Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Niels Ruf packt aus

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Am Nachmittag vor seiner Vernissage tritt er in das Gewölbe der Münchner Praterinsel: 40 Jahre alt, drei Hemdknöpfe offen, frisch gestutzter Bart, parfümumweht, obwohl er heute noch gar nicht geduscht hat, wie er gleich sagt. Niels Ruf präsentiert hier einen Abend lang seine Foto-Serie "Bitte recht freundlich" einem handverlesenen Publikum. Seit zehn Jahren fotografiert er Prominente, die einen Wangenhalter, ein Zahnarzt-Instrument aus Plastik, im Mund tragen. Jürgen Vogel, Eva Padberg oder H.P. Baxxter sehen damit aus wie zähnefletschende Wölfe. Jetzt verkauft er die Bilder für einen guten Zweck. Wirkt erwachsen? Nur so lange, bis er das erste an der Wand sieht: Es zeigt Männertopmodel Werner Schreyer, der breitbeinig auf einer Couch sitzt. Ruf zeigt auf den Schritt und kichert: "Riesending, oder?"
 
jetzt.de: Welches deiner Bilder magst du am liebsten?
Niels Ruf: Mein Favorit ist Simon Gosejohann, der war mal mein Praktikant und musste immer meinen Champagner kaufen. Heute muss ich den selbst kaufen und er hat einen Fernsehpreis. Tja.
 
Hast du Phasen, in denen du denkst: Jetzt hab ich mir dieses Image aufgebaut und bin so ein mittelprominenter Fernsehtyp . . .
. . . mittelprominent ist ja noch nett formuliert . . .
. . . was wir meinen: Gab es für dich nie Alternativen?
Wenn ich heute anfinge, würde ich mir das schon noch mal überlegen, überhaupt vor eine Kamera zu gehen. Vielleicht ist es auch ein Fehler, dass ich nicht längst Stand-up-Comedy mache. Da ist man unabhängig von Sendern, baut sich eine Fanbase auf, verdient mehr Geld, kann nicht rausgeschmissen werden und sieht was von der Welt. Das ist aber an meiner Ängstlichkeit gescheitert und auch an meiner Faulheit.
 
Wovon lebst du eigentlich gerade?
Ich habe mit ein paar Leuten eine App-Firma. Sagt jeder, oder? Und ich hatte eine Produktionsfirma, die ich just drei Monate, bevor sie pleite ging, verkauft habe.

Du warst jahrelang Deutschlands "Fernsehferkel" – wie siehst du das heute?
Ach ja, die Nummer, die ich da früher abgezogen habe, so total frontal, finde ich jetzt für heute schon ein bisschen alt. Ich hab auch keinen Bock mehr, mich mit jedem anzulegen. Mit 25 hält man die eigenen Reserven für unerschöpflich – jetzt bin ich in einem Alter, in dem ich weiß, dass sie endlich sind. Kürzlich war ich mit meinen Bildern bei Markus Lanz, da hab ich mir vorgenommen, mich endlich mal so zu benehmen, dass sie mich danach noch mal einladen. Manchmal ist es ja doch unsmart, auf andere so mit der Brechstange einzufallen. Das passt außerdem auch besser zu einem "25-Something" als zu einem "40-Nothing".

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Niels Rufs Handynummer endet auf 90-60-90. Hat er sich selbst ausgesucht. Hier packt er am Tag vor seiner Vernissage in München Eva Padberg aus.
 
Deine erfolgreichste Show, "Kamikaze", lief Ende der Neunziger auf Viva 2. War es damals leichter, böse zu sein?
Klar, aber es war neben Mut auch eine ziemliche Naivität dabei. Ich konnte die Reaktionen der Leute überhaupt nicht einschätzen. Ich hatte zum Beispiel immer eine leicht bekleidete Frau im Studio liegen, das "Kamikätzchen". Das hat geschnurrt, wenn ich ihm einen Klaps auf den Hintern gab. Ich dachte: Versteht ja wohl jeder, dass das ein Witz ist, Feminismus und so, wissen wir doch alle, können wir doch jetzt drüber lachen. Aber überhaupt nicht! Ich war mal auf einer Party, da geht so ein sehr gut aussehender Typ an mir vorbei und flüstert mir ins Ohr: "Ich hasse Frauen auch." Da dachte ich zum ersten Mal: Oha, vielleicht kapiert das ja echt keiner. Die denken wirklich, dass du ein Arschloch bist!
 
Das war in den Neunzigern. In diesem Jahr hat der Hashtag "#aufschrei" den Grimme-Online-Preis gewonnen, aus Kinderbüchern werden rassistische Worte gestrichen. Ist es mittlerweile cooler, politisch korrekt zu sein?
Klar, das ist so ein Political-Correctness-Faschismus, der aus den USA kommt, mit tierischer Verspätung allerdings. Sicher ist viel davon berechtigt, aber irgendwann werden daraus Denkverbote. Viele #aufschrei-Leute treibt der Wunsch an, anderen was zu verbieten. Das gibt denen wohl Halt. Dabei waren die Kamikätzchen zum Beispiel ein fairer Witz auf die Assistentinnen-Kultur in Talkshows, in denen kleine verhuschte Frauen das Wasserglas bringen und im Halbdunkel wieder abzischen. So was ist sexistisch!
 
Sollten also alle mal wieder runterkommen?
Auch Frauen verändern ihr Handeln: Die nehmen sich Dinger raus, die sich Männer nicht rausnehmen könnten. Ich kriege zum Beispiel bei Facebook mehrmals im Monat von unbekannten Frauen Tittenbilder geschickt. Wenn ich jetzt Fotos von meinem Erlebnisorgan verschicken würde, müsste ich schon zum dritten Mal Sozialstunden leisten und den Friedhof harken.
  
Sind Fieslinge eigentlich die interessanteren Typen?
Nicht unbedingt im echten Leben, aber in der Erzählung. Darth Vader ist doch geiler als Luke Skywalker! Und wenn sie bei "Breaking Bad" illegal Tabak angebaut hätten, würde der Serie doch der Juice fehlen. Ist doch gerade geil, dass sie die unsympathischste Droge der Welt herstellen, Crystal Meth!
 
Die Hauptfigur tut es aber, um eine Krebstherapie zu bezahlen.
Aber am Schluss sagt er seiner Frau: In Wahrheit habe ich es gemacht, weil ich mich geil gefühlt habe!

Kannst du eigentlich über dich selbst lachen?
Null. Na ja, schon. Was bleibt mir auch anderes übrig?
 
Was verletzt dich?
Wenn du jemandem was schenkst, und das ist dem offensichtlich egal. Oder du freust dich, jemanden wiederzusehen, und der hat Probleme, dich überhaupt zu erkennen. Das sind Momente, die mich verletzen. Da stehst du nachts vor dem Frauenhaus mit einem Strauß Blumen, und alles, was kommt, ist die Polizei. Das tut schon weh (lacht). Schon wieder ein blöder Witz.  

Ist Verletzung der Auslöser dafür, böse zu werden?
Ist sie natürlich! Ich habe zwei ältere Brüder, als Kind geschielt und musste immer mit einem Klebeding auf dem Auge rumlaufen. Ich dachte, ich kriege nie eine Frau ab. Da entwickelt man Humor. Deshalb sind gut aussehende Männer, die schon immer gut aussahen, so langweilig. Wozu soll man sich anstrengen? Wozu soll ich Geige spielen lernen oder eine Band gründen, wenn ich die Weiber eh schon habe?
 

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sophia Thomalla mit Sekt und Wangenspreizer.

2008 wurde innerhalb eines Jahres deine Late Night Show auf Sat1 abgesetzt, eine RTL-Sitcom mit dir in der Hauptrolle nach drei Folgen nicht mehr gesendet und deine Produktionsfirma ging pleite. Wie ging es dir?
Das war eher ungeil. Ich war eh schon schlapp, hatte diese Serie gedreht, war Geschäftsführer, habe versucht, diese Late-Night in Schwung zu bringen und alles lief eher so lala. Da dachte ich: Fuck, jetzt reicht’s mir. Am letzten Tag meiner Late-Night haben dann Metallica die O2 Arena in Berlin eröffnet. Da bin ich hin, betrunken und ohne Ohrstöpsel, und habe mir gesagt: Jetzt mach ich erst mal gar nichts mehr. Jetzt wird mal die Miete abgewohnt.
 
Du hast dann doch weitergemacht, mit einer Webshow für die Telekom und als Gastgeber beim Promidinner auf Vox.
Beim Promidinner war es so: Ich hatte eine Steuernachzahlung bekommen, die habe ich denen geschickt und gesagt: "Wenn ihr das zahlt, mach ich mit." Ich hatte mich ja schon immer gefragt, warum die Gastgeber die Chancen für Gags nicht nutzen, wenn die Wohnung durchstöbert wird. Da liegen dann ganz brav die Fotoalben und die goldenen Bravo-Ottos von 1986. Warum legt da keiner ’ne Knarre hin oder einen Strap-on? Also hab ich meine Bücherwand ausgeräumt und aus der Videothek von einem Freund 900 Pornos reingestellt. Bei Pokaldiscounter.de habe ich mir dazu Preise machen lassen: "Dritter beim Armdrücken der Mädchen", "Kekswichsen Munich Open, 2. Platz", so was. Aber mal was Anderes: Habt ihr euch mal meine Fotos angeschaut? Ich bin ja nämlich auch ein sensibler Künstler!
 
Na gut. Warum Fotos von Prominenten mit einem Wangenhalter im Mund?
Als ich Kind war, hatten wir einen Hund, den ich aus Spaß so lange immer wieder aufgeweckt habe, bis er die Zähne fletschte. Irgendwann war ich dann beim Zahnarzt, der schob mir einen Wangenhalter rein und reichte mir einen Handspiegel. Ich dachte: Ich sehe ja aus wie der wütende Hund! Das ist meine Fotoserie. Die mache ich nun also seit zehn Jahren so vor mich hin und dann fragt mich auf einmal jemand, ob ich die nicht zugunsten einer Charity für Kinder mit Kieferfehlbildungen in Berlin ausstellen möchte. Und weil’s so gut lief, jetzt auch in München. Die Bilder sehen vielleicht aggressiv aus, aber sie sind auch lustig und helfen nun sogar Kindern. Und das ist ja wohl überhaupt nicht böse.
 
Woher kam früher deine Faszination für das Aggressive?
Ich fand immer schmutzigen Hip-Hop oder Bands wie Slayer geil – die sind so over the top, die kann man ja nicht völlig ernst nehmen. Bei Viva damals war dann der Gedanke: Schmidt, Raab, da muss man noch einmal eine Schippe drauflegen – das Gefühl aus der Musik in die Show übertragen. Für eine meiner Sendungen habe ich mir mit dem Sänger von Slayer einen Konzertmitschnitt von Cannibal Corpse angesehen. Da passiert folgendes: Der Typ von der Band kriegt eine Flasche an den Kopf. Er schreit ins Publikum: "I saw that! Come up on stage, I kill your father, I kill your mother then make your dead father fuck your dead mother. Don’t fucking fuck with me!" Der Slayer-Sänger und ich gucken uns das also an, und ich frage ihn: "Kriegst du auch manchmal eine Flasche an den Kopf?" Er so: "Ab und zu." Ich so: "Sagst du dann auch so Sachen?" Er so: "You gotta be bigger than that." Der ist also gar nicht so böse. Und ich übrigens auch nicht.
  
Wer ist heute der beste Böse im deutschen Fernsehen?
Weiter Harald Schmidt oder Enissa Amani.
 
Was ist mit Jan Böhmermann, Benjamin von Stuckrad-Barre . . . ?
Stuckrad-Barre macht ja eher Observational Comedy. Ich finde, die gelingt ihm besser in seinen Büchern als in seinen Shows. Da sehe ich jemanden, der dringend eine Klinikpackung Ritalin braucht. Aber natürlich ist der schon gut. Und Böhmermann fehlt es etwas an Unterleib. Ich kann mir bei dem nicht vorstellen, dass er eine Zigarette auch mal auf Lunge raucht. Oder einer Frau MDMA in den Drink tut, damit sie ihn mag. Wird ja vielleicht noch.
 
Ist es dir wirklich völlig egal, ob die Leute dich mögen oder nicht?
Ich hatte mal eine Show im DSF, die nach neun Folgen von Leo Kirch abgesetzt wurde – wegen Blasphemie. Das ist doch irgendwie geiler, als wenn man sagt, ich habe den neuesten Fernsehpreis gewonnen, oder? Das sind meine Auszeichnungen. Ich war auch mal für den Grimme-Preis oder so nominiert und habe mir fest vorgenommen, ihn dann abzulehnen. Leider habe ich ihn gar nicht erst gekriegt.

Text: mercedes-lauenstein - und jan-stremmel; Fotos: juri-gottschall, Niels Ruf

  • teilen
  • schließen