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Nicht mehr als das R

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Ich bin das, was man (wenn es nicht so bescheuert klänge) eine „waschechte Münchnerin“ nennen könnte: Ich wurde hier geboren, stamme aus einer Familie, die schon seit Generationen in dieser Stadt lebt, und meine Identifikation mit München könnte Sachfremden bisweilen leicht übertrieben bis manisch erscheinen.

Dennoch passiert es mir seit geraumer Zeit immer öfter, dass ich von Menschen unterschiedlichster Altersgruppen und Provenienz angeraunzt werde, warum ich dann kein Bairisch beziehungsweise Münchnerisch spräche. Diese Frage wird immer und ausschließlich im maximal-vorwurfsvollen Ton gestellt und jeder Erklärungsversuch meinerseits unwirsch abgetan und darauf verwiesen, dass es „einfach nur traurig“ sei, wenn man seine regionale Identität zum Fenster hinausgeworfen habe, nur um in der Masse besser mitzuschwimmen. Woraufhin ich jedes Mal innerlich einen Tobsuchtsanfall erleide und äußerlich versuche, das bisschen Contenance zu bewahren, das mir zur Verfügung steht.

Dabei will ich all den selbst ernannten Dialekt- und Heimatpflegehelfern gerne sehr laut zurufen: „Erstens: Wenn ihr euch beschweren wollt, hier sind die Telefonnummern meiner Eltern und meiner Kindergärtnerinnen, meiner Grundschullehrer und meiner Freunde. Zweitens: Gewöhnt euch endlich dran, der Münchner
Dialekt stirbt in den nächsten Jahren aus. Und weder du noch ich noch Christian Ude können irgendetwas dagegen tun. Drittens: Was soll dieser kulturpessimistisch-dreiviertel-reaktionäre Ton? Viertens: Seit wann darf man eigentlich als Mensch diesseits der 70 ungestraft so einen Schmarrn erzählen?!“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ois easy? Nicht für Christina, wenn sie sich mal wieder für ihr nur angemünchnertes Hochdeutsch rechtfertigen soll.

Es ist ja nicht so, als wüsste ich nicht, dass man mir meine Herkunft kaum anhört. Aber das ist nicht meine Schuld. Es gab keinen Tag in meinem Leben, an dem ich beschlossen hätte, dass nun Schluss sein soll mit dem provinziellen Gerede und ich von nun an nur noch reinstes Hannover-Hochdeutsch sprechen wollte. Wenn überhaupt irgendjemand Schuld daran haben sollte, dann war das die Peergroup meiner Kindheit. Die besteht in einer Großstadt nun mal nicht ausschließlich aus Trachtenanzug tragenden Heimatpflegern und Wastl-Fanderl-Verschnitten, sondern aus Zugezogenen, Zweitsprachlern, Münchnern, Franken, Hessen und Ostdeutschen. Aus diesen Einflüssen entsteht eben eine Sprachmelodie, die mit der von Franz Beckenbauer wenig zu tun hat.

Ob und wie man spricht, ist nur sehr selten Ergebnis einer bewussten Entscheidung. Wenn einer nicht gerade Tagesschausprecher werden will oder einen schweren Sprachfehler hat, dann beschäftigt er sich mit der eigenen Sprache frühestens in der Pubertät. Und da ist es dann schon zu spät.

Und ja, ich bin nicht stolz auf mein stromlinienförmiges Hochdeutsch mit diesem minimal-bairischen Einschlag, der mich immerhin noch davon abhält, grausame Wörter wie „lecker“, „Kloß“ oder „Schornsteinfeger“ zu verwenden. Aber abgesehen davon und von einem stark abgeschwächten Caroline-Reiber-R gibt es nichts, was meine Münchner Identität verraten würde.

Ich beneide meine Eltern um ihr wunderschönes feines Münchnerisch, das im Übrigen den meisten Dialekt-Fanatikern ebenfalls zu hochdeutsch wäre. Und wenn ich manchmal morgens im Schwimmbad an Gruppen von Rentnern vorbeiziehe, dann spitze ich sehnsuchtsvoll meine Ohren, höre ihnen zu, wie sie einander melodiös anraunzen und freue mich, dass ich noch in den Genuss komme, das echte Münchnerisch zu hören.

Denn nicht nur hauptberufliche Sprachpfleger, sogar unsere Landesregierung hat festgestellt, dass Menschen unter 35 des Münchner Dialekts nicht mehr mächtig sind. Und dass es tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Münchner Dialekt, so wie wir ihn vom Monaco Franze und den Standlverkäufern am Viktualienmarkt kennen, verschwindet. Daran lässt sich nichts ändern. Das ist traurig. Aber es ist wahr. Und kein noch so pseudolustiges Dialekt-Fahndungsplakat wird diese Entwicklung aufhalten können.

Es sei denn, wir sehen die bevorstehende Bevölkerungsexplosion unserer schönen Stadt als Chance (und nicht als endgültigen Kollaps des Wohnungsmarkts): München wird demnächst auf 1,6 Millionen Einwohner anwachsen. Eine nicht unerhebliche Zahl der Zugezogenen wird aus der niederbayerischen Provinz stammen. Wenn die sich in ein bis zwei Generationen mit uns Großstadtschnöseln vermischt haben, dann könnte unser kleines Dialekt-Problem binnen zwanzig Jahren obsolet sein.

Text: christina-waechter - Illustration: TuongVi Pham

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