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"Alle denken, dass sie recht haben"

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Es begann mit Tagebucheinträgen: Der Grafikdesigner und Typograf Stefan Sagmeister notierte Sätze, die er glaubte, gelernt zu haben. Später inszenierte er diese Sätze in der Öffentlichkeit und machte ein Buch daraus, das nun unter dem Titel „Things I have learned in my Life so far“ erschienen ist (Hermann Schmidt Verlag Mainz). Und auf der Homepage thingsihavelearnedinmylife.com kann seit kurzem jeder notieren, was er gelernt hat. Sagmeister, 45, stammt aus Bregenz in Österreich und unterhält in New York ein Design-Studio. Er gestaltete unter anderem Plattencover für die Rolling Stones und gilt als einer der bedeutendsten Grafikdesigner. Mit jetzt.de sprach er über den Erfolg seiner Idee und die Reaktionen, die sie auslöste. jetzt.de: Herr Sagmeister, welcher ihrer Sätze ist Ihnen am wichtigsten? Stefan Sagmeister: Having guts always works out for me. Wenn ich mutig bin, zahlt es sich aus. jetzt.de: Wann haben Sie das gelernt? Sagmeister: Ich war noch Student in Wien, bin mit der U-Bahn nach Hause gefahren und ich sah eine wunderschöne alte Frau. Ich hatte das Bedürfnis, ihr zu sagen, wie aufgezeichnet sie aussieht. Erst hatte ich nicht den Mut, weil das in Wien eigentlich nicht gemacht wird. Als sie ausgestiegen ist, bin ich ihr im letzten Moment nachgesprungen und hab ihr gesagt, wie ausgezeichnet sie ausschaut. Es war offensichtlich, welche Freude sie daran hatte und welche Freude ich daran hatte. Und ich dachte, das werde ich jetzt immer so machen – hab’s aber natürlich nicht immer gemacht. jetzt.de: Soll heißen? Sagmeister: Ich habe gelernt, dass ich relativ weit über meine Angstschwelle hinaus gehen kann, ohne verletzt zu werden. Dieses Hinausgehen macht das Leben viel reicher. jetzt.de: Geht es anderen Menschen mit dem Satz auch so? Sagmeister: Scheinbar. Vergangene Woche habe ich eine Mail aus Guatemala bekommen. Ein junger Mann hat geschrieben, dass der Satz ihm aus seiner sechs Monate dauernden Depression geholfen hat. jetzt.de: Irgendwie haben Sie mit der Idee einen Nerv getroffen – ihr Buch ist gerade das bestverkaufte Design- und Kunstbuch in den USA. Sagmeister: Ich würde sagen: Es funktioniert. Ich bin eh ein kleiner Listenmacher und habe in meinem Tagebuch eine Liste gemacht, in der ich notiert habe, was ich eigentlich weiß? Vor sechs Jahren habe ich von einem österreichischen Magazin die Aufgabe bekommen, die sechs Anfangsseiten der verschiedenen Teile zu gestalten. Aus der Not – der Designer kann nicht so oft machen, was er will – nahm ich einen der Sätze, die ich gelernt habe. Die erste Weisheit war Everything I do always comes back to me. Das hat damals schon, zu meiner Überraschung, einigen Widerhall gefunden. Wir hatten einige Briefe bekommen, ob wir nicht einen Druck schicken könnten, es gab sogar einen Mönch aus den koreanischen Bergen, der angefragt hat, ob er die Dinger als Lernhilfe für seine buddhistischen Schüler verwenden kann? jetzt.de: Die klaren Aussagen Ihrer Serie erinnern entfernt an die Zehn Gebote. Sagmeister: Ich fühl’ mich nicht gerade wie der Moses, ich möchte die Sätze nicht als Regeln für andere Leute herausgeben. Aber viele finden sich dort wider. jetzt.de: Wenn Sie Weisheiten wie Trying to look good limits my life inszenieren – ist das Kunst? Sagmeister: Das sind klassische Designarbeiten, die sich deshalb von der klassischen Kunst unterscheiden. jetzt.de: Wie? Sagmeister: Die angenehmste Definition kommt von Donald Judd, einem amerikanischen minimalistischen Künstler. Er sagt: Design has to work, art does not. Diese Dinge mussten arbeiten. Unser Auftrag war zum Beispiel, Aufmerksamkeit für das Sechs-Städte-Festival in Schottland zu generieren. Wir haben aufblasbare Affen gestaltet, zehn Meter hoch, die die Worte des Satzes Everybody (always) thinks they are right präsentierten. Wir waren dann auf den Titelseiten von Tagszeitungen, waren die Leadstory bei "BBC" und haben es sogar in die „Sun“ geschafft.

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jetzt.de: Sie sind Grafikdesigner und Typograf, sie haben Werbung gemacht und Plattencover gestaltet. Welches Ziel verfolgen Sie mit den gelernten Dingen? Sagmeister: Das Ganze ist ein Versuch, ob ich in der Sprache, die ich beherrsche, etwas sagen kann! Ob ich mit Design und Typografie mehr kann, als nur verkaufen. Ich habe vor den Leuten den größten Respekt, die etwas zustande bringen, das vor einem großen Publikum funktioniert. Meine Heroes sind zum Beispiel Matt Groening mit den Simpsons. Oder der Eiffel mit dem Eiffelturm. jetzt.de: Gerade touren Sie durch die USA, im Mai kommen Sie auch nach Deutschland und reden in Vorträgen über das Projekt. Was erzählen Sie? Sagmeister: Ich erzähle, wie ich diese Dinge gelernt habe und erzähle die eine oder andere Geschichte, die beim Umsetzen der Bilder entstanden ist. jetzt.de: Erzählen Sie eine Geschichte. Sagmeister: Die Sache in New York vielleicht. Over time I get used to anything and start taking it for granted. Die Idee zur Umsetzung war, dass wir als Studio zwar schon 15 Jahre in der Stadt sind, die Stadt New York aber nie in ihrer Gänze wahrnehmen. Die Idee zur Typografie war, dass jedes Wort aus einer Aktion entsteht, die wir noch nie gemacht haben. „Over“ war, dass ich auf dem Fenstersims außen am Empire State Building sitze mit einem Schild, das „Over“ heißt. Als ich da saß auf dem Empire State Building mit dem Schild in der Hand gab es unten auf der 34. Straße einen Aufmarsch. Da kam die Feuerwehr und die Sanitäter und die Polizei - die haben die Straße abgesperrt. Ich habe mir immer gedacht: 'Super, was sich da alles abspielt!' Nicht für eine Sekunde wäre mir eingefallen, dass das geschieht, weil ich auf dem Fenstersims sitze! Mit einem Schild, das "Over" heißt. Da gab es natürlich danach ein dementsprechendes Nachspiel. jetzt.de: Eine Sache muss ich noch fragen: Es werden immer weniger CDs und also auch CD-Covers gekauft; außerdem lesen immer mehr Menschen im Internet die Zeitung. Wie verändert beides ihre Arbeit? Sagmeister: Ganz grundsätzlich natürlich. Wir sind aus dem Musikgeschäft glücklicherweise schon lange heraus. jetzt.de: Glücklicherweise? Sagmeister: Seit fünf Jahren ist es fast unmöglich im Musikgeschäft zu arbeiten. Weil es schwer ist, in einer Industrie etwas neues zu machen, in der die Angst dominiert. Was das Internet betrifft, beeinflusst es die Arbeit grundlegend. Ich habe überhaupt keinen Zweifel: Die gedruckte Zeitung wird sich nicht mehr lange halten. Ich war vor drei Wochen bei der New York Timtes und habe dort meinen Vortrag gehalten. Die haben gesagt, sie haben eine Million Leser der gedruckten Zeitung und 20 Millionen Leser Online. Tatsache ist, dass Werber unglaublich konservativ sind, obwohl sie immer meinen, sie seien so kreativ - der Berufsstand ist der, der sich am langsamsten mit neuen Technologien auseinandersetzt. Darum bezahlen die Werber für die gedruckte Ausgabe immer noch viel mehr als sie es für die Online-Ausgabe tun - die 20 Mal mehr Leser hat. Durch diesen gewissen Konservatismus lässt sich die gedruckte Ausgabe noch länger halten, als sie sich eigentlich halten würde. Ich selber habe die Wochenend-Ausgabe der New York Times abonniert, weil ich nicht so gerne den Laptop mit ins Bett nehme. Aber unter der Woche lese ich die Online-Ausgabe. jetzt.de: Sie bedauern die Entwicklung also nicht? Sagmeister: Ich bin da nicht sehr nostalgisch. Auch bei der Musik nicht. Die Visualisierung der Musik war eine historische Etappe. Vor 1940 gab es sie auch nicht, Plattencovers gab es ja nur, weil Vinyl verkratzbar war. Also brauchte man eine Hülle und Jemandem ist eingefallen, na ja, da könnte man auch noch Bildchen drauf drucken! CDs waren dann auch verkratzbar, nur Files sind nicht verkratzbar. Jetzt haben aber die Plattenfirmen trotzdem noch ein Interesse, die Musik mit einem Bild zu verbinden, jedoch glaube ich nicht, dass diese Play-Listen die Zukunft der Musikindustrie sein werden. Das beste Modell, das ich gesehen habe, ist eine vereinfachte Version des Musikvideos: Dass bei jedem einzelnen Song eine Visualisierung dabei ist, die aber bei weitem nicht so teuer in der Herstellung ist, wie es bei den Musikvideos der 80er Jahre war, die teilweise Millionen gekostet haben. Sondern eher etwas das von einem einzelnen Designer für ein Budget von 5.000 Dollar machbar ist. Das könnte ich mir vorstellen. Sagen wir, von 1970 bis zum Jahre 2000 gab es die Sparte der Visualisierung der Musik, die ein interessanter Nährboden für Kreativität war, von dem viele andere Kunstarten beeinflusst wurden - das Grafikdesign, die zeitgenössische Kunst, Keith Haring. Plattencover waren in der Zeit eine kulturelle Kraft. Aber in der Form ist diese Zeit wahrscheinlich vorbei. ***

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Things I have learned in my life so far. Dinge, die ich bisher im Leben gelernt habe erschien eben im Hermann Schmidt Verlag Mainz und kostet 39,80 Euro. Im Mai kommt Stefan Sagmeister mit seinem Vortrag zum Buch nach Deutschland. Hier die Termine, wie sie Sagmeister während des jetzt.de-Interviews aus seinem Terminkalender gelesen hat: 26. Mai, Stuttgart, Staatliche Akademie der Bildenden Künste 29. Mai, Berlin, Typo Berlin 31. Mai, Weimar, Bauhaus Universität 2. Juni, München, Kulturzentrum Gasteig 4. Juni, Düsseldorf

Text: peter-wagner - Fotos: Sagmeister Inc.

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