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Bayerns erste Jugendliche: Martina Kobriger ist unsere einzige Lobbyistin.

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Rucksack, kurze Haare, Brille - und vor allem der silberfarbene Nokia Communicator. Das sind die Erkennungsmerkmale von Martina Kobriger. Die Präsidentin des Bayerischen Jugendrings (BJR) ist gerade 40 Jahre alt geworden, aber qua Amt die wichtigste Interessenvertreterin der bayerischen Jugend - und meistens auch die einzige. jetzt.muenchen-Autor Max Haegler begleitete Martina acht Wochen lang, ins JUZ Augsburg ebenso wie in Stoibers Staatskanzlei. Ein Tagebuch. Montag, 26. März. 14:30 Uhr. Bayerische Staatskanzlei, München. Termin mit Staatskanzleichef Eberhard Sinner. Kein guter Start für Martina heute. Auf zwei Uhr hatte die Staatskanzlei das Lobby-Gespräch terminiert, um halb drei steht sie vor den gewaltigen Metalltüren am Franz-Josef-Strauß-Ring - so wie ihr Büro den Termin eingetragen hatte. Dabei ist das Treffen bei Staatskanzleichef Sinner, quasi der rechten Hand von Ministerpräsident Edmund Stoiber, sowieso schon vorbelastet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Sie wollen sicher Geld!", sagt Sinner zur Begrüßung. Er schmunzelt. Dann setzt er sich mit Martina an den Besprechungstisch in seinem Büro. "Ist mein Ruf so schlecht?", erwidert Martina grinsend, während sie stapelweise Unterlagen aus dem Rucksack holt. Wichtigstes Papier: der fünfseitige Ausdruck mit den Gesprächszielen. In der linken Spalte die Themenübersicht, in der mittleren die Argumente und rechts das Anliegen: "Dank und Bitte um Unterstützung" steht da meist. Eberhard Sinner kennt so etwas, er weiß, dass es jetzt anstrengend wird - sein Gegenüber ist gut vorbereitet und wird Forderungen an die Staatsregierung stellen. Da tut ein wenig Ablenkung Not: Mitten im Gespräch geht Sinner an seinen Schreibtisch und holt sein Modellauto, gerade als Martina die Kampagne "Werte machen stark" kritisiert, die Ministerpräsident Stoiber gemeinsam mit dem Rockopa Peter Maffay ins Leben gerufen hat. Das Auto ist aus Plexiglas; Ethanol und Wasser im Inneren bringen ein kleines Rädchen zum Drehen. "Ich habe das bei den Verkehrsministern bekommen", meint Sinner. Wahrscheinlich sind solche Spielereien die notwendige Auflockerung, um Lobbygespräche gut gelaunt über die Bühne zu bringen. Denn in der Tat geht es Martina ums Geld. Sie wünscht sich Steuererleichterungen für ehrenamtliche Jugendleiter. Ein paar Tage später wird ein Gesetz zur Reform der Gemeinnützigkeit den Bundesrat passieren, dort hinein soll auch dieses Anliegen. "Just in Time werde ich also vorstellig", sagt Martina. Aber mehr als die Zusage zu einem Bericht aus der Ratssitzung ist nicht drin. Die Enttäuschung ist spürbar: "In diesem Land werden immer dieselben Gruppen gefördert. Meine ist selten dabei!" Donnerstag, 5. April. 13:00 Uhr. Jugendzentrum, Augsburg. Die Woche vor Ostern ist bei Martina traditionell die Woche ihrer Patenkinder: Entweder nimmt sie gar keine Termine wahr - oder Familienausflüge werden in Berufliches integriert. So wie heute beim Vor-Ort-Termin der Landtagskommission zum Thema jugendliche Migranten. CSU, SPD und Grüne sind dabei - und Martinas Patenkind Charlotte. Eigene Kinder hat Martina nicht: "Das Zeitrisiko BJR-Präsidentin und Familie war mir zu hoch - obwohl ich es anfangs meistern wollte." Nach vier Stunden Diskussion einigen sich Martine und die Politiker darauf, dass bei der Integration junger Migranten ressortübergreifend gedacht werden muss. Eine Floskel. Aber immerhin.


Montag, 16. April. 12:30 Uhr. Lagebesprechung in der BJR-Zentrale, München. Verschnupft ist Martina heute, das Nasenspray hat sie immer griffbereit. Gemeinsam mit der Rechtsreferentin und der Leiterin des Grundsatzreferates sitzt Martina am Besprechungstisch, der Teekessel dampft. "Dringliche Sache" heißt es beim geplanten Nichtrauchergesetz. In der Jugendarbeit soll das Rauchen komplett verboten werden - kontrolliert auch von ehrenamtlichen Betreuern. "Wie soll das denn das gehen", wundert sich Martina. "Wie sollen wir unter solchen Rahmenbedingungen problematische Jugendliche erreichen, die rauchen doch alle?" Mappe um Mappe wird abgearbeitet. Flatrate-Saufen kommt zur Sprache und Platz für die Jugend: Die Bayerische Bauordnung sieht bisher keinen Raum für die Jugend vor, in Artikel 8 ist bislang nur von Kinderspielplätzen die Rede. Skateanlagen, Streetballcourts oder Bolzplätze sind bei Neubaugebieten deswegen nicht vorgeschrieben, wo solche Anlagen entstehen, können sie von Nachbarn einfach weggeklagt werden. "Wir müssen diesen Artikel 8 erweitern, machst Du mir einen Briefentwurf an den Innenminister fertig", bittet Martina ihre Rechtsreferentin. Dann kommt, trotz Schnupfen, die Entspannungszigarette zum Besprechungsende. Dienstag, 17. April. 13:30 Uhr. Bayerischer Städtetag, München. Nach hinten raus ist Hans Schaidinger heute nicht flexibel. Eine Stunde hat Martina, um ihre Anliegen vorzutragen, gleich danach reist der Regensburger Oberbürgermeister und Präsident des Bayerischen Städtetags nach Rom, zum Papst-Geburtstag. Jetzt sitzt er noch auf der Ledergarnitur im Besprechungsraum und futtert den bereitgestellten Teller mit Naschwaren leer, währenddessen erklärt Martina ihr Hauptanliegen - mal wieder der Lärm. "Darf ich kurz skizzieren", sagt Martina und legt Schaidinger - wieder mit Blick auf eine sorgfältig vorbereitete Gesprächsvorlage - die Rechtslage dar. Zwei Zuständigkeiten gebe es, oder besser gesagt: Chaos. Für "anlagenbezogenen" Krach ist der Bund zuständig, für "verhaltensbezogenen" Lärm das Land. Bolz- und Streetballplätze, Skaterbahnen und Abenteuerspielplätze werden als Sportanlagen eingestuft und müssen damit Pflichtabstand halten zur restlichen Bebauung. Das ist kaum machbar in dicht bebauten Gegenden - in allen größeren bayerischen Städten droht deshalb die Schließung. "Ich verstehe zwar den Wunsch nach Ruhe seitens Anwohner", sagt Martina, "aber es kann nicht sein, dass es Angebote für Kinder bis Zwölf gibt - und dann sollen sie ohne Verzögerung und eigenen Raum zu Steuerzahlern werden." Ihr Plan: Bayern soll in die diffuse Gesetzeslage eingreifen und mit einem Ländergesetz den Lärm festlegen, zu Gunsten der Jugend. "Sind sie auf unserer Seite?", fragt Martina. "Das ist ein Problem, das es wert ist, angegangen zu werden", antwortet Schaidinger. Seine Referenten schreiben eifrig mit. Es ist eine politische Antwort. Aber doch ein Ja. Donnerstag, 26. April. 13:00 Uhr. Bayerischer Landtag, München. Es ist die klassische bayerische Weisheit. "15 Gramm Alkohol pro Tag bei Frauen und 30 Gramm bei Männern ist ganz normal und überhaupt nicht unter Sucht einzuordnen", hat der Vertreter des bayerischen Umweltministeriums gerade erklärt. Erleichterung ist zu sehen bei den zwei Dutzend Politikern und Experten, die im Bayerischen Landtag zusammen sitzen, um als "Enquete Komission Jungsein in Bayern" über die bayerische Jugend im Allgemeinen zu Reden - und heute über ihre Gesundheit im Speziellen. Das große Thema: Flatrate-Parties. Es folgt die trockenen Feststellung, dass in Bayern 98 Prozent der Männer regelmäßige Trinker sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein junger Abgeordneter fragt besorgt, wie man das nun zu verstehen habe, ob denn da schon eine halbe Halbe oder erst eine Halbe darunter fielen - und ob denn damit alle irgendwie süchtig seien. Die Antwort ist ganz auf der klassischen bayerischen Linie, sogar der Satz vom Bier als Nahrungsmittel fällt. Alle schmunzeln oder lachen befreit auf. Nur Martina Kobriger schaut ernst, sogar ein bisschen genervt. Seit morgens um sieben ist sie auf den Beinen, immer noch vom Schnupfen angeschlagen. Ihre Meinung ist klar: "Nicht die Jugendlichen ins Visier nehmen, sondern die, die Alkohol herausgeben."


Donnerstag, 26. April. 19:00 Uhr. Jugendzentrum Weingasse, Regensburg. Direkt vom Landtag geht's heute nach Regensburg. Über "Wahlalter 14" wird dort diskutiert - "ein Lieblingsthema", sagt Martina. Ausgerüstet mit einem Tankstellen-Snack fährt sie im privaten Van auf die Autobahn. Zeit, um ein bisschen durch zu schnaufen und zu erzählen. Ihr Mann ist Berufsschullehrer, schmeißt den Haushalt und repariert auch Martinas Motorrad. Dass sie Bayerns oberste Lobbyistin für die Jugend ist, wundert sie selbst. "Eigentlich bin ich eher etwas schüchtern", meint Martina, "vielleicht ist mein Job der beste Weg um das zu bekämpfen." Eine Stunde später ist die BJR-Präsidentin wieder im Dienst. Viertel nach sieben ist es, wie immer mit ihrem Rucksack auf der Schulter und einer Zigarette in der Hand steht die BJR-Präsidentin vor dem Jugendzentrum in Regensburg. Einziges Problem: Die Zielgruppe fehlt. Ein paar Mädels drücken sich aus dem Juz, alle sind vor kurzem 18 geworden, am Donauufer wollen sie den warmen Aprilabend genießen. "Ich brauch' kein Wahlalter 14 mehr, ich bin ja volljährig", sagen sie - und: "Mit 14 hat man doch eh' nur Schmarrn im Kopf und keine Ahnung, da sollte man nicht wählen." Martina ist professionell, bleibt ruhig. Auch im Versammlungssaal, wo sich nur zwei Dutzend Menschen zusammengefunden haben, zeigt sie keine Spur Verärgerung. "Mich überrascht die Resonanz nicht. Wir haben uns jetzt einfach mal auf den Weg gemacht. Dabei ist klar, dass jeder mindestens fünf Gegenargumente kennt." Das Entscheidende sei, dass Jugendliche in den Wahlprogrammen und in der Politik beinahe nicht vorkämen. "Das ändert sich wohl nur, wenn sie Wahlvolk werden." Donnerstag, 3. Mai. 14:30 Uhr. Funkhaus des Bayerischen Rundfunks, München. Hitzige Diskussionen wurden hier in den letzten Monaten geführt: Über den Erhalt des Zündfunks wurde gestritten und für die Einführung eines UKW-Jugendradios. Oft war dabei Martina im Mittelpunkt - als Vertreterin der Jugend und, trotz ihrer 40 Jahre, als jüngste Rätin. Heute ist die Stimmung gelöst, an der Saftbar scherzen SPD-Chef Maget und Bald-Ministerpräsident Beckstein über landespolitische Absonderlichkeiten. Und auch Martina ist gut gelaunt. Erst durfte sie als jüngste die Rätewahl leiten und dann wurde sie auch noch selbst gewählt: zur stellvertretenden Vorsitzenden des Hörfunkausschusses. Dienstag, 8. Mai. 17:10 Uhr. Institut für Jugendarbeit, Gauting. Zwei Tage lang hat der Jugendring diskutiert, Ergebnis unter anderem: Kritik am neuen CSU-Grundsatzprogramm. "Nur noch zehn Mal ist die Jugend erwähnt", sagt Martina. "Das kann man doch nicht zukunftsweisend nennen!" Dienstag, 15. Mai. 22:10 Uhr. Bar im Flemming's Hotel, München. Martina kommt vom BJR-Betriebsausflug, aber auch da war sie am Arbeiten - wenn auch im Kleinen. Auf der Rückfahrt hat sie mit Elli, der Auszubildenden im BJR, für die Wirtschaftsprüfung gepaukt: eineinhalb Stunden Nichtigkeitsgründe und Rechtsgültigkeit von Geschäften. Jetzt sitzt Martina noch in einer Hotelbar, sie lässt die letzten Wochen Revue passieren. Zwei Stunden, einige Zigaretten und einen Weißwein später steht fest: Bayerns oberste Jugendlobbyistin macht nicht nur klare Aussagen in der Lobbyarbeit, sondern ist auch in der Eigenwahrnehmung selbstbewusst. "Motorradfahren ist die einzige Sache, die ich nicht gut kann und trotzdem gerne mache", stellt die studierte Politikwissenschaftlerin fest. Anders als ihr Präsidentinnen-Job: "Da stehe ich zu 180 Prozent dahinter. Ich kenne mich aus, kann es und weiß, dass ich etwas Richtiges tue."Das habe nichts mit Berufsjugendlichkeit zu tun, sagt sie, schließlich würde sie ja regelmäßig von weitaus jüngeren Delegierten gewählt. Maximal vier Jahre will sie noch als Cheflobbyistin der Jugend arbeiten. Und dann? Vielleicht eine Promotion schreiben über Wahlalter 14. Ihre Lobbyerfahrung in einer anderen Organisation einbringen. Oder in die Politik gehen. "Mein Gott, wenn da ein Ministerpräsident anriefe. . .", sagt sie lachend. Unwahrscheinlich ist das nicht. SPD wie CSU singen Lobeshymnen auf sie. Sie selbst sagt dazu nur soviel: "Am Anfang wollte ich immer Recht haben, jetzt will ich Erfolg für die Jugendarbeit." ++++++++++ Über den BJR Vom Fußballverein über die Pfadfinder bis zum Jugendzentrum: Der Bayerische Jugendring (BJR) ist die zentrale Interessenvertretung junger Menschen in Bayern. Gemäß Satzung ist der BJR jugendpolitisches Sprachorgan und die Arbeitsgemeinschaft von 29 landesweiten Jugendverbänden wie etwa der Sportjugend, bei der alle Vereinsfußballer unterkommen, sowie von rund 400 örtlichen Jugendgemeinschaften. 260 000 Jugendliche in Bayern sind in der Jugendarbeit engagiert und werden mittel- oder unmittelbar über den BJR betreut. Insgesamt erreicht die Jugendarbeit mit ihren Angeboten zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Bayern. Diese Arbeit läuft zum Großteil vor Ort in den 96 Stadt- und Kreisjugendringen ab; der BJR unterstützt die ehrenamtliche Jugendarbeit fachlich und politisch. Dabei geht es auch um viel Geld: Der BJR hat ein Jahresbudget von 19,8 Millionen Euro und allein der Kreisjugendring München-Stadt verfügt seinerseits über ein Jahresbudget von knapp 18 Millionen Euro. Fotos: Maria Dorner

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