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"Wir sind uns näher als unsere Parteien"

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Der durchschnittliche Bundestagsabgeordnete ist knapp 50 Jahre alt. Auch bei der Wahl diesen Sonntag gibt es in München nur drei Kandidaten unter 30: Wolfgang Stefinger (28), CSU, Bela Bach (22), SPD, und Alexander Bock (26) von der Piratenpartei. Anlass, die drei im SZ-Hochhaus an einen Tisch zu bringen.
 
jetzt.de: Ihr seid die drei jüngsten Bundestagskandidaten in München. Kennt ihr euch schon?
Wolfgang Stefinger: Noch nicht.
Alexander Bock: Nur vom Plakat (lacht).
Bela Bach: Ich glaube, ich kenn dich. Warst du nicht damals auf einer SPD-Veranstaltung in Schwabing? Der Pirat, der sich gegen alle wehren musste?
Alexander Bock: Genau, das war eine Urheberrechtsveranstaltung, aber eigentlich eher ein Piranhabecken. Ich hatte die Rolle des bösen Urheber-Reformers. Aber ich glaube, ich hab mich ganz gut geschlagen.
Bela Bach: Definitiv. Da hat dich echt keiner beneidet, mit was für Fragen du konfrontiert wurdest.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ist politisches Engagement etwas, das parteiübergreifend verbindet?
Alexander Bock: Ich finde, wir Jungen sind uns näher als unsere Parteien an der Spitze. Wir haben vergleichbare Lebenswirklichkeiten, uns bewegen ähnliche Dinge. Das verbindet mehr, als die Parteiprogramme uns vielleicht trennen.
Bela Bach: Absolut. Ich habe vor jedem Respekt, der jung ist und sich in einer demokratischen Partei engagiert.
Wolfgang Stefinger: Als ich noch Vorsitzender der Jungen Union München war, haben wir uns regelmäßig mit den anderen Vorsitzenden der politischen Jugendorganisationen getroffen. Das fand ich immer total nett. Wir haben alle das Problem, junge Leute für die Politik zu werben. Sich dann mal zu treffen und Ideen auszutauschen, hat mich immer weitergebracht.
 
Würdet ihr sagen, ihr macht als junge Kandidaten automatisch einen jungen Wahlkampf?
Wolfgang Stefinger: Ich versuche es zu mischen. Gerade als Kandidat der CSU, einer Volkspartei, musst du alle Schichten abdecken. Meinen Facebook-Auftritt gestalte ich anders als den Flyer. Ich glaube, ich würde ihn deshalb nicht als komplett jungen, aber auch nicht als typischen CSU-Wahlkampf bezeichnen.
Bela Bach: Ich denke, das ergibt sich ganz natürlich mit dem jungen Wahlkampf. Als ich mein Team zusammengestellt habe, haben sich einfach hauptsächlich Leute unter 35 gemeldet. Und von den Aktionen her war natürlich auch klar, dass ich wohl nichts zum seniorengerechten Wohnen mache. Stattdessen schaue ich nach Veranstaltungsformaten, die zu mir passen und authentisch sind.
Alexander Bock: Seien wir ehrlich: Ältere Menschen sind nicht die Zielgruppe der Piraten. Wir können natürlich versuchen sie anzusprechen, aber das ist sehr viel schwieriger, als junge Menschen zu mobilisieren. Unsere bestbesuchten Veranstaltungen waren die Kryptopartys, Drogenvorträge oder Besuche bei Startups. Wir haben auch mal versucht, was mit Rentenpolitik zu machen.
Wolfgang Stefinger: Wie war die Resonanz?
Alexander Bock: Die Seniorenverbände fanden es toll. Aber die Rentner? Die sind weitergegangen (lacht).
Wolfgang Stefinger: Ich glaube ja, das liegt an eurem Parteinamen.
Alexander Bock: Das kann sein. Aber als wir den gewählt haben, stand auch im Raum, uns mit „PP“ abzukürzen oder einen ganz anderen Namen zu nehmen. Aber noch mal was mit drei Buchstaben? Das holt doch keinen mehr hinterm Ofen hervor. Dass der Name trotzdem nicht bei allen ankommt – klar. Aber wir werden eh nicht die nächste Volkspartei, also keine Sorge!
 
Denkt ihr jetzt manchmal drüber nach, wie ihr auf der Straße wirkt? Wenn man am Sonntagmorgen verkatert in der S-Bahn sitzt, will man ja eher ungern potenzielle Wähler treffen.
Bela Bach: Darauf sollte man immer gefasst sein, klar. Und natürlich gibt es Momente, in denen man lieber unerkannt bleiben würde. Aber es hat auch was Positives. Denn es zeigt ja auch, dass man sich unter den Leuten bewegt, die einen potenziell wählen wollen.
Wolfgang Stefinger: Man muss sich daran gewöhnen. Man hat die Entscheidung zu diesem Schritt getroffen. Dass man damit auch einen gewissen Bereich der Privatsphäre abgibt, muss man in Kauf nehmen.
Alexander Bock: Man passt schon auf und lässt sich nicht komplett gehen.
Bela Bach: Ich merke das beim Falschparken. Ich habe früher nie so drauf geachtet, wo ich mein Auto abstelle, und habe die Fehler gemacht, die man halt so macht. Der Süddeutschen ist das mal nach einer Veranstaltung aufgefallen und dann hat es Erwähnung in der Berichterstattung gefunden. Das war natürlich nicht nur positiv, aber seitdem passe ich auf. Und klar, die Freizeit hat sich verändert. Ich hatte die vergangenen Monate einfach keine Zeit zum Weggehen und deshalb stellten sich auch nicht die Fragen „Wie viel trinke ich?“ und „Wie komme ich heim?“.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Bela studiert Jura, Alex promoviert gerade in Plasmaphysik und Wolfgang hat bereits seinen Doktortitel in BWL. Wie reagieren die Leute an der Uni auf euer Engagement?
Wolfgang Stefinger: Ich war schon während meiner Zeit an der Hochschule Vorsitzender der JU in München und habe eigentlich nie negative Reaktionen bekommen. Ich finde es witzig, dass einzelne Studenten aus meinen Tutorien oder Übungsstunden sich auf einmal per Facebook melden und dann schreiben: „Herr Stefinger, ich hab sie bei mir auf dem Plakat gesehen“.
Bela Bach: Bei mir ist das ähnlich. Wir sitzen mit 300 Leuten in der Vorlesung und auf einmal schreiben mir Leute auf Facebook: „Kennst du mich? Wahrscheinlich nicht, aber ich habe dich auf dem Plakat gesehen.“ Das ist schon ganz cool.
Alexander Bock: Ich war auch während des gesamten Studiums politisch aktiv, nur habe ich es niemandem erzählt, weil ich meine Ruhe wollte. Dann musste ich irgendwann meinem Prof sagen, dass ich für den Bundestag nominiert bin. Das war ganz lustig, weil der natürlich erst dachte: „Schon wieder so ein Doktorand, der wegen irgendeiner Banalität einen Termin machen musste“. Ich kam da also hin, er rührte in seinem Kaffee und sagte „Was ist denn?“. Dann hab ich’s erzählt, er hat seinen Kaffee weggestellt und meinte „Aha, das hab ich ja noch nie gehört.“ Und dann war er neugierig. Er hat gefragt, ob er das rumerzählen darf. Von da an habe ich in der Kantine gemerkt, wie die Blicke mir folgen. Das war schon eigenartig.
 
Gibt es Lebensbereiche, die ihr jetzt kennenlernt und die vorher nicht in eurem Blickfeld waren?
Bela Bach: Durch die Hausbesuche bin ich jetzt schon in Vierteln gewesen, die sozial eher schwierig sind. Dort habe ich viele Nichtwählerinnen und Nichtwähler getroffen. Das war sicherlich eine prägende Erfahrung, wie jemand argumentiert und tickt, der nicht zur Wahl geht. In meinem Umfeld wählen alle. Aber da habe ich mit einer Frau gesprochen, die 36 und alleinerziehend war und meinte, sie würde jetzt zum ersten Mal zur Wahl gehen. Da sieht man schon Lebensrealitäten, die sich von der eigenen unterscheiden.
Alexander Bock: Rentenpolitik wurde für mich erst ein Thema, als sich die AG 60 Plus bei uns gegründet hat. Und das mit den Nichtwählern merke ich auch. Wenn man jemanden auf der Straße anspricht und der sagt dann „Ich wähle eh nicht“, dann irritiert mich das. Klar, wir sind ja auch das komplette Gegenteil. Wir machen nicht nur Kreuze am Wahlsonntag, sondern engagieren uns politisch.
 
Ist es manchmal schwer, sich mit seinem Parteibuch zu identifizieren? Gerade wenn jemand an der Parteispitze etwas verbockt?
Bela Bach: Das kennen wir in der SPD (lachen). Man muss natürlich dazu Stellung nehmen, was unser Kanzlerkandidat sagt, macht, oder zeigt.
Den Mittelfinger im SZ-Magazin zum Beispiel.
Bela Bach: Auch den, ja. Aber da muss man auch ehrlich sein. Ich habe dann auch keine Hemmungen zu sagen, was ich richtig finde und was ich nicht so teile. Natürlich kann man beim 50. Mal denken: „Wieso muss ich mich jetzt damit herumschlagen?“. Aber das gehört dazu.
 
Diese Woche ist der Endspurt des Bundestagswahlkampfs. Was macht ihr noch bis Sonntag?
Bela Bach: Ich mache ganz viele Hausbesuche und habe noch ein paar Interviews. Jetzt geht’s um die Wurst, die letzten Wähler müssen noch überzeugt werden.
Wolfgang Stefinger: Ich war bis heute früh um fünf zur Umplakatierung unterwegs, danach geht dann der Straßenwahlkampf weiter. Aber ich freue mich auch darauf, Sonntagmittag mal wieder mit meiner Familie zu essen.
Alexander Bock: Ich habe auch noch Interviews, Donnerstag bin ich in Berlin für eine Pressekonferenz. Ansonsten gibt es Infoveranstaltungen, Hausbesuche sind hingegen eher nicht so unser Ding.
 
Warum nicht?
Alexander Bock: Wir haben bei uns in der Partei rumgefragt, wie wir Hausbesuche fänden. Alle haben gesagt: „Nee, ich will nicht, dass irgendwelche Leute an meiner Tür klingeln und mir Sachen verkaufen“. Also machen wir das auch nicht.
Wolfgang Stefinger: Wie läuft das denn bei euch in der SPD? Wir machen keine Hausbesuche, weil bei uns die Rückmeldungen ähnlich waren.
Bela Bach: Ich selbst würde auch nicht im Schlafanzug von Politikern angesprochen werden wollen. Aber es kommt echt gut an.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Inwiefern hat die Kandidatur euch persönlich verändert?
Alexander Bock: Man ist irgendwie entspannter. Bei Dingen, bei denen ich mich früher aufgeregt habe, denke ich heute: „Ja mei. Er hat mir jetzt den Tod an den Hals gewünscht. Aber passiert halt“.
Bela Bach: Also der Tod wurde mir auch noch nicht gewünscht. Aber ich rege mich weniger über Sachen auf.
Wolfgang Stefinger: Anfangs hat es mich geärgert, wenn Plakate beschmiert wurden. Da habe ich gedacht: „Ey Leute, ich muss das alles selber bezahlen!“. Inzwischen nehme ich das aber nicht mehr persönlich.
 
Wenn ihr in den Bundestag kämet, was wären die ersten drei Themen, die ihr bearbeiten wollt?
Wolfgang Stefinger: Die Stärkung Münchens als Wirtschafts- und Forschungsstandort. Außerdem das Thema Mieten und Wohnungen. Das ist ja ein Riesenproblem in München, insbesondere viele Studenten finden kein Zimmer und wenn, dann ist es viel zu teuer. Und als Drittes das Thema „Familie und Kinderbetreuung“, wobei dazu für mich auch Rentenpolitik gehört. Es gibt noch viel zu tun.
Bela Bach: Zum einen ganz klar der Mindestlohn. Jeder muss von seiner Arbeit leben können, ohne sich noch Hartz IV abholen zu müssen. Das ist für mich auch eine Frage der Menschenwürde. Dann muss es gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben, Frauen verdienen immer noch 23 Prozent weniger. Das ist nicht tragbar. Und als drittes setze ich mich für das elternunabhängige Bafög ein.
Alexander Bock: Bei Mindestlohn und Bafög stimmen wir mit. Als erstes würde ich gerne mit den Piraten, Grünen und Linken genug Stimmen für einen NSA-Untersuchungsausschuss zusammenkriegen. Dann könnten wir am Urheberrecht drehen. Die Störerhaftung bei Wlan-Netzen aufheben. Oder wir zwingen unsere Regierungschefs, mehr preiszugeben, was bei den europäischen Gipfeln eigentlich passiert.
 
Ihr kommt alle aus dem Münchner Umland. Habt ihr eigentlich wirklich Lust auf Berlin?
Wolfgang Stefinger: Na klar. Das war bei mir sogar eine Überlegung für den Wahlkampfslogan: „Für München gehe ich sogar nach Berlin“. Aber daheim bin und bleibe ich in München.
Alexander Bock: Auf den Social-Media-Kanälen hättet ihr den ja nehmen können!
Bela Bach: Klar will ich nach Berlin. Aber es ist auch schade, weil ich hier im Landkreis München ja zu Hause bin. Aber der Wahlkreis profitiert ja auch davon, wenn ich da hingehe.
Alexander Bock: In München ist es schöner. Aber der Bundestag ist nun mal in Berlin. Da nimmt man einiges für in Kauf.



Text: charlotte-haunhorst - und hakan-tanriverdi; Foto: juri-gottschall

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