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Stadt der Dichter

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Georg "Grög!" Eggers trat 2003 erstmals beim Poetry-Slam im Substanz auf und vertrat München fünfmal bei den deutschsprachigen Meisterschaften. 2009 debütierte er mit seinem Kabarett-Solo „Wo denken SIE hin?“, das unter anderem auch in der Lach- und Schießgesellschaft zu sehen war. Heute ist Grög Stammautor der Lesebühne „Westend ist Kiez“ und Präsident (in Teilzeit) der „Freien Universität Schwabing“, einer akademischen Ausgründung des Lach- und Schießsyndikats. Hier doziert er monatlich zur „Physik des Scheiterns“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



München kalkt
Pardon, ich bin etwas unausgeglichen. Ich habe heute so eine Art Drogenproblem: Kein Kaffee. Und daran ist München schuld. Eigentlich eine schöne Stadt – an der Oberfläche betrachtet. Aber darunter, in den Eingeweiden, fließt das Münchner Wasser in seinen Münchner Wasserleitungen – ganz scheinheilig klar und kalt.
 
Doch wehe jedem, der es wagt, dieses unschuldige, kalte Wasser auch nur ein klein wenig anzuwärmen. Denn dann bilden sich prompt Schlieren und Brösel im Kaffeewasser und schließlich beginnt der ganze Kessel von innen zu versteinern. Und dann begreift der unvorsichtige Wassererwärmer: München kalkt!
 
München hat nämlich nicht nur harte Sitten sondern auch hartes Wasser. Ich selber bin ein Wasser-Weichei: Ich bin in Göttingen aufgewachsen, wo sie Regenwasser in die Leitung gepumpt haben, und folglich ein Tauchsieder auch nach Jahren immer noch aussah wie ein Tauchsieder und nicht wie eine große Tüte mumifiziertes Popcorn.

Aber heute habe auch ich begriffen: München kalkt! Denn heute hat der Kalk meine Espressomaschine geschlachtet. Und zwar keines der billigen Kännchen zum Auf-den-Herd-Stellen, die nach dem Verkalken einfach explodieren und gut ist – nein, eine deutsche Maschine für italienischen Kaffee, eine von Bosch. Und die explodiert nicht, sondern macht „BRRRT“, und „ÖÖHM“ und „KRRCHH“ – eben jene Geräusche, die in Deutschland gemacht werden, wenn gearbeitet werden soll, aber dann doch nichts herauskommt. Kein Kaffee nämlich.

Naja, werden jetzt die norwegophilen Pisastreber sagen, ist doch nicht schlimm: Das ist Calciumcarbonat, Summenformel CaCO3, da nehmen wir einfach Säure, zum Beispiel Zitronensaft und schon zersetzt es sich zu Wasser und zu CO2 und zu irgendwelchen Reststoffen, nach denen im Pisa-Test gar nicht gefragt wurde – aber auf jeden Fall ist es dann weg.

Aber ich sage euch Möchtegern-Norwegern: Der Münchner Kalk ist bei den bayerischen Blitzblank-Sauberkeitsfanatikern jahrhundertelang durch eine harte Schule gegangen. Und hat getan, was jedes einigermaßen schlaue Schweinegrippe- oder EHEC-Bakterium auch tut: Er hat eine Resistenz entwickelt gegen den homöopathischen Hokuspokus mit Zitronensaft oder Essig. Da rülpst es nur hämisch aus der Maschine und der Kalk badet und planscht darin wie Kleopatra in der Eselsmilch.

Nein, wer dem Münchner Kalk zersetzend an die Gurgel will, muss beim Kustermann eine Chemikalie kaufen, auf deren Flasche überall Piktogramme mit angefressenen Händen oder dicken Brillen zu sehen sind. Und wer daran riecht, begreift: Selbst wenn es kein Kalk wäre, der die Maschine verstopft, sondern eine komplette tote Ratte, dann würde auch die sich in dieser Chemiewaffe so spurlos auflösen wie das Calciumcarbonat im Pisatest!

Doch selbst dieser chemische Kampfstoff hat noch Stunden gebraucht, um den Kalk aus meiner Maschine rauszuprügeln. Ich habe danebengestanden. Und habe angefangen zu begreifen:

Zum Beispiel, dass Erosion in den Alpen nichts mit der Klimakatastrophe zu tun hat, sondern damit, dass die Stadtwerke jährlich den Gegenwert eines Mittelgebirges in Kalk durch die Wasserleitung nach München pumpen; eine Leitung, die so groß ist, dass der Oberbürgermeister darin mit dem Fahrrad herumfahren konnte – zumindest bevor die Leitung innen verkalkt ist.

Oder, dass das Kinderbecken im Müller’schen Volksbad nur Tarnung ist, weil sogar Kinder mit den Füßen das Kalksediment erreichen und niemand das Geld hat, einen Tanklastzug von der Chemiewaffe zu bezahlen und weil – die Pisa-Elite kann das nachrechnen – dabei so viel CO2 herauskäme, dass die Merkel auf Knien zur nächsten Klimakonferenz rutschen müsste.

Und überhaupt: Dass es in München so wenig Kinder gibt, liegt daran, dass bei den Münchner Männern das Rohr, durch das das warme Wasser raus fließt, auch schon zugekalkt ist. Sicher haben schlaue Münchner schon mal versucht, auch dieses Rohr mit Säure wieder frei zu bekommen. Und dabei das Jodeln erfunden. Oder den Schuhplattler. Oder beides.

Und was passiert, wenn ein kaltes Kalkwasser-Bier in einen heißen bayerischen Politikerschlund gegossen wird und warum die Politiker so einen steifen Hals zu haben scheinen und bei Ihren Ansprachen die Kalkschicht auf dem Kehlkopf durch ein ständiges „Äh! Äh?“ abzubröseln versuchen.

Und dass ganz München mit seinen gewaschenen Autos und den geschrubbten Bürgersteigen wohl irgendwann unter einer harten, weißen Schicht verborgen sein wird wie ein Ei in seiner Schale. Aber was ist auch zu erwarten von der Hauptstadt eines Landes, dessen Farben Weiß und Blau sind? Blau, wie das Wasser. Und weiß, wie der Kalk.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Bumillo hat in München studiert und tritt seit 2007 regelmäßig auf Poetry Slams, Kleinkunstbühnen und Literaturfestivals auf. Mit seinem Team „PauL – Poesie aus Leidenschaft“ gewann er 2009 die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften und wurde mit zahlreichen Kabarettpreisen ausgezeichnet. Solo wurde er 2010 „Deutscher Box Poetry Slam Meister“. Er ist Gründungsmitglied der Münchner Lesebühne „Rationalversammlung“ und hat mit „Bumillos UniVERS“ seinen eigenen Poetry-Podcast.

Mingration (Die Geldstadt mit Scherz)
Minga! Munich! Monaco! Munique! Mmm-München!
Woaßt, wos zugroast hoaßt? Zuagroast hoaßt . . .
Du kennst di zuallerst a moi überhaupt ned aus, weder hint no vorn.
Bist wahrscheinlich a wengai verlorn, weil du bist wo anders geborn.
So richtig kenna duasd no koan, des geht ned von heid auf moang.
Aber mach da koane Soang, weil: Minga mog di!
Und a bissal wos geht ollawei!
Also schau vorbei und hau die nei und drau die fei!
Ganz wurscht, wo’st herkimmst: aus Kabul, aus Peking oder von de Preiß’n!
Du brauchst da nix scheißn! Scheiß da nix, dann feid da nix!
Woaßt, wos zugroast hoaßt? Zuagroast hoaßt . . .
Du woaßt no ned so richtig, wias lafft.
Und du schaust wira Schwaiberl wenns blitzt, weil du host da a U-Bahnkarten kafft.
Und du woaßt ned genau, is des a Witz oder . . . Ja wos schaust do mi so o?!
Es gibt koan, der oan kennt, der die MVG-Tarife erklärn ko! Und i konn da des Münchner „Verkehrtsystem“ a ned erklärn.
I dads ja gern, aba i bin weder da „Gandalf“, no da „Herr der Ringe“.
Ja wos moanst du, wia vui Zeit I mehr verbringe wegen dieser 16 Ringe!
16 Ringe! Vier moi so vui wia Audi!
S- und U-Bahn-Fahrn in Minga is ois andre, bloß koa Gaudi!
Argh, der Automat, de dumme Sau de!
„Nimm hoid mein Zwanzger endlich o! Nimm jetzt den Zwanzger und sei froh!“
Ja so wia heid hoda si ja no nia blogt, und der sexy Sachse hinta dir sogt:
„Na das wa ja ma wida ’n Scheiß-Doch!“
Aba du bleibst cool und sogst: „I hau mi no obe zum Eisboch!
Zu de Naggadn und zu de Surfer!“
Minga is zwar a Waidstod, besteht aber aus lauter kloane Dörfer.
Und du findst scho no dei Dorf, dein Blotz und deine Leid.
Vielleicht no ned glei heid, s’dauert hoid sei Zeit bis zur Münchner Freiheit.
Ja bist scho hoaß, dass’d woaßt, wos zuagroast hoaßt, ha?
Zuagroast hoaßt: Du brauchst erst amoi a Wohnung!
Also schau di einfach nua kurz um, nimm da, wos da g’foid, a coole Bude findst scho boid . . .
Äh, ja, der Mietpreis, der is koid.   Ach, wer des ganze zoid?!
Ha! Du stähst bestimmt do und denkst da: „500 Euro für zehn Quadratmeta ohne Fensta?! Ja geläck, des gibt’s doch ned!?“
Doch, des gibt’s! Aber Hauptsach, Minga mog di und da Monaco Franze mog di a . . .
Und scho boid gähst mit am megaliabn Münchner Madl auf d’Nacht über’d laare Theresienwiesn.
Es wird g’lacht und ihr deads de Momente genießen.
Und sie duad ned lang umanand sondern nimmt die bei da Hand,
und zoagt dia a ganz a unbekannts Land.
Dir kimmts fast scho traumhaft via
Du hosd Schwammerl in die Knia, aber: Scheiß da nix, dann feid da nix!
Minga mog di und da Schwammerl König mog di aa . . .
Und scho stähts ihr zwoa Schbotzln Hand in Hand vor da Bavaria . . .
Sie sogt: „Mach deine Aug’n zua!“
Du denkst da: „Ja da war I ja schee bläd, wenn I ma des jetzt ned traun dua.“
Also drausd dir’s, weil oans, des guid auf jed’n Foi:
Glücklich wead ma überoi.
Ganz wuascht, in waichna Stod.
Solang ma oan hod, den ma mog und der oan mog . . .
Und de Wiesn bebt, weil in Minga do wird g’lebt!
Do wead danzt auf Riesen-Bierbänk!   Ja, des hättst da ja nia denkt, „Boah!"
„In Minga dea ma dringa bis ma nimma kinna.“
Ein Prosit der Gemütlichkeit! Sachse:   „Na fürs Saufen ham se immer Zeit!“
Ja freilich, und Winter wird es, wenn es schneit!
Wichtig ist, dass man sich gfreit! Und dass ma woaß, wos zugroast hoaßt.
I hoff, dass du des lernst, also nimm de Stodt ned immer so bierernst.
Geh einfach raus, scheiß da nix und drau di!
Dann weast schnai säng: Minga is a lebenswertes Riesen-Baggal Gaudi!


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Heiner Lange studiert in München Meteorologie und arbeitet als Bühnendichter bei der „Kiezmeisterschaft“, dem Poetry Slam im Stragula, und der „Rationalversammlung“, der Lesebühne im Rationaltheater. Er ist ein Drittel des Poetry-Ensembles „PauL - Poesie aus Leidenschaft“ und mit diesem deutschsprachiger Poetry Slam Meister 2009 in der Kategorie Team, Preisträger der Goldenen Weißwurscht, des Kabarett Kaktus und des Passauer Scharfrichterbeils.

850 Jahre. Ein Kinderbuch
Das ist der kleine Dichter. Er hat einen vorlesungsfreien Nachmittag und genießt das sonnige Wetter.

Nun gut. Da liege ich also, im Englischen Garten,
verrückt gemacht von den unendlichen zarten Weiberleibern, die ständig erwarten,
bewundert zu werden von männlichen, braten
wir alle, verkrustet von Feinstaub, UV-Öl und Schweiß,
doch letztlich zufrieden, das Leben in der Großstadt, das hat seinen Preis.

Der kleine Dichter sitzt am Eisbach, während die Stadt siegestrunken ihr 850stes Jubiläum der Nichtmehrnichtexistenz feiert. Er geht zu den Trommlern, die unterhalb des Monopteros Lärm produzieren. Er sagt: „Hallo liebe Trommler, ich möchte die Zukunft dieser Stadt schön machen. Könnt ihr mir helfen?“ „Ja, können wir“, sagen die Trommler.

So trommeln sie Regenbögen, und von den vereinten Herzen tropft im Schweben
als Fingerkuppengetrappel ein Gummibärchensommerregen,
im Neunzehn-Achtundsechzigstel-Rhythmus wird aus Leuten, die Geld lieben
ein wirklicher Bilderbuch-Weltfrieden.
Und weil so was Schönes bisher noch nicht da war,
thront darüber: Wer schon? Na der Che Guevara.

Der kleine Dichter kratzt sich am Kopf, weil er die Trommler nicht versteht. Aus einem Gebüsch dringt ein grünlicher Geruch. Er kommt von einem Mann mit einer langen Zigarette.

So pustet er grünliche Rauchkringelherzen und Rauchkringelregenbögen,
es purzeln grüne Kiesel auf den Schotterwegen,
und vom Himmelszelt fällt Gummibärchensommerregen.
Er sagt: Wem das, was ich in der Hand halt, gefällt, kriegt den
geilsten Scheiß: Ich bring mit Ganja den Weltfrieden.

Der kleine Dichter kratzt sich am Kopf, geht weiter und kommt in den kühlen Lichthof der Uni. Dort steht ein von sich selbst überzeugter Wirtschaftsstudent.

So krakelt er Krankenkassenkugelschreiberkritzelherzchen auf putzige Polohemkragenstehaufmännchen auf der Karrieregenbogenkurve.
Aus dem Silbensteinspeicher speist er Sprechturbinen, er kann ohne Punkt und Komma reden.
Er verkauft Gesabber auch als Gummibärchensommerregen.
Und er meint, er habe eine Lösung jeglichen Problems der Welt: Sieben
Zinsprozente auf sein Konto brächten acht Prozent an Weltfrieden.

Schon wieder Weltfrieden? Der kleine Dichter spaziert zur Maximilianstraße. Dort steht eine Frau im teuren doch viel zu warmen Pelzmantel.

So tänzelt sie mit Goldbarrenplateauschuhen auf Regenbögen aus Zirkusnerzen, bekränzt von Geldscheinamseln,
sie schwitzen und ächzen, die tapferen Nerzlein,
über dem Regenbogenboden, gepflastert mit Schokoherzlein.
Und halten still, dumm wär’s, wenn sie sich doch bewegen.
Und tropft der Schweiß, fällt er als Gummibärchensommerregen.
Sie sagt, wenn man sich zu ihr gesellt, fliegen
alle Sorgen fort, und wenn dir das gefällt, liegen
am Proseccopool noch ein paar Happen Weltfrieden.

Der kleine Dichter kratzt sich am Kopf. Stadt schön machen? Viele Rezepte, keines ernst zu nehmen, und alle irgendwie bescheuert.

Da sitze ich also, im englischen Garten,
trinke, weil durstig, endlich ein Spaten,
spiele Schafkopf mit speckigen Karten,
betrachte, wie Kinder Drachen, wendige, starten,
höre Bengel die Mütter bequengeln, wenn sie nicht warten
höre Stadtgeflüster mit ländlichem harten
Speckgürteldialekt gespickt, all das im englischen Garten.
Und denke mir: Basst scho. Macht’s weiter so.

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