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Sommer ist, wenn man aus der Tür geht oder sich aus dem Fenster hängt und da keine Barriere mehr ist. Kein Temperaturunterschied oder wenn, dann nur der, bei dem es draußen wärmer ist als drinnen. Vom Asphalt strahlt die Hitze und in der Luft liegt eine kleine Kohlensäure, blumig und zitronig, und sie ruft: Komm mit mir! Sie zieht einen hinaus, Widerspruch unmöglich. Sie zwingt dazu, mit allem eins zu werden: dem extrablauen Himmel, den Menschen auf den Rädern, dem glucksenden Wasser im Eisbach, den warmen Treppenstufen eines öffentlichen Bauwerks.

Im Sommer ist am besten dran, wer ein nicht sehr aufwendiges Studienfach studiert oder irgendeinem Beruf nachgeht, der sich auch liegend im Gras erledigen lässt. Dieser Luxus wird nicht allen zuteil, aber die Stadt gaukelt es einem vor: Überall, so scheint es, liegen, sitzen, hängen sie ab, die Menschen, und haben in der linken Hand ein Getränk und in der rechten ein Taschenmesser, mit dem sie sich gerade ein Stück Käse abgeschnitten oder eine Erdbeere zerteilt haben. Je tiefer die Sonne steht, desto hübscher sehen sie dabei aus, und jetzt dürfen sich auch all die Büromenschen dazu gesellen. Irgendwann sitzt die ganze Stadt auf der Straße: die WG-Feierabendbiere, die Stammtische, die Hauspartys. Im Sommer gilt: Was braucht der Mensch anderes als kein Dach überm Kopf, ein Stückchen Erdboden und ein Picknick in der Tasche?

Hackerbrücke

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jessica, 18, und Samiya, 18, kommen von der Theresienwiese und wollen noch zu Jessica nach Hause, Toast machen. Aber vorher muss entspannt werden, und das geht am besten durch Rumklettern
auf der Hackerbrücke. Hat Jessica schon als kleines Kind gern gemacht, sie ist hier aufgewachsen. Die beiden sind überhaupt überall dort am liebsten, wo man klettern kann, zum Beispiel auf den Felsen im Olympiapark. Aber hier, auf der Brücke, ist es abends eben besonders schön. Samiya sagt,
der Ort werde seit ein paar Jahren immer angesagter. Genaugenommen, seit es in der Jugend diesen „american style“ gebe, geprägt von Instagram und tumblr-Blog-Ästhetik.

>>>Das Vorstellungsgespräch feiern am Odeonsplatz<<<


Odeonsplatz

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Till, 23, Aylin, 22, Sebastian, 22, und Michi, 23, treffen sich hier regelmäßig auf ein Feierabendbier, das sie vorher bei „ihrem“ Rewe in den Fünf Höfen besorgen. Sebastian und Michi waren in der Stadt unterwegs,
um nach einem Fernseher zu schauen und einfach mal zu gucken, „was man sonst noch so gebrauchen kann“. Aylin hatte heute ein Vorstellungsgespräch. Lief super. Darauf wird jetzt angestoßen. Und später?
Wird auf jeden Fall gechillt. Wo, steht noch nicht fest. Till findet, das hier sei der schönste Fleck der ganzen Innenstadt. Man hat ein super Panorama und fühlt so richtig, wie die bayerische Tradition auf die Moderne stößt. Hier oben an der Feldherrnhalle haben immerhin schon „sonstwelche“ historischen Menschen gestanden, und jetzt sitzt er hier, und schaut runter auf Läden wie den Mercedes-Benz-Store oder den Coffeeshop.

>>>Jahrestreffen auf der Bierbank<<<


Maxvorstadt auf der Straße

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Martin, 24, Hans, 25, Markus, 25, Stefan, 25, Hermann, 23, sitzen hier schon seit nachmittags und sind schon mehrere Male der Sonne hinterhergezogen mit ihrer Bierbank. Sie haben Brotzeit und Bier dabei und wissen noch nicht, was der Abend bringt. Sie kennen sich alle noch aus der Heimat, sind zusammen zur Schule gegangen und haben jetzt alle woanders studiert. Heute treffen sie sich zum ersten Mal wieder und besprechen, was in der Zwischenzeit alles geschehen ist. Martin, dem die Bierbank gehört, sitzt hier oft mit Freunden – und es kommen immer nette Menschen vorbei. Einmal, als alle Läden schon zu hatten, hat ein alter Mann ihnen von zu Hause Bier gebracht.

>>>Über die Kritikerin schimpfen auf dem Pathos-Gelände<<<


Pathos Gelände

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Simon, 29, und Felix, 29, stärken sich für ihre Aufführung im Schwere-Reiter-Theater mit Sushi und Limonade. Sobald man die beiden hier sitzen sieht, hat der Sommer begonnen, es ist nämlich ihr Stammplatz. Gerade besprechen sie eine Zeitungskritik über ihre Aufführung. Die Reporterin muss taub gewesen sein, glauben sie, denn sie hat in ihrem Text kein einziges Wort über die gespielte Musik verloren,
und die war der Inhalt des Stückes.

>>>Anstoßen auf der Theresienwiese - beim schönsten Sonnenuntergang der Stadt<<<


Theresienwiese

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Merlin, 27, und Felix, 29, treffen sich am liebsten auf der Theresienwiese, weil es hier einen der schönsten Sonnenuntergänge der Stadt zu sehen gibt. Heute Abend gibt es außerdem Neuigkeiten über Frauen auszutauschen und es muss dringend auf das Referat angestoßen werden, das Felix heute erfolgreich hinter sich gebracht hat.

>>>Adieu, Parkhausdeck am ehemaligen Atomic<<<


Parkdeck am ehemaligen Atomic


Am Parkdeck nahe des ehemaligen Atomic-Cafés konnte man sich vor nicht allzu langer Zeit immer sicher sein, ein paar Abhänger zu treffen. Doch heute findet man nur noch die eingeritzten oder mit Edding verewigten Namen auf dem Beton. Seit das Atomic weg ist, ist wahrscheinlich auch die letzte jugendkulturelle Energie hier verschwunden. Wer sich länger als fünf Minuten ohne sinnvollen Grund (geparktes Auto abholen) hier oben aufhält, wird von einem Parkhauswächter abgeholt und hinauskomplimentiert. Adieu, Parkhausdeck, du Ort so vieler verwegener Geschichten!

Text: mercedes-lauenstein - Fotos: juri-gottschall

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