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Abi oder FC Bayern? Fußballtalent Mats Hummels muss sich entscheiden

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Wie oft hast du schon die Schule geschwänzt, um ins Training zu gehen? Bisher einmal vormittags, als ich nur eine Stunde hatte. Und nachmittags vielleicht so alle zwei Wochen einmal. Nein, das ist zuviel. Alle drei, vier Wochen einmal. Du bist ja noch nicht in der heißen Phase vor dem Abi. Puh, ich finde es jetzt schon heiß. Aber ich bin noch nicht im Prüfungsstress. Und wie läuft es in der Schule? Das erste Halbjahr war, na ja, durchwachsen. Also 15 Punkte in Sport . . . . . . nein, nein. Sport war auch nicht gut. Ich habe auf die Klausuren nicht gelernt und hatte deswegen sechs und null Punkte. Bei den null Punkten, da waren wir auf einem Turnier: Wir haben in der ersten Stunde Sport geschrieben und in der zweiten wurde ich schon abgeholt. Da war ich einfach nicht motiviert. Aber in der Praxis stehe ich schon gut da.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der böse Gegner heißt Bio, Schüler und Fußballtalent Mats Hummels Wie sieht es in den anderen Fächern aus? Eigentlich müsste ich das Abi schaffen. Das Einzige, was mir Probleme bereitet, sind die Naturwissenschaften, Mathe, Bio, Physik. Naturwissenschaften sind mein Feind. Welchen Schnitt willst du schaffen? Ich hatte mir mal das Ziel gesetzt, eine Zwei vorne zu haben. Aber mittlerweile habe ich das Ziel, das Abi zu kriegen. Du spielst für den FC Bayern in der Regionalliga, sozusagen die zweite Garde des Vereins. Dein Trainer hat kürzlich die Befürchtung geäußert, dass durch die Schule und das Abi nächstes Jahr deine fußballerische Entwicklung langsamer verlaufen könnte. Teilst du diese Sorge? Ja, ich denke, dass ich mich ein bisschen langsamer entwickeln werde. Vergangenes Jahr, in den Sommerferien, als ich fast zwei Monate schulfrei hatte, da ging es richtig steil bergauf im Fußball. Es gab Berichte um einen Abi-Streit: Hummels muss sich entscheiden - Abi oder Profi! Ich denke, es ist beides machbar. Wirklich? Ich spiele seit zwölf Jahren beim FC Bayern, seit der F-Jugend. Es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich ein Talent für Fußball habe: Erst in der B-Jugend habe ich erkannt, dass ich den anderen teilweise voraus bin. Dass es aber auch reichen könnte für ganz oben, das dachte ich das erste Mal vergangenen Juni. Als ich bei den Amateuren war und dann aus dem Nichts bei der ersten Mannschaft im Ligapokal gegen Schalke 04 mitspielen durfte - obwohl ich vorher noch keine Trainingseinheiten mitmachen durfte. Davor war die Bundesliga ein Traum. Dann habe ich gemerkt, ich kann es wirklich schaffen. Damals warst du aber noch nicht in der Kollegstufe. Wann hast du gemerkt, dass es schwierig werden könnte mit Schule und Fußball? Im Oktober, als die wieder richtig anfing. Im September passiert ja noch nicht so viel: Man hat zwei Wochen Schule und geht sonst nur auf die Wiesn. Aber dann habe ich gemerkt, dass es Schwierigkeiten geben könnte. Schule und Fußball, das ist eine Doppelbelastung. Auf der nächsten Seite erzählt Mats, wie er mit dieser Doppelbelastung umgeht und was ihm das Abi am Ende bringt. Eigentlich nichts.


Wie oft gehst du ins Training? Die Mannschaft trainiert sieben, acht Mal in der Woche. Ich trainiere nur nachmittags, also fünf Mal in der Woche. Erst Schule, dann Training - und danach geht es nach Hause, Lernen und Hausaufgaben machen? Da bin ich launisch. Manchmal komme ich heim und mache sechs Stunden gar nichts. Manchmal denke ich, jetzt bringe ich das Ganze halt hinter mich. Wie beeinflusst das Fußballerleben das Schulleben? Das kommt oft darauf an, wie es im Training läuft. Wenn ich gut trainiert habe, bin ich voller Tatendrang und denke: Jetzt bin ich gut drauf und mache für die Schule auch gleich alles. Aber wenn ich vielleicht eine schlechtere Leistung abgeliefert habe, dann erhole ich mich erst noch einmal eine Stunde. Was hat mehr Auswirkungen: Die Schule auf den Fußball oder der Fußball auf die Schule? Fußball auf die Schule. Beim Fußball bin ich einfach ein bisschen mehr mit dem Herz dabei. Warum willst du dann überhaupt noch Abi machen? Na ja, ein Risiko ist immer dabei: Ich habe noch nichts erreicht. Es kann immer passieren, dass ich mich verletzte, dass ich dann nicht mehr Sport machen kann. Und wenn ich dann nicht mehr auf die Beine komme, ist das Abitur in der Hinterhand eine gute Voraussetzung, dass ich auch ohne Fußball auf einen guten Zweig komme. So rational denkst du über deine Träume? So nach dem Motto: Ich kann in der Bundesliga spielen, ist aber risikoreich, also mache ich lieber mal mein Abi? Es ist ja nicht so, dass Schule überhaupt keinen Spaß macht. Schlimm sind nur die Schulaufgaben. Ich versuche, das relativ rational zu sehen und es mir einfach klar durch den Kopf gehen lassen. Wie macht man so was? Die erste Phase des Überlegens war im Dezember. Ich hatte gut gespielt, da habe ich darüber nachgedacht, die Schule abzubrechen. Irgendwann habe ich dann abgewogen, wie es wäre, wenn es im Fußball nicht reicht und was ich dann machen kann - und habe mir gedacht, dass ich auf jeden Fall die zwölfte Klasse weiter mache und auch die 13. Wie läuft so eine Entscheidung genau ab? Ich habe fast zwei Wochen lang den ganzen Tag darüber nachgedacht. In der Schule war ich zwei Wochen geistig abwesend, weil ich nicht wusste, ob ich nach den Winterferien wiederkomme oder nicht. Klingt nach schlaflosen Nächten. Es war belastend, ja. Da hat auch die Konzentration beim Fußball gefehlt, im Training und bei ein, zwei Spielen. Was war das für eine Entscheidung - eine, die langsam gereift ist oder kam sie plötzlich, zum Beispiel beim Aufwachen? Sie ist gereift. Nachdem ich eine Zeit lang nachgedacht habe, habe ich gesagt, jetzt mach ich's, jetzt bin ich sicher. Nicht einfach so, weil ich keine Lust mehr hatte, darüber nachzudenken, sondern weil ich überzeugt war, dass ich wirklich Abi machen will. Ich habe mir gedacht: Befreie ich mich von der Last und mach' es einfach gescheit weiter. Hast du auch mit anderen Leuten über die Entscheidung gesprochen? Ja, mit ein paar aus der Mannschaft. Dann noch mit ein paar Freunden. Was haben die dir geraten? Manche haben schon gesagt, das Abi hat keinen Sinn, du kannst ja eh nur Fußball und damit kannst du dein Geld verdienen. Aber die Mehrheit hat gesagt, dass ich die Schule weitermachen soll. Wie wichtig waren für dich diese Meinungen von Außen? Ich brauche manchmal einfach ein paar Leute, die ich fragen kann. Am besten solche, die es selber durchgemacht haben. In der Mannschaft haben einige auch Abi gemacht. Mit denen habe ich geredet. Alle waren dafür, dass ich mit der Schule weitermache. Was rätst du jemandem, der vor einer ähnlichen Situation steht? Zum Beispiel jemand, der kurz vor dem Abi steht, aber so gut singen kann, dass ihm seine Plattenfirma einen Vertrag anbietet. Dass er auf jeden Fall mit der Schule weitermachen soll. Gerade beim Beispiel Singen ist es doch so, dass man ein halbes Jahr dabei ist und danach nichts mehr zu sagen hat. Das ist auch in anderen Bereichen so. Man wird ein - in Anführungsstrichen - Star und bekannt, ist dann aber ganz schnell wieder raus aus dem Rampenlicht. Da ist das Risiko zu hoch. Da hat man ein schönes halbes Jahr, von mir aus auch zwei, drei - und danach steht man ohne Abschluss da. Du klingst wie mein Vater. Ich merke gerade, dass ich da ein bisschen konservativ bin. Was, glaubst du, wirst du in fünf Jahren über deine Entscheidung denken? Ich hoffe, ich denke mir, dass es richtig war, beides zu machen. Weil es im Fußball gereicht hat. Und ich trotzdem ein 2,9-Abi geschafft habe. Was bringt einem Fußball-Profi das Abi? Außer dass es im Steckbrief gut aussieht, bringt es mir nichts mehr. Auch bei einem Schnitt von 3,8? Der Schnitt steht im Spieler-Steckbrief dann ja nicht dabei. Wenn es eine 1,8 wird, lass ich es aber dazuschreiben. Du stehst auch vor einer wichtigen Entscheidung? Erzähl davon im Label Entschieden, dort kannst du Geschichte von Menschen lesen, die sich entschieden haben.

Text: roland-schulz - und BENEDIKT-WARMBRUNN; Foto: DAVID-FREUDENTHAL

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