-Sendung wie ein Blog“, sagen die Macher. Ein bisschen rotzig, ein bisschen selbstreferenziell, ein bisschen wild. Gemacht wird, was gefällt, gesagt wird, was gerade einfällt. Ungefähr so. Am vergangenen Sonntag sollte der Pilot auf dem dafür geschaffenen YouTube-Channel (InsideTheHazeTV) laufen. Aber der Kanal blieb leer. Am Sonntag. Am Montag. Am Dienstag. Und am Mittwoch Vormittag.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In dieser Runde darf auch Unanständiges gesagt werden. Von links: Christoph Pankowski, Marco dos Santos, Mirko Borsche, Jakob Merten, Felix Krull. Ob Marco und Jakob noch mal zum Talk bitten, hängt auch davon ab, ob sie Sponsoren finden.

Die Zeiten, in denen Internetmedien als der zurückgebliebene Cousin ihrer etablierten, analogen Pendants wahrgenommen wurden, sind ja gottlob vorbei. Wer sich aber nun fragt, ob es überhaupt noch einen Unterschied zwischen dem Digitalen und, zum Beispiel, einer Zeitung gibt: Er heißt Redaktionsschluss – und er ist, um im Jargon zu bleiben, eine echte Bitch. Damit dieser Text gedruckt werden konnte, die Sendung also gesehen werden konnte, bedurfte es deshalb eines Plan B, bestehend aus einer späten Fahrt nach Mittersendling, einem USB-Stick, der aber zu klein war für das große Video, und einer deshalb geliehenen Festplatte – die noch zurückgebracht werden muss.

Das sagt nun freilich viel aus über das neue Format: Mit Terminen haben es die Macher nicht so. Dafür aber mit allem anderen. Es steckt eine tolle Idee hinter „Mach sie sagen“. Vielleicht sogar eine wichtige. Gut umgesetzt ist sie auch.

Dafür ist der Kreativ-Pool „Inside The Haze“ verantwortlich, der sonst im gleichnamigen Blog Video-, Grafik- und Fotoproduktionen, Bilder von Produkt- und Schmuckdesign, Porträts, Berichte über die eigene, monatliche Veranstaltungsreihe ,,Friendship is. . .“ sowie Interviews mit lokalen Hipster-Größen veröffentlicht.

„Mach sie sagen“ ist quasi die Fortsetzung des Blogs mit anderen Mitteln. Man setzt sich in der Spezlwirtschaft zusammen. Man trinkt. Man redet. Man hört Live-Musik. In ihren besten Momenten unterscheidet sich die Sendung nicht sehr von „Vereinsheim Schwabing“ im Bayerischen Rundfunk (was als Kompliment gemeint ist). Die Themen sind nur etwas urbaner. Und es wird vor der Kamera geraucht. In ihren schlechteren Momenten mühen sich die Moderatoren, Marco dos Santos und Jakob Merten, dabei noch etwas zu sehr am selbst auferlegten Motto ab: „Eine Web-TV Show, so dynamisch, selbstverliebt und unkontrollierbar wie das Internet. Willkommen im Schubskreis!“ In einer versuchten ironischen Brechung bezeichnen sie sich dann als „Crazy-Fancy-Urban-Personalities“. Jakob Merten, der sich mit feinem Hemd und teurer Brille optisch etwas an den Stehkrägen von Aggro Grünwald und im Habitus sehr an Benjamin von Stuckrad-Barre orientiert, pinkelt dann in einem Einspieler am Stachus an eine Hauswand. Marco dos Santos, der angesichts minimal dunkler Hautfarbe den Witz „Spielst du jetzt die Race-Card?!“ etwas zu oft macht, fällt mit dieser Begrüßungsmoderation auf: „Wir dürfen Dinge sagen wie: Pimmel, Scheide und schön, dass Dirk Bach nicht mehr da ist – ohne Sorgen zu haben, dass der Sendeplatz verloren geht.“ Ein etwas beherzterer Schnitt in der Nachbearbeitung hätte sich hier wohl als Freund der Moderatoren entpuppt.

Derartiges bleibt allerdings die Ausnahme. Denn wenn die beiden nicht gerade durch die vorproduzierten Filmchen „Marco und Jakob machen Sachen“ (Folge 1: Flaschen sammeln) tapern, machen sie: ein richtig gutes Talkformat. Nicht fancy. Nicht crazy. Sondern umfassend vorbereitet und mit einer Wagenladung Esprit. Wenn Jakob und Marco frei reden, erlebt man ein Gespann, das jetzt schon besser ist, als Joko und Klaas je waren. Weil sie ihren Gästen ehrlich interessiert und konzentriert zuhören, weil sie sie ernst nehmen. Was etwa bei Rapper Felix Krull (er nennt sich selbst „Ben Tewaag of Rap“) nicht immer einfach ist: „Aber The Cure ist cool – ohne Scheiß“, sagt der zum Beispiel, und hält das für eine echte Erkenntnis. „Eigentlich bist du so, wie Jimi Blue Ochsenknecht gerne sein würde“, sagt Jakob, und meint das nicht als Beleidigung.

 

Große Teile der insgesamt 70 Minuten bewegen sich auf diesem Niveau. Der Designer Mirko Borsche, verantwortlich unter anderem für die Programmhefte der Bayerischen Staatsoper oder das Zeit Magazin (früher auch das Süddeutsche Zeitung Magazin, NEON und das jetzt Magazin), spricht über seine Hip-Hop-Vergangenheit. Rapper Krull klagt, dass ihm Journalisten wegen des gleichnamigen Hochstaplers aus Thomas Manns Roman seine Geschichten nicht glauben. Christoph Pankowski, Gründer von Galeria Autonomica und Rave Autonomica, erklärt die Trennlinie zwischen Kunst und Kommerz – wofür ihm Marco dos Santos einen „geringen Vernuttungsfaktor“ attestiert. Irgendwann spielt die wunderbare Fußgängerzonen-Formation Konnexion Balkon eine furiose Balkan-Beat-Version des ersten Satzes aus Beethovens Symphonie Nr. 5, die in ein Mash-Up mit Michael Jacksons „Bad“ übergeht. Der Gesamteindruck am Ende der ersten Sendung ist: sehr münchnerisch. Und darin sehr, sehr gelungen.

 

München ist in dem Sinne ja kulturell keine Großstadt. Oft wird ihr gar vorgeworfen, überhaupt keine in sich stimmige Szene zu beheimaten. Das ist so nicht ganz richtig. Wer München etwa zwischen Hamburger Schule und Berliner Hipster-Tummelplatz verorten will, könnte betonen, dass „lustig“ hier ein ernstzunehmendes Gefühl ist. Und wenn das stimmt, ist „Mach sie sagen“ eine überfällige Plattform dafür, mit allen Geburtswehen, die das eben mit sich bringt. Am Mittwochnachmittag dann ging die Sendung endlich online. "Mach sie warten", hatte ein Facebook-Fan vorher noch kommentiert. Auch lustig. Und immerhin hat es sich ja gelohnt, das Warten.

  • teilen
  • schließen