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Auftanken in Lloret de Mar

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Ein Flugzeug steigt lautlos in den blauen Himmel über Terminal 1B, Frankfurt Airport, Tony und Tobi blicken ihm nach. Sie stehen mit nacktem Oberkörper auf dem heißen Asphalt am Treffpunkt vor dem Terminal und nippen Bier. Der Reiseleiter drängt zum Aufbruch, Freitag, 16 Uhr, Tony und Tobi leeren die Flaschen, rülpsen, steigen in den stickigen Bus und setzen sich in die vorletzte Reihe. Vor ihnen liegen 18 Stunden Fahrt. An der Scheibe neben Tonys Sitz klebt ein Plakat: „Party, Party, Party! Lloret de Mar – 10 Tage für 197 Euro“. Bier und Cocktails, all-inclusive Urlaub im Ausland, so billig wie möglich – das ist das Konzept von Rainbow Tours, dem nach eigener Aussage günstigsten Reiseanbieter Deutschlands. Ein Wochenende Paris: 39 Euro. London: 49 Euro. Die meisten Gäste aber wollen an den Strand, ins Mekka der Partyurlauber: nach Lloret de Mar. Es ist das beliebteste Reiseziel bei Rainbow Tours, 15 000 Gäste pro Jahr, in der Hauptsaison fahren 20 Busse pro Woche. „Wir haben drei Typen Lloret-Urlauber“, sagt der Reiseleiter. „Die einen wollen nur feiern, die anderen wollen ihre Ruhe – die dritte Gruppe pendelt zwischen beiden Extremen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tony, Tobi und ihr Freund Willi, alle 20, gehören zur ersten Sorte. Sie kommen aus Brandenburg und haben Urlaub, endlich. Tony ist Verfahrensmechaniker, Tobi studiert Maschinenbau, Willi ist Tischler-Lehrling. Seit gestern Abend sind die drei unterwegs, seitdem trinken sie. Hinten im Bus klirren Bierflaschen, vorne erklärt Ina, 19, was das Schöne am Urlaub mit Rainbow Tours ist: Man ist für wenig Geld mit jungen Leuten unterwegs, muss sich nicht nach den Betreuern richten. Und doch gibt es da jemanden, der alles ein bisschen organisiert. Als der Bus am Samstagmorgen an der Hauptstraße von Lloret de Mar bremst, hat es gerade aufgehört zu regnen. Ungeduldige Vorfreude im Bus, Ina und ihre Freundin Cindy, 18, schauen nach draußen. Im grauen Tageslicht sieht man eine Disco neben der nächsten. Dann öffnet sich die Vordertür. Ein muskulöser Mann springt die Stufen hoch in den Passagierraum. Er ist braungebrannt, trägt einen blonden Pferdeschwanz und ein Headset. Francis ist der Lloret-Koordinator des Reiseveranstalters. Er begrüßt die Gäste enthusiastisch, wie ein Moderator auf der Kirmes. Ina muss lachen und vergräbt den Kopf in Cindys Schoß. Als Francis wieder aus dem Bus springt, sieht man, was auf dem Rücken seines T-Shirts steht: „Zirkusdirektor“. Am Pool des Hotels brennt die Sonne auf helle Bodenfliesen. Drei Mädchen sonnen sich am Beckenrand. Eins von ihnen lächelt den Jungen an, der gerade in Jeans durchs Wasser watet. Aus den Boxen an der Hauswand schallt der Schlager „Himbeereis zum Frühstück“, es riecht nach Chlor und Bratfett. Die Zeit scheint still zu stehen hier am Pool. Tony, Tobi und Willi sitzen mit Plastikbechern im Schatten. Seit 16 Uhr gibt es Bier und Cocktails, all-inclusive, und die drei haben alles schon getestet. Tony nimmt einen Schluck Wodka Lemon, den kann er empfehlen. Willi sieht sich um. 58 Kondome hat er nach Lloret mitgenommen, und langsam muss er sich ranhalten, es ist ja schon kurz nach acht. Er zwinkert Tony zu: Drüben am Nachbartisch, die vier Mädchen, die sind ziemlich scharf. Fünf Minuten später sitzen Willi und Tony bei ihnen am Tisch. Tobi ist sitzen geblieben, er schläft und rutscht im Stuhl nach unten. Plötzlich öffnet er die Augen und steht auf, wankt und hält sich am Sonnenschirm fest, der polternd zu Boden kracht. Alle Köpfe drehen sich. Langsam taumelt er in Richtung Toilette. Willi springt lachend auf und eilt ihm zur Hilfe. Tobi rempelt frontal an einen Baum, murmelt einen Fluch, stützt sich bei Willi auf und erreicht die Herrentoilette. Dann übergibt er sich. Auf den Boden, an die Wand, ins Pissoir.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

21 Uhr, es ist windig geworden. Über dem Pool ziehen Schwalben enge Kreise, die Boxen an der Hauswand pumpen Techno in den menschenleeren Hof. Alle Gäste stehen im Foyer, gleich geht es zur Welcome Party. Die Barkeeper im „Magic Parc“ füllen noch Strohhalme nach, als die Rolltreppe die ersten Rainbow-Gäste in den Club spuckt. Auch Ina und Cindy sind da, sie wohnen in einem Hotel außerhalb, was allerdings ganz gut ist, sagt Ina, weil alles ein bisschen gesitteter zugehe. Hinter ihr stolpern fünf angetrunkene Schwaben in den Club, ein Abi-Jahrgang aus Stuttgart ist mit 62 Leuten im Rainbow-Urlaub. Ina und Cindy holen sich an der Bar einen Drink, den ersten des Tages. Der Zirkusdirektor steht auf dem mannshohen DJ-Podest wie ein Priester in der Kanzel. Er brüllt ins Mikrofon, und seine Stimme dröhnt von allen Seiten. „Heute Nacht wird’s richtig voll!“ Wilder Jubel, dann setzt er nach: „Wir übrigens auch!“ Dann reißt Francis einen Arm hoch und brüllt „Party, Paarty, Paaarty!“ Die Tanzfläche bebt, lachende Zahnreihen leuchten im Schwarzlicht. Auch auf der Nächsten Seite: Party, Paarty, Paaarty! - was sonst


Sonntag, 14 Uhr. Der Strand von Lloret de Mar ist ein gewöhnlicher überfüllter Strand: Es gibt Kinder und Sandburgen und Rentner, aber vielleicht gibt es hier mehr schlafende Jugendliche. Die meisten tragen Abi-Shirts, die Zahl „07“ ist allgegenwärtig. An der Strandbar gibt es Bier aus meterhohen Glassäulen, hinter einem Verstärker knieen zwei Frauen und erbrechen Sangria in den Sand. Eine Gruppe johlender Deutscher feuert sie an. Für den Urlaub in Lloret de Mar gelten besondere Maßstäbe. Wer nach Lloret fährt, will weder die katalonische Kultur kennenlernen, noch die Landschaft genießen. Lloret-Urlaub ist ein Waschgang, eine zehntägige Pilgerfahrt, die man meist nur ein Mal macht: Trinken, Feiern, Kotzen, und am Ende gibt es wieder ein paar Geschichten mehr, die zu den Legenden der eigenen Jugend werden. Man ist gereinigt von der Sehnsucht nach Exzess, froh, wieder in die Normalität zurückzukehren – und vielleicht erst danach wirklich bereit, den nächsten Lebensabschnitt zu beginnen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zwanzig Meter vor der Strandbar liegt die schwäbische Abi-Klasse auf einem Teppich aus Handtüchern. Leere Bierflaschen stecken umgedreht im Sand, Sebastian hatte schon zwei. Er streckt die Brust raus und blickt durch seine Sonnenbrille über den Strand wie ein Rettungsschwimmer. Gestern Abend hatte er was mit irgendeiner Medizinstudentin. Er hat ihr seine Zimmernummer auf den Arm gekritzelt, aber leider vergessen, den Namen des Hotels dazu zu schreiben. Ein bisschen mies fühlt sich Sebastian jetzt aber doch. Wo doch am Dienstag seine Freundin nach Lloret nachkommt. Ein Mädchen aus seiner Klasse blickt von ihrem Handtuch auf und sagt: „Dann hasch’ ja noch zwei Abende!“ Llorett muss wehtun Er grinst, und, hey, apropos: Die Schwedin da drüben! Gerade hat sie ihr Bikini-Oberteil ausgezogen, jetzt liegt sie auf dem Bauch und hört Walkman, und irgendwie muss es doch möglich sein, ihre Brüste zu sehen. Sebastian schleicht von hinten an ihr Handtuch. Dann schlägt er ihr mit der flachen Hand auf den Hintern und läuft im Zickzack davon. Die Schwedin streift den Kopfhörer ab und rennt ihm lachend hinterher. Ihre Brüste tanzen. 17 Uhr, im Pool schwimmt Erbrochenes. Ein Kandidat beim Trinkspiel hat sich nicht an Regel Nummer eins gehalten und direkt in den Pool gekotzt statt daneben. Tony, Willi und Tobi sitzen am gleichen Tisch wie gestern, und es wirkt, als seien sie nie aufgestanden. Tony und Willi wollten eigentlich auch ins „Magic Parc“, aber dann sind beide eingeschlafen. „Viel zu grob“ war alles, sagt Willi und prustet nochmal die Geschichte von Tobis Baumkollision hervor. Heute bleiben sie bei Bier. 23 Uhr, „Party, Paarty, Paaarty!“, zuerst im „Moby’s“, dann auf Ansage des DJ’s hin schneller Wechsel, Gläser leeren und ab ins „Tropics“ nebenan – betreutes Feiern. Montag, 10 Uhr, Sebastian gähnt. Vor fünf Stunden war er noch im „Tropics“, mit Mädels lief da gar nichts. Dennoch gehört er heute zur Gruppe der Frühaufsteher, die sich für den Barcelona-Ausflug gemeldet haben: Vierzig Leute, die meisten sind Mädchen, die meisten wirken ausgeschlafen. Ein Animateur kommentiert munter den Ausflug. Hinter der Kurve hat man einen tollen Blick auf den Hafen, sagt er. „Und wer genau hinguckt, sieht dort auch den Riesendildo aus Glas.“ Er meint das futuristisch designte Verwaltungsgebäude der Wasserwerke, die Reisenden lachen und fotografieren. Abends sitzen Tony, Willi und Tobi im Speisesaal und stochern mürrisch im Essen: Pommes, Kroketten und Mayo, den dritten Abend in Folge. Alles andere schmeckt scheiße, sagt Tony, und Tobi schlägt vor, die Pommes auszuwringen, um das viele Fett nochmal zu verwenden. 23 Uhr, von innen sieht das „Tropics“ aus wie ein Tempel. Eine breite Steintreppe führt runter zur Tanzfläche, die von hohen Säulen umgeben ist. Unter der Decke schwebt eine gigantische Discokugel. Tony, Willi und Tobi staunen, dann tanzen sie. Heute ist Schaumparty. Ina und Cindy stehen am Tresen und wirken sehr nüchtern. Als sie gestern vor dem „Tropics“ in der Schlange standen, drehte sich plötzlich ein fremder Junge um und steckte Ina den Finger in den Mund. Später leckte ihr ein anderer über den Arm, woraufhin Cindy ihm eine scheuerte, woraufhin der Junge auch Cindys Arm ableckte. „Ständig wird man begrabscht“, sagt Ina. Cindy hat eigentlich überhaupt keine Lust mehr auf Lloret. Zumindest auf das Nachtleben, sagt sie. Montag, 19 Uhr. Tony, Willi und Tobi sitzen an ihrem Tisch im Schatten und wirken zufrieden. Sie haben sich jetzt an alles gewöhnt, sagt Willi. Tony hat Sonnenbrand auf den Waden. Endlich, sagt er, fühlt er sich willkommen. Lloret muss weh tun. Er nimmt einen großen Schluck Wodka Lemon. „Was sollen wir denn sonst in den Ferien machen?“, fragt Tony und grinst. Dann drückt er seine Zigarette aus, nimmt die drei leeren Becher und geht zur Bar. Es ist kühl geworden im Hof, der Wind weht leisen Techno herüber. Über dem Pool kreisen die Schwalben.

Text: jan-stremmel - Fotos: Jan Stremmel

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